
Zur Zeit herrscht durch die Corona-Pandemie eine Ausnahmesituation, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr hatten. Nur war sie vor 75 Jahren ungleich schlimmer. Dem Virus fällt nun die für den Samstag, 4. April, geplante feierliche Gedenkstunde am Gemündener Marktplatz zum Opfer, die an die für Gemünden furchtbaren letzten Kriegstage 1945 erinnern sollte. Damals wurde die Dreiflüssestadt in weiten Teilen zerstört, Gemünden wurde auch schon mit "am meisten zerstörte Kleinstadt Bayerns" betitelt.
Nach zweitägigen schweren Kämpfen war die Stadt am Abend des 5. April 1945 in der Hand der Amerikaner. Vor 15 Jahren wurde ein 30-minütiger Film über Gemündens schwerste Stunde uraufgeführt. Die durch Zufälle im amerikanischen Nationalarchiv in Washington wiederentdeckten Sequenzen von US-Kriegsberichterstattern zeigen den Weg der US-Soldaten von Langenprozelten her und die Einnahme Gemündens. Besonders die Altstadt brannte und lag in weiten Teilen in Schutt und Asche. Von 410 Wohngebäuden waren 179 völlig vernichtet, viele andere teilweise. Fürchterliche 147 Einträge weist das Sterberegister für die Zeit vom 24. März bis zum 8. April auf – darunter Kinder und ganze Familien.
Bahnhof und Schienen waren Ziel von Luftangriffen
Von Mitte Januar bis Ende März 1945 gab es in Gemünden, damals wie heute ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, 75 registrierte Alarmmeldungen. Tiefflieger bestrichen mit ihren schweren Maschinengewehren am Ende fast täglich den Bahnhof und die Schienen. Allein am 21. März heulten die Sirenen sieben Mal, steht in der Schrift "Eine Stadt stirbt" des Historischen Vereins. Jedes Mal flohen Menschen oft stundenlang in Keller und Bunker, in den letzten Wochen blieben viele Menschen wochenlang in sieben verschiedenen Luftschutzbunkern der Stadt. Für viele wurden sie zum Verhängnis. Der größte Bunker war der ehemalige Brauereikeller der Firma Kusterer in der Bahnhofstraße, wo es kaum etwas zu essen und kein Wasser gab.

Am 26. März 1945, einen Tag nach Palmsonntag, kam mit einem schweren Luftangriff der erste schwarze Tag für Gemünden. Die amerikanischen Truppen hatten gerade Aschaffenburg erreicht, aber ihre Jagdbomber suchten bereits die Dreiflüssestadt heim. Um 16.30 Uhr kamen Flugzeuge aus Richtung Massenbuch und zerstörten in mehreren Wellen die Stadt, vor allem die Gegend um den Bahnhof. Bis zur Stadtmitte reichte der Bombenteppich. Ihre Bomben, 125- und 250-Kilo-Bomben, klinkten die Flieger meist zu spät aus und verfehlten so den Bahnhof.
Alle Menschen im Amtsgerichtsstollen kamen ums Leben
Schlimm erging es 41 Menschen im Amtsgerichtsstollen (am heutigen Grundbuchamt). Gemündens Stadtförster Ernst Seifried berichtete, dass ein Flieger die Lok eines Personenzuges aus Wertheim bombardierte, woraufhin Passagiere in den Amtsgerichtsbunker geflohen sind. Die Flieger hätten daraufhin ihre Angriffe auf den Bunker verdoppelt. Er wurde verschüttet, alle Menschen darin kamen ums Leben. Die Leichen wurden in den Tagen danach herausgeholt. 1955 wurde der Bunker noch einmal geöffnet, um nach Toten zu suchen, aber es fanden sich keine mehr. Die Bombardierung am 26. März hat insgesamt 65 Menschen das Leben gekostet.
Und plötzlich standen schon am nächsten Morgen die Amerikaner vor den Toren der Stadt. Die 307 Mann starke "Task Force Baum" hatte sich bei der geheimen Kommandoaktion von Aschaffenburg kommend bis Gemünden vorgearbeitet. Dort war niemand vorgewarnt, da am Vortag das Postamt samt Telefonvermittlung außer Betrieb gesetzt worden war. Als GIs der Task Force von Kleingemünden kommend mit einem Sherman-Panzer auf die Saalebrücke fahren wollten, ließen deutsche Soldaten die zum Sprengen vorbereitete Brücke hochgehen. Der dritte Bogen stürzte ins Wasser.
Panzervorstoß wurde in Kleingemünden zunächst aufgehalten
Die Truppe von Hauptmann Abraham J. Baum verlor bei dem anschließenden Beschuss mit Panzerfäusten in der Frankfurter Straße vier Panzer und mehrere Soldaten, Baum selbst wurde durch Splitter verletzt. Die Flammen eines brennenden Panzers zerstörten nahe Häuser in Kleingemünden. Kurzerhand fuhr die Task Force über Rieneck weiter. Aber nicht, ohne vom Zollberg aus Kleingemünden zu beschießen. Das amerikanische Himmelfahrtskommando erreichte sein Ziel, das Kriegsgefangenenlager Hammelburg, zwar relativ unbeschadet, der Verband wurde jedoch östlich von Höllrich, im Bereich des Reußenbergs, aufgerieben.
