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Gemünden
Wo bleiben die Ausgleichsflächen für die große Solaranlage in Harrbach?
Die Flächen müssten eigentlich längst angelegt sein, doch niemand fühlt sich verantwortlich: Landratsamt, Stadt und Betreiber schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu.
Bisher wurden noch keine Ausgleichsflächen für den Bau des Solarparks Harrbach geschaffen. Die zuständigen Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
Foto: Jennifer Weidle | Bisher wurden noch keine Ausgleichsflächen für den Bau des Solarparks Harrbach geschaffen. Die zuständigen Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
Jennifer Weidle
Jennifer Weidle
 |  aktualisiert: 10.10.2024 02:40 Uhr

Für viele Bauvorhaben schreibt das Baurecht vor, Eingriffe in die Natur durch Ausgleichsmaßnahmen zu kompensieren. Dass die im Bebauungsplan festgelegten Maßnahmen ordnungsgemäß umgesetzt werden, sollten Städte und Gemeinden überwachen. Wer jedoch verantwortlich ist und wer praktisch etwas tut, bleibt vage, wie das Beispiel des Solarparks Harrbach zeigt.

Ausgleichsflächen schaffen Raum für die Natur, die an anderer Stelle verdrängt wurde – egal ob durch ein Eigenheim, eine Straße oder wie in Harrbach eine Photovoltaik-Freiflächenanlage (FFA). Dafür gibt es klare gesetzliche Regelungen und die zuständige Behörde, hier die Untere Naturschutzbehörde (UNB) vom Landratsamt Main-Spessart, legt die Kompensationen fest.

Ausgleichsflächen in Harrbach bislang weder erzeugt noch geplant

Im Falle der Anlage in Harrbach wurde bestimmt, dass neue Obstbäume spätestens ein Jahr nach der Inbetriebnahme gepflanzt sein müssen; also bis Mitte 2025. Marion Nikol, Unternehmenssprecherin von Südwerk, gab an, dass dann gepflanzt würde, wenn optimale Wachstumsbedingungen herrschten. Die Pflanzsaison für Gehölze beginnt jetzt, jedoch standen im August Details wie Zeitplanung oder Dienstleister laut Südwerk noch gar nicht fest.

Der Baumpieper gilt in Deutschland  als gefährdet (Kategorie 3). Hauptgrund ist der Verlust seines Lebensraumes mit wichtigen Strukturelementen wie Hecken und Lichtungen durch Bauprojekte und Landwirtschaft.
Foto: Hartwig Brönner | Der Baumpieper gilt in Deutschland als gefährdet (Kategorie 3). Hauptgrund ist der Verlust seines Lebensraumes mit wichtigen Strukturelementen wie Hecken und Lichtungen durch Bauprojekte und Landwirtschaft.

Zudem sollte eine Ausgleichsfläche für den Baumpieper, eine seltene Vogelart, geschaffen werden. Auf Flurnummer 979, einem 9500 Quadratmeter großen Stück müssen Blüh- und Brachestreifen angelegt werden – und zwar vor Baubeginn. Dieser war Anfang 2024, erfüllt wurden die Auflagen bisher nicht.

Unklare Zuständigkeiten – Kommune, UNB oder doch Südwerk?

Das Landratsamt Main-Spessart erklärte, die Stadt Gemünden sei zuständig. Die Stadt wiederum verwies auf den Bauträger Südwerk, dessen Experten laut Nikol jedoch keinen Handlungsbedarf sahen. Die Kontrolle über die Umsetzung der Maßnahmen oblag laut der Stadt wiederum der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) des Landratsamtes Main-Spessart. Dieses verweist zurück auf Gemünden.

Markus Rill, Pressesprecher des Landratsamts Main-Spessart, erklärt: "Die Kontrolle obliegt laut Baugesetzbuch der zuständigen Kommune." Grundsätzlich sei die Stadt Gemünden also für den Vollzug verantwortlich gewesen. Diese Verpflichtung habe sie jedoch im Rahmen eines "vorhabenbezogenen Bebauungsplans" auf den Vorhabenträger, in diesem Fall Südwerk, übertragen. Rill betont, dass die Stadt dennoch eine Überwachungsfunktion habe: "Die Stadt Gemünden ist nach § 4c Satz 1 Halbsatz 2 BauGB verpflichtet, die Durchführung des Ausgleichs zu überwachen."

Eine Kontrolle vor allem der Maßnahmen, die vor Baubeginn fertiggestellt sein mussten, hatte jedoch lange nicht stattgefunden. Erst im Rahmen dieser Recherche scheint aufgefallen zu sein: Die vorgeschriebene Maßnahme wurde nie umgesetzt. Die Verantwortlichen hatten versäumt zu prüfen, ob die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Nur eine Partei hat die Fläche untersucht – der Bauträger selbst.

Bauträger untersuchte selbst und sah keinen Handlungsbedarf

Auf Nachfrage dieser Redaktion gab Nikol an, dass Experten von Südwerk entschieden hätten, dass die gesetzlich vorgeschriebene Ausgleichsfläche nicht notwendig sei. Die Fläche werde ohnehin im Rahmen eines Vertragsnaturschutzprogramms (VNP) bewirtschaftet, schrieb sie. "Aufgrund dieser Feststellung", so Nikol, "wurden bisher keine weiteren Arbeiten an der Fläche durchgeführt." Weitere Maßnahmen wären erst nach Ende dieses Programmes erforderlich. "Wir versichern, dass alles fachlich und innerhalb der gesetzlichen Regelungen umgesetzt wird", so Nikol. Das Thema Naturschutz und Umweltplanung habe bei Südwerk einen hohen Stellenwert.

Am 11. September haben sich die Untere Naturschutzbehörde und der Anlagen-Betreiber zu einer Begehung getroffen. Dabei stellten sie fest, dass die Maßnahme "anscheinend aufgrund einer Fehleinschätzung durch den zuständigen Fachbetreuer des Betreibers nicht durchgeführt wurde, weil das auf der Fläche bereits vorhandene VNP als ausreichend angesehen wurde", so Peter Interwies, Sachgebietsleiter im Gemündener Bauamt. Diese Einschätzung sei jedoch falsch gewesen, deshalb werde die Ersatzmaßnahme umgehend und vollumfänglich umgesetzt. Auch Rill gab an, dass die Maßnahmen unverzüglich nachzuholen seien.

Kontrolle: Fehlende Ressourcen und unklare Zuständigkeiten

Erwin Scheiner, Vorsitzender der Kreisgruppe Main-Spessart des BUND Naturschutz, kritisiert die mangelnde Kontrolle. Er fordert mehr Engagement seitens der Kommunen. Es sei wichtig, nicht nur die Neuanlage, sondern auch die Pflege der Flächen sicherzustellen. "Doch viele Kommunen fühlen sich nicht für Umweltfragen zuständig und geben die Aufgabe an die Naturschutzbehörde weiter, die personell überlastet ist", meint er.

So würden die Zuständigkeiten oft hin- und hergeschoben, um Verantwortung zu vermeiden. "Unternehmen nutzen das aus", meint er. Dabei sei die Investition in Umweltmaßnahmen im Vergleich zu den Baukosten gering und den Imageschaden nicht wert.

 
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