
Ein sehr junges Pfarr-Team hat sich in der neuen Pfarreiengemeinschaft Main-Werntal zusammengefunden. Tilman Schneider (37), Melina Racherbäumer (34) und Annika Kringel (29) wollen sich stärker vernetzen und Aufgaben teilen. Ein Grund für solche vernetzten Strukturen ist auch, dass Pfarrstellen unbesetzt bleiben oder bei schwindenden Mitgliedszahlen Stellen reduziert werden, berichten die drei. Im Interview sprechen sie über ihre Vorstellung der Zukunft von Kirche und über zwingende sowie wünschenswerte Veränderungen.

Melina Racherbäumer: Also gescheitert vielleicht nicht unbedingt. Aber als ich bei meiner Ordination vorgeschlagen habe, das Abendmahl nicht nur mit Wein, sondern auch mit Saft zu feiern, wurde ich deutlich darauf hingewiesen, dass das eigentlich unüblich ist in der Gemeinde. Ich war aber schwanger und habe dann ganz klar zu verstehen gegeben, dass ich nicht am Abendmahl teilnehmen kann. Am Ende gab es verschiedene Stationen, ich habe Traubensaft ausgeschenkt und das war dann okay.
Tilman Schneider: Ich kenne es von meinen Auslandsaufenthalten: wenn Gottesdienste oder Veranstaltungen stattfinden – egal wo – machen sich Menschen auf und fahren dorthin, weil ihnen etwas am Gemeindeleben liegt. Wenn wir im Weinberg Gottesdienst feiern oder wenn ich Gastprediger oder Musikgruppen in eine Kirche einlade, war für mich klar, dass die ganze Gemeinde dahin kommt. Das habe ich hier noch nicht geschafft, aber es wäre mein Wunsch für die Zukunft.
Annika Kringel: Wir haben bei uns in der Gemeinde jeden dritten Sonntag im Monat den sogenannten Lichtblick Gottesdienst. Da werden ganz moderne Lieder gesungen. Ich dachte mir: Und was ist mit den anderen drei Sonntagen? Also bringen wir jetzt auch bei den anderen Gottesdiensten moderne Lieder ein.
Racherbäumer: Ich mache Konfirmandenarbeit und Familienarbeit und habe bei den Konfis gemerkt, dass eine Übernachtung total toll für sie war. Das hatte es die letzten Jahre nicht gegeben. Und vor kurzem war ich mit einer Gruppe Jugendlichen Schlittschuhlaufen, das hatten sie sich sogar selbst überlegt. So etwas kommt immer gut an.

Kringel: In meinem Sprengelgebiet mit meiner begrenzten Zeit wäre ohne die Ehrenamtlichen sehr wenig möglich, 70 bis 80 Prozent würden wegfallen. Wenn man anfängt: Gemeindebriefe austragen würde ich nicht schaffen. Gut, könnte man vielleicht schicken, aber dann wird es teuer. Außerdem haben wir zwei Pfarrer in Rente bei uns, die Gottesdienste übernehmen.
Schneider: Hinter den Kulissen gibt es immer Leute, eine Mesnerin, Organisten, Helfer ...
Racherbäumer: Die Jugend- und Familienarbeit würde es gar nicht geben.
Kringel: Ich glaube, es kann kein Pfarrpersonen-zentriertes Gemeindeleben mehr geben, dafür sind wir zu wenig und unsere Ressourcen zu begrenzt. Ich bin komplett fein damit, wenn ehrenamtliche Gruppen wie mein Seniorenkreis das ohne mich schaffen und mache gern einmal eine Andacht, wenn sie mich brauchen.
Racherbäumer: Ein großer Teil meiner Pfarrstelle ist ja auf die Jugend- und Familienarbeit ausgelegt. Die Idee dahinter ist aber nicht, dass ich jetzt plötzlich in jede Gemeinde gehe und dort Familiengottesdienst mache. Sondern, dass ich die ehrenamtlichen Teams kennenlerne, schule und Anregungen gebe. Manche Dinge muss man auch getrost sein lassen, weil andere es auch können.
Racherbäumer: Ich glaube, dass die Vereinsstrukturen, die ja viele Jahre überall gut funktioniert haben, fast nirgends mehr so funktionieren wie vorher. Familien sind herausgefordert in der heutigen Zeit und haben es schwer, wenn beide beispielsweise berufstätig sind. Man kann dadurch eher zur Projektarbeit übergehen: Statt einer wöchentlichen Jugendgruppe gibt es ein Camp einmal im Jahr. Das ist für mich eine großartige Chance, weil auch Ehrenamtliche sich so nicht mehr verpflichten müssen, regelmäßig anwesend zu sein.
Schneider: Eine weitere Veränderung ist, dass nicht mehr alle Menschen in einem Dorf zur Kirchengemeinde gehören. Das Gemeindeleben findet mehr auf der Fläche statt. Ich erlebe, dass diejenigen kommen, denen es wichtig ist, am Gemeindeleben teilzunehmen – und die anderen eben nicht. Man merkt: Hier geht es hin zu einem bewussten Christentum.

