
Ein großes Hupkonzert schallt durch Birkenfeld. Durch die riesige Frontscheibe unseres Lkw sehen wir hunderte von glücklichen Gesichtern, strahlende Kinderaugen, vorweihnachtliche Freude. Die Leute winken uns zu, viele haben ihr Handy gezückt und filmen mit. Trucker Andy Greulich sitzt auf seinem Fahrersitz hinter dem großen Lenkrad und nimmt seinen Job offensichtlich sehr ernst. In jeder Kurve hebt er die Hand und erwidert aus dem Führerhaus lächelnd das Winken der Menschen am Straßenrand.
"Der Weihnachtsmann, der fährt nen großen Truck", dröhnt aus der Musikbox, die hinten im Bereich der Ladefläche fixiert ist. "Was man nicht alles findet, wenn man Weihnachtslieder googelt", sagt Greulich. Plötzlich meldet sich jemand aus einem Truck hinter uns auf Kanal 9 über Funk: "Männers, ich brauch mindestens 14 Tage, um das Grinsen wieder aus meinem Gesicht zu bekommen."
Marktheidenfelder ist seit 23 Jahren Trucker
Zwei Stunden vorher: Andy Greulich, Lkw-Fahrer vom Schotterwerk Schebler in Birkenfeld, und ich sitzen in seinem mit zahlreichen Lichterketten und weiteren Leuchtutensilien geschmückten Truck. Wir stehen relativ weit vorne im Konvoi der Weihnachstrucks, die dieses Jahr zum dritten Mal ihre Spendenfahrt durch Main-Spessart veranstalten. Insgesamt 120 Lkw haben sich gegen 17 Uhr auf dem Gelände der Firma Röhrig in Karbach eingefunden und sollten jeden Moment ins Rollen kommen. Greulich ist 50 Jahre alt, kommt aus Marktheidenfeld und war schon in den Vorjahren mit dabei. Seit 23 Jahren fährt er Lkw.
Für mich hingegen ist die Fahrt im großen Brummi eine Premiere. Mein Blick fällt auf unsere Namensschilder an der Frontscheibe. Auf dem linken steht "Andy", auf meinem "Carmen". "Das ist meine Frau, sie war bisher immer dabei. Heute nicht, deshalb habe ich einen Platz frei", sagt Greulich. Ob ich auf der dreistündigen Tour von Karbach nach Lengfurt das Zeug dazu habe, ein würdiger Carmen-Ersatz zu sein? Ich hatte ja schon Probleme, die steilen Stufen hochzusteigen und den Beifahrersitz zu erklimmen. Das wackelnde Führerhaus reißt mich aus meinen Gedanken, der Konvoi ist gestartet.

Weihnachtsschmuck und Musikbox statt tonnenweise Schotter
Anstelle der Musikbox und des leuchtenden Schneemanns zieht Greulich normalerweise etwa 28 Tonnen Kies, Schotter und Sand über die Straße. "Ich bin jeden Tag mit dem Ding auf Achse. Der Truck ist wie mein zweites Wohnzimmer – obwohl ich sogar mehr hier bin als in meinem eigentlichen Wohnzimmer", so Greulich. Trotz der fehlenden Beladung ist er sonst deutlich schneller unterwegs als heute. Damit alle Fahrer beisammen bleiben, liegt die Höchstgeschwindigkeit der Weihnachtstrucks bei etwa 30 km/h. Kein Wunder also, dass der Konvoi ganze drei Stunden braucht, um den 70 Kilometer langen Rundkurs von Karbach nach Lengfurt zurückzulegen.
Greulich ist nicht der einzige Fahrer vom Schotterwerk in Birkenfeld. "Dein Schneemann macht gleich nen Abgang", funkt sein Kollege aus dem Truck hinter uns. Greulich zögert nicht lange, hält kurz an, hechtet aus der Fahrertür, fixiert den Schneemann, steigt ein und gibt wieder Gas. "Sven und Andreas sind hinter uns, beides Kollegen von mir", erklärt er. Die drei tauschen sich während der Fahrt immer wieder über die Überlebenschancen ihres Weihnachtsschmucks aus. "Der starke Wind wird heute für einige Verluste sorgen, aber das ist die ganze Aktion wert", meint Greulich.
Menschen in den Ortschaften trotzen dem Wetter
Auf unserem Weg schlängeln wir uns unter anderem durch Stadelhofen, Roden, Urspringen und Richtung Rohrbach. Später führt die Route durch Mühlbach, Laudenbach, Himmelstadt und Zellingen. Weiter geht es in Marktheidenfelder Richtung über Billingshausen, Birkenfeld und am Startpunkt in Karbach vorbei, bevor wir Marktheidenfeld am Äußeren Ring passieren und die Zielstation in Lengfurt ansteuern.

