
In den Briefkästen der Zellinger Bürgerinnen und Bürger landeten vor einiger Zeit Postkarten; erfragt wurden darauf die Heiztechnik, die Eigentumsverhältnisse – und ob grundsätzlich Interesse an einer Versorgung mit Nahwärme besteht. Je nach Ausgang dieser Befragung könnten in nicht allzu ferner Zukunft bereits erste Rohre im Ort verlegt werden. Entstehen soll ein Wärmenetz mit einer Wärmepumpe und Hackschnitzelheizung. Eine Großwärmepumpe in einem Nahwärmenetz einzusetzen, sei relativ neu, erklärt die ausführende Firma GP Joule. Eine davon hat die Firma jüngst in Mertingen verbaut (Lkr. Donau-Ries, Schwaben). Ein Besuch vor Ort.
Die Büros der Firma GP Joule finden sich im ehemaligen Schweinestall des Maierhofs in Buttenwiesen (Lkr. Dillingen an der Donau). Die Firma ist aus zwei landwirtschaftlichen Betrieben heraus entstanden, einer in Bayern und einer in Norddeutschland. Die Landwirte lernten sich im Studium kennen, erklärt Pressesprecherin Gloria Geißler-Brems, und probierten schon früh immer wieder neue Technologien aus. "Den Hof kann man als Reallabor sehen", so Geißler-Brems. Mittlerweile umfassen die Projekte des Unternehmens unter anderem Windkraft, PV, Wasserstoff, E-Mobilität – und den Ausbau und Betrieb von Nahwärmenetzen.
Das Vorbild für Zellingen steht im wenige Kilometer entfernten Mertingen. Hier gibt es seit 2017 ein Nahwärmenetz, seit November ist dort eine Großwärmepumpe an der Versorgung beteiligt. "Ein Wärmenetz mit Wärmepumpe mag in Deutschland etwas Neues sein, in Skandinavien ist das gang und gäbe", sagt Jörg Baumgärtner. Er ist Kämmerer der Gemeinde Mertingen und Geschäftsführer der proTherm Mertingen GmbH. Diese Betreibergesellschaft des Wärmenetzes gehört zu 55 Prozent der Gemeinde Mertingen und zu 45 Prozent GP Joule.
Gemeinde investierte eine halbe Million
In einer Spanne von acht Jahren habe die Gemeinde insgesamt 500.000 Euro investiert, die Wärmepumpe allein hat 2,5 Millionen Euro gekostet. "Wir entscheiden über unsere eigene Energiewende", so begründet Baumgärtner den Beschluss der Gemeinde, in proTherm zu investieren. Die Wärmepumpe liefert als thermische Ausgangsleistung zwischen 750 und 900 Kilowatt, zwei Pufferspeicher umfassen jeweils 82.000 Liter Wasser. Der Strombedarf für die Pumpe liegt bei 300 bis 350 Kilowatt maximaler Stromleistung, die sich aus einer PV-Freiflächenanlage speist, mit zusätzlichem Bezug aus dem Stromnetz.
Von der Machbarkeitsstudie bis zur Gründung der Gesellschaft seien lediglich fünf Gemeinderatssitzungen nötig gewesen. "Es braucht klare Entscheidungen und klare Befürworter", sagt Baumgärtner. Auch die Entscheidung, das Netz durch eine Wärmepumpe zu erweitern, sei relativ klar gewesen. "Was gibt es an Alternativen?", fragt Baumgärtner. Um den Ort herum seien alle Biogasanlagen eingebunden, Hackschnitzelholz sei nicht ausreichend vorhanden und für eine Grundwasser-Wärmepumpe wäre zu viel Wasser nötig.
Von einer Beteiligung der Bürger am Nahwärmenetz ist Baumgärnter nicht überzeugt. Denn einerseits sollen niedrige Energiepreise erreicht werden. Entscheide man sich für Bürgerbeteiligung, sollten gleichzeitig aber auch die Erträge optimiert werden. Das sind für ihn gegenläufige Ziele. Die Beteiligung laufe daher über die Gemeinde. "Wenn am Ende des Tages bei dem System Gewinn überbleibt, sind das sozialisierte Erträge für die Gemeinde", erklärt Baumgärtner.