Aber die regulären amerikanischen Truppen sollten nicht mehr lange auf sich warten lassen. Am Vormittag des 4. April rückte ein US-Panzerbataillon nach schweren Gefechten um Langenprozelten auf Gemünden vor. Doch dort lagen starke deutsche Kampfverbände. Weil Granatfeuer die US-Soldaten empfing, forderten sie Luftunterstützung an, die auch in Wernfeld Bomben abwarf, wo 32 Personen zu Tode kamen. Gleichzeitig begann amerikanische Artillerie, pausenlos auf Gemünden zu feuern, Panzer beteiligen sich vom Zollberg aus an der Zerstörung der Stadt. Am Abend des 4. April war jedoch nur Kleingemünden in amerikanischer Hand.
Gemünden brannte von einem Ende bis zum anderen
Gemünden stand vom einen Ende bis zum anderen in Flammen. St. Peter und Paul und die Schule am Obertor brannten, das Feuer fraß sich durch das Holz der Fachwerkhäuser. Flammen schlugen aus dem prachtvollen Renaissance-Rathaus am Marktplatz und dem Adelsmannhaus mit seinen drei Stockwerken und dem einmaligen Fachwerk. Auch das städtische Archiv mit unersetzlichen Urkunden und wichtigen Akten wurde ein Raub der Flammen. Am 5. April setzten frühmorgens amerikanische Sturmboote über die Saale. Panzer fuhren durch eine seichte Stelle. Es wurde um jedes Haus gekämpft, kurzzeitig wurde sogar ein amerikanischer Leutnant mit zwei Mann gefangen genommen, nur um nach dreistündigem Kampf von ihren Kameraden wieder befreit zu werden.
Schon zuvor war ein amerikanisches Infanteriebataillon der Marne-Division zu Hilfe gerufen worden, das sich am 4. April Gemünden gegenüber bei Massenbuch sammelte, nachdem es Halsbach, Wiesenfeld, Massenbuch und Harrbach erobert hatte. Die "Cotton Balers", wie die Soldaten des zu Hilfe geeilten Infanteriebataillons genannt wurden, setzten am Mittag des 5. April mithilfe einer Pontonbrücke oberhalb der Stadt über den Main. Die Panzer allerdings mussten zurückbleiben, weil das Ufergelände für die schweren Fahrzeuge zu sumpfig war. Die Shermans blieben daher am linken Ufer stehen und beschossen von dort aus mit Brand- und Sprenggranaten pausenlos die Stadt. Gemünden wurde in die Zange genommen.
Verletzte konnten unter den Trümmern nicht immer geborgen werden
Um 15.30 Uhr war die Verbindung zum Panzerbataillon hergestellt. Allerdings musste noch ein weiteres US-Infanteriebataillon eingreifen. Erst um etwa 18 Uhr war der deutsche Widerstand vollends gebrochen, die Stadt in amerikanischer Hand. Am nächsten Morgen schoben Räumpanzer in der noch brennenden Innenstadt den Weg für nachrückende amerikanische Kampfverbände frei. In den Straßen lagen noch Tage später tote Soldaten. Von Opfern wurden manchmal zunächst nur Körperteile im Schutt gefunden. Nicht immer konnten Verletzte geborgen werden.

Vergeblich versuchte man, die 26 Verschütteten, darunter fünf Kinder und sechs französische Kriegsgefangene, im Schulstollen neben dem heutigen Kulturhaus zu befreien. Augenzeugen berichteten, dass man noch tagelang Klopfen und Pochen gehört habe. Das ausgebrannte alte Rathaus, erbaut 1585 bis 1596, dessen Umrisse noch auf dem Gemündener Marktplatz kenntlich gemacht sind, sprengten die Amerikaner. Von den Nazis verschleppte Zwangsarbeiter aus dem Baltikum, in Gemünden nur "Polen" genannt, hatten angeblich drei Tage Plünderungsfreiheit. Da die Waggons im Bahnhof mit unterschiedlichen Waren beladen waren, war viel zu holen. Einige der plündernden Zwangsarbeiter sollen Kanister mit Torpedo-Treibstoff für Schnaps gehalten haben und daran qualvoll gestorben sein.
Allgemeine Ausgangssperre nach der Einnahme Gemündens
Für die Gemündener galt nach der Einnahme der Stadt zunächst eine allgemeine Ausgangssperre. Manche wurden gezwungen über am Boden liegende Hakenkreuzfahnen zu laufen. Männer wurden zu Aufräumkommandos zusammengestellt, mussten auch Tote ausgraben. Weil die Wasserleitungen kaputt waren, mussten die Menschen zum Teil Mainwasser trinken und bekamen Ruhr. Es soll auch einige Fälle von Cholera gegeben haben.