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Kiew/Bad Neustadt
Bad Neustädter in der Ukraine: "Wir müssen uns mit den Mafiosi im Weißen Haus arrangieren"
Der Software-Entwickler Tobias Weihmann berichtet aus der ukrainischen Hauptstadt über den ständigen Balanceakt zwischen Alltag und Bedrohung.
Zielfernrohre und Störsender: Tobias Weihmann bei der Übergabe von gespendetem Material. Armeeangehörige werden auf Fotos grundsätzlich unkenntlich gemacht, damit sie nicht per Gesichtserkennung von den Geheimdiensten identifiziert werden können. Diese können sonst zuordnen, wer die Beschaffung für genau welche Einheit macht.
Foto: Tobias Weihmann | Zielfernrohre und Störsender: Tobias Weihmann bei der Übergabe von gespendetem Material. Armeeangehörige werden auf Fotos grundsätzlich unkenntlich gemacht, damit sie nicht per Gesichtserkennung von den ...
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.03.2025 02:38 Uhr

Tobias Weihmann ist "etwas durch den Wind", sagt er. Die Telefonverbindung zwischen Kiew und Würzburg ist wie immer ausgezeichnet. Weihmann hat gerade eine Videokonferenz mit Kollegen in Deutschland hinter sich. "Danach haben sich nochmal einige gemeldet und gefragt, wie's mir geht."

Seit über drei Jahren stemmt die Ukraine sich gegen den russischen Angriffskrieg. Und nun die jüngsten Nachrichten aus den USA: der Eklat zwischen Trump, Vance und Selenskyj, die Einstellung der US-Militärhilfe. Es sei ein eigenartiger Kontrast, sagt Tobias Weihmann: "Hier herrscht Frühlingswetter und es ist trotz beinahe täglicher Drohnenangriffe ruhiger als 2022 oder 2023. Das liegt daran, dass die Luftabwehr inzwischen so gut ist."

Der 45-jährige Software-Entwickler aus Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) lebt seit 2015 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Seine Frau Alya Shandra ist Ukrainerin und Chefredakteurin des unabhängigen Nachrichtenportals Euromaidan Press. Die beiden haben eine fünfjährige Tochter und einen knapp dreijährigen Sohn.

Wenn das Raketensystem Patriot wegfalle, werde Russland alles in Schutt und Asche bomben. "Das wage ich nicht, mir vorzustellen." Andere Systeme seien nicht geeignet, die Lücke zu schließen. "Manche in Deutschland machen sich Hoffnung auf die britische Initiative mit '5000 Luftabwehrraketen', aber da geht es um schultergestützte Waffen zur Drohnenabwehr, Manpads genannt, das ist eine ganz andere Liga."

Eine Million Euro gesammelt, um Material für die Armee zu kaufen

Das Leben unter einem immer schwerer werdenden Damoklesschwert sei ein ständiger Wechsel zwischen der Sehnsucht nach Normalität und dem Willen, etwas zum Überleben des Landes beizutragen, erzählt Tobias Weihmann. Er selbst hat in mehreren Spendenaktionen rund eine Million Euro gesammelt, um Zielfernrohre oder Drohnen-Störsender für die Armee zu kaufen. "Wenn die Nachrichten schlecht sind, ist die Spendenbereitschaft besonders groß."

Das unnachgiebige Auftreten von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus fanden viele Ukrainer "schon richtig", sagt Weihmann. "Schließlich kämpft er um das Überleben und die Freiheit seines Landes. Aber wir wollen trotzdem nicht mit Würde ins Grab gehen." So bizarr das Auftreten von Trump oder Musk erscheine: "Das sind Mafiosi im Weißen Haus, und wir müssen uns mit diesen Mafiosi arrangieren."

Vorbereitung auf der Schlimmste: Training zur Evakuierung Verwundeter in der Ukraine.
Foto: Alya Shandra | Vorbereitung auf der Schlimmste: Training zur Evakuierung Verwundeter in der Ukraine.

Das könnte aus Weihmanns Sicht sogar eine Entschuldigung seitens Selenskyjs rechtfertigen. Auch weitreichende Zugeständnisse in Sachen Bodenschätze könne man ruhig machen: "Wir müssen die nächsten drei, vier Jahre überleben, dann ist Trump wieder weg. Und die Minen zum Abbau der Bodenschätze sind in schlechtem Zustand. Die müssten ohnehin erst wieder erschlossen werden. Das würde Jahre dauern."

Endlich scheint Europa zu begreifen, wie groß die Gefahr ist

Der befremdete bis entsetzte Blick Richtung USA dürfe aber nicht vom weit größeren Problem ablenken: "Trump und Musk sind Waisenknaben. Putin und seine Folterknechte sind es nicht." Immer wieder gibt es Nachrichten von russischen Foltergefängnissen, auch auf besetztem ukrainischem Gebiet. So meldete die Deutsche Welle gerade erst, dass die ukrainische Journalistin Victoria Rosschchina vergangenes Jahr in russischer Gefangenschaft zu Tode gefoltert wurde. "Da geschehen unvorstellbare Grausamkeiten", sagt Tobias Weihmann.

Ein bisschen Hoffnung macht dem Bad Neustädter, dass Europa jetzt, da die NATO zu zerfallen drohe, endlich zu begreifen scheine, wie groß die Gefahr sei. "Spät, aber hoffentlich nicht zu spät. Es ist nicht Aufgabe der Ukraine, Trump und Putin Einhalt zu gebieten. Europa muss ihnen zeigen, was eine Harke ist. Das Schlimmste aber wäre, jetzt zu sagen, die Ukraine ist verloren. Gar nichts ist verloren."

 
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  • Paul Schüpfer
    Ich bin froh, wenn endlich ein Waffenstillstand oder ein Friedensabkommen vereinbart ist. Dann sterben keine Menschen mehr an der Front oder bei Luftangriffen und das Leben kann wieder einigermaßen normal werden - auch in den Nachrichten. Natürlich darf man die Ukraine nicht schutzlos lassen, aber weiter zu machen, um Russland zu "besiegen" halte ich für weltfremd und aussichtslos.
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Seh ich ein wenig anders -

    wir müssen uns mMn nicht mit den "Mafiosi im Weißen Haus" arrangieren, sondern mit der Tatsache, dass die da sitzen.

    Das bedeutet für mich, diese Leute so weit es geht mit ihren Ambitionen ins Leere laufen zu lassen bzw. ihnen aufzuzeigen, wohin sie das letztlich führen wird (nämlich ins Abseits), uns endlich selber auf die Hinterbeine zu stellen statt auf den "Godfather" zu warten und unser gemeinsames(!) europäisches Ding zu machen.

    "Whatever it takes" hätte man mMn schon vor ca. zweieinhalb Jahren sagen und die Konsequenzen ziehen müssen. Warum mussten dafür erst tausende Menschen sterben und möglicherweise mehr Milliardenbeträge ausgegeben werden als nötig gewesen wäre?

    Habe heute im Focus ein Interview mit Gabrielus Landsbergis (dem Enkel von Vytautas) gelesen. Hätte man die Stimmen aus dem Baltikum früher ernster genommen, wäre das wahrscheinlich zielführender gewesen als erstmal zu versuchen, das Problem vordringlich auf Kosten "Kiews" auszusitzen!
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  • Ulrike Schneider
    Wenn das Raketensystem Patriot wegfalle, werde Russland alles in Schutt und Asche bomben.

    Alles wohl nicht, immerhin wird gerade ein neues grosses Freizeitzentrum gebaut. Urlaub in der Ukraine:

    https://www.t-online.de/leben/reisen/id_100599580/urlaub-in-der-ukraine-neuer-ferienort-entsteht-in-den-karpaten.html
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  • Stefan Fuchs
    Höchsten Respekt vor dem Ukrainischen Volke und ihrem Präsidenten.
    Gott schütze diese Nation vor Kriminellen wie Putin , Trump, Vance und anderen poitischen Irrlichtern!!!
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