zurück
Marktheidenfeld
Wenn ein Mitschüler plötzlich abgeschoben wird
Murtaza Azizi wurde vergangene Woche nach Afghanistan abgeschoben. Wie seine schockierten Mitschüler und Lehrer versuchen, mit ihm in Kontakt zu bleiben.
Über 100 Schüler protestierten gegen die Abschiebung von Murtaza Azizi.
Foto: Rebecca Wolfer | Über 100 Schüler protestierten gegen die Abschiebung von Murtaza Azizi.
Rebecca Wolfer
Rebecca Wolfer
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:01 Uhr

"Welchen Unschuldigen trifft es als Nächsten?", "Afghanistan ist kein sicheres Land" und "Wo ist Murtaza?" steht auf den Plakaten, die die Schüler der Fach- und Berufsoberschule Marktheidenfeld schweigend hochhalten. Über hundert haben sich am Montag auf dem Pausenhof versammelt. Sie wollen darauf aufmerksam machen, was eine Woche zuvor passiert ist: Ihr Mitschüler Murtaza Azizi ist einer der sieben Afghanen aus Unterfranken, die am 7. Januar abgeschoben wurden.

Murtaza Azizi wurde am 7. Januar nach Afghanistan abgeschoben.
Foto: Murtaza Azizi | Murtaza Azizi wurde am 7. Januar nach Afghanistan abgeschoben.

"Dass er einen Ablehnungsbescheid erhalten hatte, war uns bekannt, aber mit einer solchen Nacht- und Nebelaktion hatte niemand gerechnet", schreiben Murtazas Ethiklehrer Reinhold Grimm und sein Klassenlehrer Jürgen Bischof in einem Brief an die Main-Post-Redaktion.
"Es ist klar, dass Abschiebungen ins Heimatland grundsätzlich von der Zentralen Ausländerbehörde nicht angekündigt werden", sagt Johannes Hardenacke, Pressesprecher der Regierung von Unterfranken, "eine Ankündigung ist nach den gesetzlichen Regelungen bei Abschiebungen ins Heimatland sogar verboten."
Die Schule habe erst von der Abschiebung erfahren, als der 22-Jährige montags nicht in die Schule gekommen ist und die Schulsozialpädagogin ihn deshalb angerufen hatte. Zu dieser Zeit saß er schon auf der Polizeiwache in Würzburg, abends ging sein Flug nach Kabul.

 

Auch Lukas Kleinhenz, der Azizi an der UNI-Schule in Würzburg Deutsch beigebracht hat, erfuhr erst an diesem Tag, dass er abgeschoben werden soll. Er wollte sich auf der Polizeistation von ihm verabschieden, durfte ihn aber nicht sehen. Hier ist sein Facebook-Post dazu:

Anzeige für den Anbieter Facebook Beitrag über den Consent-Anbieter verweigert

"Wir als Schule wurden weder von der Polizei, noch von einer anderen Behörde informiert", sagt Jürgen Bischof, "deshalb war es leider nicht möglich, sich von ihm zu verabschieden." Die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken habe die Abschiebung später bestätigt, konnte aber wegen des Datenschutzes nichts zu den Gründen sagen. 

Azizi wollte Altenpfleger werden

Die Klasse, die Bischof leitet, ist die sogenannte Berufsintegrationsklasse.  In dieser werden Geflüchtete auf eine Ausbildung vorbereitet. Murtaza Azizi, der in Würzburg wohnte und insgesamt über drei Jahre lang in Deutschland lebte, besuchte diese Klasse seit Herbst 2018. Er hat bereits ein Praktikum in einem Seniorenheim in Veitshöchheim gemacht und "hatte den Plan, eine Ausbildung in der Altenpflege zu absolvieren", schreiben Grimm und Bischof im Leserbrief. Für die beiden ist es unverständlich, warum der Afghane abgeschoben wurde: Sie hätten ihn als motivierten, umgänglichen und interessierten Schüler kennengelernt. 

Farhad Masuri (links) und Atiqulla Amini waren Azizis Mitschüler.
Foto: Rebecca Wolfer | Farhad Masuri (links) und Atiqulla Amini waren Azizis Mitschüler.