Auf viel Erfahrung mit der Wärmepumpe im Netz kann Baumgärtner noch nicht zurückgreifen, die Technik wurde erst im November 2023 eingebaut. "Wir haben keinen harten Winter gehabt, um die Großwärmepumpe auf Herz und Nieren zu prüfen", sagt er. Diesen Winter lief sie aber bereits im Testbetrieb und hat Wärme erzeugt. Ein neues System müsse ausführlicher getestet werden als herkömmliche Heiztechnik, so Baumgärtner – doch das übernehme GP Joule.
Im Neubau muss die Rentabilität des Anschlusses individuell geprüft werden
Wie viel Strom die Zellinger Wärmepumpe verbrauchen würde und wie viele Haushalte sie versorgen könnte, richtet sich mitunter nach den interessierten Haushalten, heißt es von GP Joule. Zunächst läuft der Betrieb über Netzstrom, konkret soll es Ökostrom von GP Joule sein. Das Netz soll zu Beginn auch in Kombination mit einer Hackschnitzelheizung versorgt werden. Johanna Weidlich erläutert die Gründe dafür – sie ist Projektentwicklerin und begleitet die Installation von Nahwärmenetzen für GP Joule.
Einerseits sei die Lieferzeit für die Wärmepumpe länger, andererseits könne auf lokales Holz zurückgegriffen werden. "Langfristig, in etwa 20 bis 30 Jahren, glaube ich nicht, dass wir auf Hackschnitzel setzen werden", sagt Weidlich. Die Heiztechnik im Netz lasse sich aber auch austauschen.
Egal mit welcher Technik verspricht GP Joule allerdings eine Vorlauftemperatur von 65 bis 70 Grad Celsius. Das hat den Effekt, dass alte Heizkörper bei einem Netzanschluss in der Regel nicht ausgetauscht werden müssen. "Die Netze der GP Joule sind darauf ausgerichtet, im Altbau zu funktionieren", sagt Weidlich. Im Neubau dagegen sei es sehr individuell, ob eine eigene Wärmepumpe oder der Netzanschluss kostengünstiger ausfallen. In Kürze sollen die Preise auf der Website verfügbar sein und Anträge können gestellt werden. Der Bezugspreis der Wärme sei in den Anfangsjahren etwas teurer. "Weil wir Investitionen haben – aber auch, weil der Gaspreis zu niedrig ist", sagt Weidlich.
Die Preise für den Anschluss hängen auch davon ab, wie viele Haushalte mitmachen. "Das ganze Projekt basiert auf Solidarität", sagt Weidlich. Zwar sei es auch nachträglich noch möglich, Anträge abzugeben. Es sei aber "extrem ungünstig, wenn abgewartet wird, dass der Bautrupp zum Nachbarn kommt", so die Projektentwicklerin. Der Zeitplan könne sich dadurch verzögern und manchmal sei ein Anschluss kurzfristig auch nicht mehr möglich. Für die Realisierung des Projektes müssen sich zudem rund 50 Prozent der Haushalte anschließen lassen.
Ein Stück weit Testbetrieb wird das Netz zu Beginn natürlich noch bleiben, weil die Technologie hierzulande kaum auf diese Weise im Einsatz ist. Weidlich sieht die Situation pragmatisch: "Es funktioniert in Mertingen, es wird in Zellingen funktionieren."
Bürgermeister Wohlfahrt reiste an Grenze zu Dänemark
Bürgermeister Stefan Wohlfahrt war im Juli selbst an der dänischen Grenze, um dort den zweiten Firmensitz von GP Joule zu besuchen. Er habe sich das vor Ort anschauen wollen: "Das sind sehr langfristige Verträge, die man da abschließt", sagt Wohlfahrt. Auch für Zellingen soll eine Betreibergesellschaft gegründet werden, an der sich die Gemeinde und GP Joule beteiligen.
Für ihn liegen die Vorteile des Nahwärmenetzes darin, dass die Vorgaben aus dem Heizungsgesetz erfüllt seien und die Vorlauftemperatur von 60 Grad Celsius so hoch sei, dass man die alten Heizkörper weiter benutzen könne. "Die skandinavischen Länder, vor allem Dänemark, sind bei der Versorgung mit Nahwärme viel weiter", lernte Wohlfahrt bei seiner Exkursion. Er denkt bereits noch weiter in die Zukunft, an eine Wasserwärmepumpe: "Perspektivisch ist es das Ziel, das Flusswasser mitzunutzen, wenn das gesetzlich möglich ist."
Die Ergebnisse der Interessensumfrage werden laut GP Joule in der Gemeinderatssitzung vom 17. September offiziell bekannt gegeben, es soll eine grobe Karte mit den Clustern der Rückmeldungen gezeigt werden.