Kringel: Wenn ein Jugendlicher mit dem Glauben Sonntagsgottesdienst und Beten assoziiert, dann verstehe ich, wenn er sagt, nee, also das ist mir nicht wichtig. Wenn Glaube bedeutet, mit meiner Konfigruppe auf eine Freizeit zu fahren und Gemeinschaft zu erleben, dann wäre die Antwort vielleicht anders.
Racherbäumer: Die Fragen, die die Jugendlichen haben, sind häufig mit Kirche verbunden. Was passiert nach dem Tod? Hat Gott die Welt geschaffen? Was ist der Sinn des Lebens? Ich brauche einen Imagefilm. (lacht)
Kringel: Die Neujahrslosung ist "Prüfet alles und das Gute behaltet". Dieses Gehen-lassen braucht es, damit dann wir unsere Kräfte und Ressourcen für andere Dinge bündeln. Die Idee ist eine Gemeinde, die ein Stück weit ohne Pfarrpersonen auskommt. In der wir nicht der Flaschenhals sind, sondern Netzwerkerinnen.
Racherbäumer: Ich glaube, die Gemeinde der Zukunft hat einfach offene Türen für alle. Ich rechne nicht mit fundamentalen Änderungen, dafür ist Kirche zu träge. An vielen Stellen ist es auch gut, dass wir nicht sofort mit jeder neuen Idee alles umwerfen. Aber ich bin durchaus offen für Kreatives und Neues.
Schneider: Für ungemein wichtig halte ich die Ökumene. Viele unserer Gemeindeglieder leben in konfessionsverbindenden Familien. Deshalb ist mir die Partnerschaft mit den katholischen Gemeinden absolut wichtig.
Kringel: Ich denke, die Ökumene ist die engste Vernetzung, die wir haben. Darüber hinaus gilt es, religiöse Zusammenarbeit und Toleranz zu fördern. Da schließe ich den Atheismus mit ein als Nichtreligion. Demnächst bin ich im Gespräch mit den muslimischen Glaubensgemeinschaften aus Karlstadt, das hat die Integrationsbeauftragte der Stadt angestoßen. Das muss auch von den politischen Gemeinden kommen: Ich kenne es aus anderen Gemeinden, dass auch der muslimische Partner etwa zu Einweihungen eingeladen wird und dass man dann zu dritt ist.
Kringel: Eine Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ist in Bayern leider noch nicht möglich. Das widerspricht für mich dem Satz, alle Menschen sind gleich. Ansonsten wünsche ich mir gegenseitiges Vertrauen von den Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, weil wir eben alle nicht wissen, wo es hingeht.
Schneider: Ich wünsche mir, dass die Menschen in den Kirchengemeinden offener und einladender werden, allen Menschen gegenüber. Dass sie durch die eigene Freude am Gemeindeleben auch Freude ausstrahlen, sodass andere dazu kommen.