Für seine Mitschüler kam die Nachricht ebenfalls überraschend: "Er war gut integriert, wollte eine Ausbildung machen und hat schon Geld für den Führerschein ausgegeben", sagt Farhad Masuri. "Afghanistan ist kein sicheres Land für ihn, die Taliban könnten überall sein." Er erzählt, dass Azizis Bruder von den Taliban getötet wurde. Sein anderer Bruder habe eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland bekommen, genau wie Farhad Masuri selbst. Sein Mitschüler Atiqulla Amini bekam dagegen einen Ablehnungsbescheid, so wie Azizi. "Ich kann nicht verstehen, warum manche hier bleiben dürfen und andere, die sich gut integriert haben, abgeschoben werden", sagt er. Seine Zukunft könne er wegen der drohenden Abschiebung nicht wirklich planen. 

Kontakt über WhatsApp und Telefon 

Farhad Masuri hat noch Kontakt zu Azizi, sie schreiben über WhatsApp. "Er wohnt jetzt in einer Flüchtlingsunterkunft, ohne seine Familie und mit wenig Geld", beschreibt er.

Vergangene Woche konnte er seine ehemalige Klasse noch einmal sehen: Die Schüler haben im Unterricht per Videoanruf mit ihm telefoniert. Klassenlehrer Bischof erzählte, dass sich Azizi selbst nicht erklären konnte, warum er abgeschoben wurde: "Er meinte zu uns: 'Ich habe Deutsch gelernt, will eine Ausbildung machen, bemühe mich – was hätte ich noch machen sollen?'" 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Marktheidenfeld
Rebecca Wolfer
Abschiebungen
Altenpfleger
Aufenthaltserlaubnis
Berufsoberschule Marktheidenfeld
Bischöfe
Datenschutz
Deutsche Sprache
Klassenlehrer
Taliban
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • ammi187@gmail.com
    Beschneidung der Meinungsäußerung, Rassistische Tendenzen in der Regierung. Was kommt als nächstes...?????
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Hätte Deutschland sich in Afghanistan nicht eingemischt

    wäre mMn die Ausgangslage "ein wenig anders" (dann könnten "wir" jetzt nämlich durchaus erwarten, die sollten ihre Probleme dort selber lösen). Ein Land aber erst destabilisieren(!), indem man eine (korrupte) Marionettenregierung unterstützt, und dann (unter Im-Stich-Lassen der Leute, die einen vor Ort unterstützt haben und jetzt als "Kollaborateure" gefährdet sind) den Schwanz einziehen, wenn man sieht, das wird nichts - das geht eigentlich gar nicht.

    Ich frage also: was zum Teufel hat das gesollt? Und sich unter Berufung auf irgendwelche Gesetze aus der Affäre zu ziehen, mag ja dem Buchstaben nach legal sein, ist aber sicher nicht geeignet, das Ansehen Deutschlands in der "großen weiten Welt" zu mehren.

