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Main-Spessart
Wie Eltern in der Corona-Krise die Balance nicht verlieren
Den ersten Lockdown haben manche Familien sogar ein bisschen genossen, weiß der Psychologe Ottmar Braunwarth. Spätestens seit Weihnachten sieht die Situation jedoch anders aus.
Als die Pandemie ausbrach, mussten Eltern improvisieren. Ein Jahr später belasten diese Übergangslösungen viele Beziehungen. (Symbolbild)
Foto: fotolia | Als die Pandemie ausbrach, mussten Eltern improvisieren. Ein Jahr später belasten diese Übergangslösungen viele Beziehungen. (Symbolbild)
Carolin Schulte
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:55 Uhr

Seit Beginn der Pandemie sind Eltern plötzlich nicht mehr nur Eltern, sie sind Hauslehrer, Spielgefährten, Krisenmanager und müssen sich täglich auf neue Situationen einstellen. Ottmar Braunwarth, Leiter der Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder im Landkreis Main-Spessart, erlebt in Gesprächen mit Eltern, wie sehr die Corona-Krise ihre Paarbeziehung verändert hat. Im Interview erzählt Braunwarth, warum die Stimmung bei vielen Familien um Weihnachten herum gekippt ist und worauf es jetzt in der Kommunikation zwischen den Elternteilen ankommt.

Frage: Was berichten Ihnen Eltern in der Beratung über ihre aktuelle Gefühlslage in der Pandemie?

Ottmar Braunwarth: Familien funktionieren prinzipiell gut, solange die Eltern einfühlsam und psychisch gefestigt sind sowie einen strukturierten Erziehungs- und Betreuungsrahmen schaffen können. Das hat sich mit der Dauer der Pandemie etwas verändert. Wir können nur das bestätigen, was bereits in Studien und den Medien berichtet wird: Eltern beschreiben das Gefühl, in einer Tretmühle zu stecken, Kindergarten auf, Kindergarten zu, Schule auf, Schule zu. Das Gefühl, das Familienleben planen zu können, ist umgekippt in ein Gefühl von Fremdbestimmtheit. Die Entscheidungen der Regierenden sind hinzunehmen. Doch der Glaube, dass die beschlossenen Maßnahmen immer sinnvoll und wirksam sind, sinkt. Als Reaktion darauf hören wir, dass man sich berechtigt fühlt, Vorgaben abzuwandeln und im kleinen Rahmen seine eigenen Regeln zu definieren.

Ottmar Braunwarth leitet die Beratungsstelle für Familien im Landkreis.
Foto: Holger Steiger | Ottmar Braunwarth leitet die Beratungsstelle für Familien im Landkreis.
Wie sind Familien anfangs mit Corona umgegangen?

Braunwarth: Viele Familien waren vor Corona sehr durchgetaktet, dabei aber gut organisiert, unterstützt von Kindergarten, Schule, Mittagsbetreuung, Großeltern und Vereinen. Im ersten Lockdown hatte man sich als Familie auf die notwendigen und als sinnvoll erlebten Anpassungen eingestellt. Es gab anfangs sogar positive Rückmeldungen, zum Beispiel man habe mehr draußen unternommen, mehr miteinander geredet, Väter haben sich mehr eingebracht. Dann fielen im Sommer 2020 die Corona-Zahlen deutlich. Auch wenn damals schon die Gefahr einer zweiten Welle an die Wand gemalt wurde, rechneten die Familien damit, spätestens Anfang 2021 wieder zum früheren Alltag zurückkehren zu können.

Ist in den Familien seit dem Lockdown vor den Weihnachtsferien etwas anders?

Braunwarth: Seit Anfang dieses Jahres realisieren Familien mehr und mehr, dass die ersehnte Normalität sich einfach nicht einstellen will und die ständigen Übergangslösungen keine Lösung auf Dauer darstellen. Alle fühlen sich erschöpft sind und haben das Gefühl, nur irgendwie noch zu funktionieren. In der Familie reagieren alle gereizter. Die Kommunikation wird rauer, das Einfühlen in die Perspektive des anderen wird als immer anstrengender erlebt. Jeder in der Familie ist damit beschäftigt, selbst emotional und mental mit der gefühlt nicht-enden-wollenden Situation klarzukommen. In den Gesprächen wird thematisiert, dass das ganze Familiensystem unter Stress steht und aus der Balance gerät.

Wie wichtig ist es in dieser Situation, miteinander zu reden?

Braunwarth: Der Corona-Stress macht wie ein Brandbeschleuniger für alle sichtbar, wie gut in einer Familie miteinander kommuniziert wird. Eltern sind durch das Hin und Her der Bestimmungen gezwungen, kurzfristige Lösungen zu finden. Die gelingen oft nur, wenn ein Elternteil seine Bedürfnisse hinten anstellt. Damit dies über längere Zeit gut gehen kann, ist ein konstruktiver Umgang miteinander gefragt.

Woran kann die Kommunikation zwischen den Partnern scheitern?

Braunwarth: Auch wenn es abgedroschen klingt, die in vielen Ratgebern beschriebenen kommunikativen Stereotypien zwischen Frauen und Männern beobachten wir oft. Frauen wollen reden, Männer tendenziell weniger. Männer nehmen eher an, dass sich alles irgendwie wieder einrenkt. Frauen dagegen erwarten, dass der Mann merkt, was sie eigentlich brauchen, ohne dass sie es jedes Mal explizit aussprechen. Sie formulieren weniger eindeutig, weil sie befürchten, damit Konflikte zu produzieren. So staut sich Frust auf, der dann oft an Kleinigkeiten explodiert. Das sollten Paare als wichtiges Signal betrachten, dass etwas Tieferliegendes nicht stimmt. Häufen sich solche ungeklärten Konflikte an, wächst die emotionale Distanz zwischen den Ehepartnern, die dann andere Ebenen der Partnerschaft negativ beeinflusst: Zum Beispiel schließen sich emotionale Distanz und Sexualität aus.

Es wird viel über die Aufteilung der familiären Lasten zwischen Müttern und Vätern gesprochen. Was bekommen Sie mit, wie Corona dies beeinflusst hat?

Braunwarth: Es sind eher die Mütter, die ihre Arbeit umorganisieren, wenn der Kindergarten mal wieder schließt und die das Homeschooling überwachen. Manche Paare haben das so abgesprochen, bei anderen hat sich die Aufteilung ergeben. Das war am Anfang kein Problem, schließlich war die Erwartung, dass dieser Zustand nur kurz anhält. Seit Weihnachten thematisieren aber mehr Mütter in der Beratung, dass sie mit der Aufteilung der Lasten in der Familie unzufrieden sind, weil sie das Gefühl haben, dass vorwiegend sie ihre Bedürfnisse zurückstellen. Die Aufteilung, die für den überschaubaren Zeitraum der ersten Welle 2020 in Ordnung war, passt nun für die Langstrecke nicht mehr.

Wie wichtig ist es in dieser Situation, Wertschätzung für den Partner auszudrücken?

Braunwarth: Wie brachte es eine Mutter auf den Punkt: "Es stimmt ja eigentlich, was mein Mann sagt. Und doch bin ich unzufrieden!" Es reiche ihr nicht, wenn sie zur Antwort bekomme: "Ich weiß, dass das viel ist, was du machst. Aber wie sollen wir es anders regeln?" Sie wisse, dass es tatsächlich sachliche Gründe für diese Aufteilung gebe, das helfe ihr aber nicht weiter. Der Vater klang auch unglücklich, denn diese Gefühle sind auch nicht einfach zu verstehen. Häufig stellt sich im Gespräch heraus, dass man sich vom Partner nicht genug gewürdigt fühlt, dass die Aufteilung selbstverständlich geworden ist und ein Partner gar nicht mehr bemerkt, welche Belastung der andere Partner aushält. Es wird weiter beklagt, dass der andere Elternteil den Frust und Ärger schon gar nicht mehr hören will. Dabei erzählen Mütter oft durchaus selbstkritisch, dass ihnen bewusst ist, dass sie viel zu oft nörgeln, ohne es zu wollen. Dafür machen sie sich selbst Vorwürfe, was sie noch weiter runterzieht. Aber es gelingt beiden Elternteilen nicht, aus dem Teufelskreis herauszukommen.

Wie können Sie Eltern in den Gesprächen dabei helfen?

Braunwarth: Konflikte kann man sich wie einen Eisberg vorstellen, der entscheidende Teil liegt unter der Oberfläche. Obwohl sich der Konflikt um sachliche Themen dreht, gilt es zu verstehen, was hinter den Sachargumenten verborgen ist. Wir arbeiten heraus, was die Konfliktpartner mit ihren Handlungen wirklich meinen und zu erreichen suchen. Sonst diskutiert man zwar engagiert miteinander, aber redet doch aneinander vorbei oder dreht sich im Kreis. Konflikte zeigen an, dass auf jeder Seite berechtigte persönliche Bedürfnisse meistens nicht erfüllt sind. Ein Berater oder Therapeut ist ein neutraler Dritter, der durch aktives Zuhören und wohlwollendes Nachfragen jedem Elternteil signalisiert, dass er die ihre Sichtweisen verstehen will und sich vergewissert, dass er die wirklichen Beweggründe verstanden hat.

Welche Ergebnisse erzielen Sie in der Beratung?

Braunwarth: "Das habe ich so bisher nicht gesehen!", ist ein typischer Ausspruch, wenn ein Partner erkennt, was hinter den Vorwürfen oder Nörgeleien des anderen steckt. Fühlt ein Mensch sich mit seinem Anliegen gesehen, dann öffnet er sich. Dadurch gibt es wieder eine gemeinsame Basis, um tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Von außen betrachtet gibt es dann manchmal verwunderliche Ergebnisse: Es kommt nämlich vor, dass am Ende alles bleibt, wie es ist. Die „gefühlte“ Veränderung zeigt sich jedoch an anderer Stelle: Dass der Vater zum Beispiel viel öfter ausspricht, dass er die Arbeit seiner Frau in der Corona-Organisation schätzt. Und es nicht nur bei schönen Worten belässt. Er bleibt achtsam und stellt an anderen Stelle seine Bedürfnisse zurück, ohne dass seine Frau dies erst aktiv einfordern muss. So kann seine Frau auch wieder Dinge tun, die gut für ihre innere Balance sind.

Das Team der Beratungsstelle unterstützt Eltern, Kinder und Jugendliche. Die Beratung ist kostenlos und ortsnah in Karlstadt, Marktheidenfeld, Gemünden oder Lohr möglich. Interessierte bekommen in der Regel innerhalb von vier Wochen einen Termin. Mehr Informationen gibt es unter www.erziehungsberatung-msp.de oder Tel.: (09353) 7931580.

 
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