Für das Steuern ist Greulich zuständig. Souverän lenkt er den Lkw auch durch die verwinkelteren Orte wie Mühlbach und Laudenbach. Außerdem betätigt sowohl Hupe als auch Lichthupe im Halbsekundentakt. Ich konzentriere mich derweil auf etwas, das ich kann: Winken. In manchen Ortschaften kann ich meine Hand kaum noch senken. Trotz des extrem windigen und regnerischen Wetters haben sich Menschengruppen in jeder einzelnen Kurve gesammelt, um die Weihnachtstrucker zu grüßen. Andere sind in ihren Wohnungen geblieben, haben aber die Vorhänge beiseite geschoben und verfolgen das Spektakel aus dem heimischen Wohnzimmer. Gefühlt ist ganz Main-Spessart hier, niemand will die diesjährige Spendenfahrt verpassen.
Absage für Organisator keine Option
Das gilt auch für die Insassen des Reisebusses, der sich dieses Jahr zum zweiten Mal mittig im Konvoi platziert hat und Interessierten gegen eine Spende die Mitfahrt ermöglicht. Begeistert von diesem Erlebnis zeigte sich Familie Giller aus Karlstadt nach ihrer Ankunft in Lengfurt. "Wir waren das erste Mal dabei. Meine Frau, die Kinder und ich fanden es alle supercool. Es hat Spaß gemacht, zu sehen, wie die Leute alle am Straßenrand mitfiebern", sagt Giller.
Aufgrund des unbeständigen Wetters hatten Andy Greulich und manche anderen Fahrer sich im Vorfeld gefragt, ob der Konvoi in diesem Jahr überhaupt starten könne. "Ich habe ziemlich geschwitzt und war mir unsicher, ob es überhaupt stattfindet", so Greulich. Für Organisator Daniel Köhler hingegen war die ganze Zeit klar, dass der Aufwand im Vorhinein zu groß gewesen ist, um das Event abzusagen. Schon vor Aufreihung der Trucks war in seinem WhatsApp-Status zu lesen: "Denkt dran, schlechtes Wetter ist erst, wenn euch leuchtende Schlauchboote entgegen kommen."

Geschenke für Pflegeheime und Spenden für krebskranke Kinder
Wie schon in den Vorjahren hat Köhler die Aktion auch in diesem Jahr gemeinsam mit seinem Arbeitgeber Knorr Transporte aus Stadelhofen und einem Helferteam auf die Beine gestellt. An die Pflegeheime in Zellingen, Karlstadt und Marktheidenfeld sollen nach der Fahrt Geschenktüten übergeben werden. Die Summe, die dieses Jahr in den Lkw-Spendendosen zusammenkam, wird erst bis Ende Januar fertig ausgezählt sein, schätzt Köhler. Das Geld geht an das Kinderhospiz Sternenzelt in Marktheidenfeld und an die Elterninitiative leukämie- und tumorkranker Kinder Würzburg.
Dass die Weihnachtstrucks auch innerhalb der Trucker-Community wieder auf reichlich Zuspruch stoßen, ist gegen Ende der Fahrt eindeutig zu vernehmen. Als Greulich und ich uns auf der Zielgeraden in Richtung Lengfurt befinden, raschelt das Funkgerät ununterbrochen. "Da sich die Veranstaltung dem Ende nähert: Ein Riesenlob an Daniel, super tolle Aktion", sagt einer der Fahrer irgendwo in der endlos langen Lkw-Reihe hinter uns. Danach melden sich nach und nach immer mehr Trucker zu Wort, die Köhler ihren Dank aussprechen und hoffen, dass die Weihnachtstrucks im nächsten Jahr wieder durch die Ortschaften tuckern.