    Wer da meint, "Out-of-Area-Einsätze" betreiben zu müssen, sollte für die möglichen Folgen wirklich bessere Antworten zu bieten haben. Wenn ich es mit einem Wort kommentieren sollte: ich finde sowas "schäbig".
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • stefan.behringer@web.de
    Es sollte insgesamt konsequenter abgeschoben werden!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Erding
    Zur Überschrift: Wenn ein Mitschüler plötzlich abgeschoben wird
    Wenn ein Asylverfahren läuft, so ist der Ausgang eben nicht gewiß. Wird er anerkannt oder nicht? Wenn nicht, dann eben nicht. Und dann muss abgeschoben werden, um ein illegales Abtauchen zu verhindern. Auch da wäre der Schüler spurlos verschwunden, ohne sich von der Schulgemeinschaft zu verabschieden. Schlußfrage: Was ist da bittschön illegal? Ist es illegal, wenn ein Schüler aufgrund seiner Noten, die Schule verlassen muss?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • vorzimmer@gemuenden.bayern.de
    Wenn das Gesetz sagt zurück dann ist es Fakt.
    Diese Schüler werden von Lehrer mit einer falschen Gerechtigkeit geimpft.
    Jung naiv unerfahren und das wird ausgenutzt bis zum letzten Tröpfchen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • jim-alfred
    Armes Deutschland
    Menschen die sich intregieren, deutsch lernen u. können , arbeiten und eine Ausbildung machen oder machen können (oder wollen ),sich nichts zu Schulden kommen lassen , werden abgeschoben !!!!!!!!!!
    Verbrecher die sich nicht intregieren ,schon gar nicht wollen, zig Verbrechen begangen haben werden nicht abgeschoben !!!!!!
    Warum ?? weil sie ihren Ausweis weggeschmissen haben, oder weil Sie das Land angeblich nicht mehr aufnehmen will, was soll der*********???
    Die Leute die so was "orgarnisieren sollten selber abgeschoben werden, und zwar in die Wüste.!!
    Es geht doch nur darum, dass man " Erfolge " ( Abschiebungen ) vorweisen kann.
    da nimmt man halt ,wie es schon immer ist die " kleinen ".
    Frau Merkel, nehmen Sie so schnell wie möglich ihrn Hut und verschwinden .
    Wir schaffen das schon .!!???
    Ohne Ehrenamtliche Bürger die alles geben ,würden wir im Kaos versinken !!
    Was ist der Dank dafür ???
    Flüchtlinge die von den Leuten " aufgebaut " wurden, werden abgeschoben
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • lotte432
    Wir haben einen Hinweis zu Ihrem Kommentar: Bitte Belege dafür, dass deutsche Soldaten jeden Tag in Afghanistan ihr Leben lassen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • eewich
    Was ist denn da so schlimm? Was will uns die Main-Post-Redaktion mit diesem weinerlich aufgemachten Artikel sagen? Sollten solche Aktionen vorher angekündigt werden?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Erding
    Wir haben einen Hinweis zu Ihrem Kommentar: Bitte Behauptungen belegen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • jbehr74
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette, bitte Sarkasmus unterlassen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • TLW-tu_W
    Ich bin verwundert warum sein Bruder für 3 Jahre hier bleiben darf und er nicht?
    Das ist doch vollkommen unsinnig. Warum sollte es für ihn sicher in Afghanistan sein und für seinen Bruder nicht?

    Davon abgesehen das Afghanistan mit Sicherheit kein sicheres Herkunftsland ist.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Auf eigenen Wunsch entfernt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • TLW-tu_W
    Das geht zwar an den Fakten völlig vorbei. Aber die Einstellung ist man ja leider schon gewöhnt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • mausschanze
    Sie sind für die Kommentarfunktion gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • DFR4
    Oh ja, Fakten. Das fordern Sie ja permanent ein. Und selber ?
    Sowas liebe ich.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • joerg.nellen@gmx.de
    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das unterrichten wir täglich. Das wird vom Grundgesetz geschützt. Murtazas Würde ist durch die bayerische Abschiebepraxis real bedroht. Bestimmt der Wohnort den Wert des Grundgesetzes?
    Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erneuert ihre Forderung: (Aus)Bildung statt Abschiebung! Bildungseinrichtungen müssen geschützte Räume bleiben!
    Wir können unsere Forderung, dass Schulen und Bildungseinrichtungen Schutzräume sein müssen, in denen alle sicher und vertrauensvoll lernen können, nur bekräftigen. Die Staatsregierung muss sich daran halten und darf das in der tagtäglichen schulischen und betrieblichen Arbeit gebildete Vertrauen nicht durch solche Maßnahmen konterkarieren.
    Vor einigen Wochen hat die Bildungsgewerkschaft dazu eine Unterschriftensammlung präsentiert. Insgesamt etwa 1.500 Lehrkräfte in Bayern haben sich gegen Abschiebungen aus Bildungseinrichtungen wie der FOS Marktheidenfeld ausgesprochen.
    Jörg Nellen, GEW-Geschäftsführer
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Franken48
    Die meisten Meckern, es wird zu wenig abgeschoben. Wird dann endlich abgeschoben,was vollkommen richtig ist, Meckern auch welche. nicht zu verstehen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Erding
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette: Bitte keine Spekulationen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Franken48
    Es gibt Gesetze und die gilt es zu beachten. Also was soll die Aufregung. Es müssen noch viel mehr abgeschoben werden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten