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Bad Königshofen
Bad Königshofen: Die gute Luft im Gradier-Pavillon kommt aus der Schlehenhecke
Zum ersten Mal seit der Errichtung des Gradier-Pavillons im September 2009 wurde der Schwarzdorn ausgetauscht. Früher kam die Füllung auch aus der Ukraine.
Während Kurdirektor Werner Angermüller zum Rechen greift, sägt Wolfgang Keucher die Schwarzdornbüschel auf das notwendige Maß zurecht. Nach gut zwölf Jahren musste das Reisig erstmals ausgetauscht werden.
Foto: Michael Petzold | Während Kurdirektor Werner Angermüller zum Rechen greift, sägt Wolfgang Keucher die Schwarzdornbüschel auf das notwendige Maß zurecht. Nach gut zwölf Jahren musste das Reisig erstmals ausgetauscht werden.
Michael Petzold
 |  aktualisiert: 18.03.2022 02:22 Uhr

Obwohl die Handschuhe stichfest sein sollen, machen Wolfgang Keuchers Finger einen recht malträtierten Eindruck. Gut ein Dutzend Pikser sind es, die er sich jeden Tag beim Umgang mit dem stacheligen Schwarzdorn holt, der hierzulande eher unter dem Namen Schlehe bekannt ist.

1200 Bündel türmten sich im Februar am Pavillon, der bereits vor einiger Zeit leergeräumt worden war. Rund 12 Jahre nach der Errichtung des Pavillons im September 2009 waren die Zweige durch die Ablagerungen der permanent rieselnde Sohle quasi miteinander verbacken, was die Zerstäubung der salzhaltigen Tröpfchen zu Aerosolen doch zunehmend behinderte.

Vor allem Menschen mit Atemproblemen suchen den Gradier-Pavillon im Kurgarten von Bad Königshofen auf, wie Kurdirektor Werner Angermüller weiß, weil die feuchten Schwebstoffe eine lindernde Wirkung auf Lungen- und Bronchialerkrankungen haben. Ursprünglich dienten die Salinen aber zur Salzgewinnung.

Fest eingepresst müssen die stacheligen Schwarzdornzweige,  wie das hier (von links) Andre und Dirk Wagner demonstrieren. Schließlich sollen sie auch bei Sturm noch an Ort und Stelle bleiben.
Foto: Michael Petzold | Fest eingepresst müssen die stacheligen Schwarzdornzweige,  wie das hier (von links) Andre und Dirk Wagner demonstrieren. Schließlich sollen sie auch bei Sturm noch an Ort und Stelle bleiben.

Die Schwarzdorn-Büschel müssen eingepresst werden

Werner Keucher ist der Co-Chef der Firma Weise & Partner mit Sitz im thüringischen Apolda. Neun Beschäftigte zählt der Betrieb, der deutschlandweit nicht nur Gradierwerke betreut, sondern auch Wellnesseinrichtungen mit Kneipp-Becken, Dampfbädern oder Ruhezonen ausstattet. Jetzt steht der gebürtige Hanseat an der Säge, mit der er die Bündel in 60 Zentimeter lange Teile zuschneidet. Seine Mitarbeiter Dirk und Andre Wagner - zugleich Vater und Sohn - passen die Stücke in die Räume zwischen die Holzbalken des Rondells ein. Zum Schluss müssen die Büschel fest eingepresst werden, damit sie auch Sturmböen widerstehen können.

Den Gradierpavillion im Kurgarten von Bad Königshofen suchen Menschen auf, die Probleme mit der Atmung haben. Die Aerosole, die beim Rieseln des Solewassers über Hecken entstehen, tun Bronchien und Lunge gut.
Foto: Michael Petzold | Den Gradierpavillion im Kurgarten von Bad Königshofen suchen Menschen auf, die Probleme mit der Atmung haben. Die Aerosole, die beim Rieseln des Solewassers über Hecken entstehen, tun Bronchien und Lunge gut.

Schlehenhecken stehen in Deutschland unter Naturschutz

Der Schwarzdorn oder Schlehen stehen in Deutschland unter Naturschutz, seit zu Zeiten der Flurbereinigung in den 50er und 60er Jahren so viele Hecken aus den Feldern entfernt wurden, bis schließlich kaum noch welche übrig waren. Seit 20 Jahren bezieht die Firma Weise & Partner den  Schwarzdorn aus Polen. "Der wird dort in regelrechten Plantagen angebaut", sagt Keucher, der auch von der Qualität der Zweige aus der Ukraine schwärmt. Seit die Konflikte im Donbass im Osten begonnen haben, ist der Lieferstrom aber versiegt.

Erntezeit für die stacheligen Büsche, die baumhoch werden können,  ist von Ende November bis Ende Februar. Um wirklich eine gute Qualität zu erhalten, müssen die Zweige knochentrocken sein, weiß Keucher. "Wenn sie im Saft stehen, dann bluten sie aus", hat ihm schon seit Großvater beigebracht, der eine Baumschule hatte und Schlehen für das Gradierwerk in Bad Sooden-Allendorf produzierte. Was bedeuten soll, dass die Zweige nicht lange halten, wenn sie mit der scharfen Sole in Berührung kommen.

Mit dem Presslufthammer in die Dornenwand

Neben dem Pavillon in Bad Königshofen betreut die Firma unter anderem auch den Gradierbau in Bad Kissingen. Wenn dort Reisigbündel ausgetauscht werden müssen, wartet auf die Männer Schwerstarbeit, wie Wolfgang Keucher im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt. Durch den hohen Eisengehalt im Wasser lege sich um die Zweige eine harte Masse, der man bisweilen mit dem Presslufthammer zu Leibe rücken müsse, um Erfolg zu haben.

Wie man in Bad Königshofen verfährt, erklärt wieder der Kurdirektor. Wasser der heimischen Urbani-Heilquelle wird durch eine Sole-Wasser-Mischung ergänzt, sodass sich ein Salzgehalt von zwölf Prozent ergibt. Ausgetauscht werden muss die Flüssigkeit natürlich häufiger als der Schwarzdorn. In der Regel viermal im Jahr wird die Solebrühe ausgetauscht. Wie ein Magnet ziehe das Gradierwerk alles an, was in der Luft schwebt, sagt Werner Angermüller. Vor allem jetzt im Frühling, wenn die Pollen wieder fliegen.

Gradierwerke

Ursprünglich wurden die Holzkonstruktionen mit den Füllungen aus dornigen Schlehen-Ästen seit dem 17. Jahrhundert zur Salzgewinnung gebaut. Salzhaltiges Wasser wurde auf die Dächer gepumpt, das anschließend langsam durch die Hecken rieselte. Nach einiger Zeit bildeten sich durch die Verdunstung Salzkrusten, die dann abgeklopft wurden. Mit der Zeit reifte aber auch die Erkenntnis, dass das Einatmen der salzigen Luft gut für die Gesundheit ist. Meist findet man deshalb Gradierwerke noch in Kurorten. Das größte in Deutschland noch existierende Gradierwerk steht in Bad Dürrenberg und misst über 600 Meter.
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