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Heßdorf
Wegen angeblicher Beziehung zu Polin: Arnold Stern aus Heßdorf fiel vor 85 Jahren im KZ der Euthanasie zum Opfer
Der 22-jährige Jude Arnold Stern hatte 1939 in einer Höllricher Gastwirtschaft behauptet, er habe eine Beziehung zu einer polnischen Zwangsarbeiterin. Wegen "Rassenschande" kam er in Haft.
Arnold Stern aus Heßdorf wurde vor 85 Jahren ermordet.
Foto: Yad Vashem | Arnold Stern aus Heßdorf wurde vor 85 Jahren ermordet.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 10.01.2025 02:33 Uhr

Der Heßdörfer Arnold Stern gehörte im Dritten Reich zwei, wenn nicht gar drei von den Nazis brutal verfolgten Minderheiten an: Er war Jude, psychisch krank und offenbar intellektuell etwas beeinträchtigt. Als der junge Mann 1937 nervenkrank wurde, kam er in die "Heilanstalt" Kaufbeuren – dort wurde er zwangssterilisiert. Nach seiner Entlassung 1938 war sein Schicksal so gut wie besiegelt. Ohne Vermögen und die nötigen geistigen Fähigkeiten konnte er sich der NS-Todesmaschinerie nicht entziehen und wurde vor 85 Jahren ermordet.

Stern machte einem Main-Post-Artikel aus dem Jahr 1983 und Recherchen von Wolfgang Vorwerk zufolge zudem schlimme Erfahrungen mit dem 1935 erlassenen "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Das sogenannte Blutschutzgesetz stellte die Eheschließung zwischen Jüdinnen und Juden und "Staatsangehörigen deutschen Blutes" unter Strafe. Auch der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden, auch solchen mit dem deutschen "artverwandtem Blut", wurde als Verbrechen gewertet. "Rassenschande" nannte sich der lebensgefährliche Vorwurf, der auch den 22-jährigen Arnold Stern traf.

Angetrunken mit der Beziehung zu einer Polin geprahlt

Der landwirtschaftliche Arbeiter wurde in Polizeihaft genommen, als er in angetrunkenem Zustand am 25. November 1939 in einer Höllricher Gaststätte äußerte, er habe eine Beziehung zu einer polnischen Zwangsarbeiterin. Die Frau war nach der Besetzung Polens kurz zuvor als Zwangsarbeiterin ins Deutsche Reich verschleppt worden und arbeitete seither auf dem Gut in Höllrich. Der Gastwirt hatte die Gendarmerie gerufen. Stern wurde auch vorgeworfen, er habe in der Wirtschaft ohne Erlaubnis des Wirts ein Ferngespräch mit seiner Mutter geführt.

Gedenktafel zur Erinnerung an die Deportation der jüdischen Mitbürger aus dem Ortsteil Heßdorf. Arnold Stern fehlt auf der Tafel.
Foto: Helmut Hussong | Gedenktafel zur Erinnerung an die Deportation der jüdischen Mitbürger aus dem Ortsteil Heßdorf. Arnold Stern fehlt auf der Tafel.

Obwohl er bei einer Vernehmung sagte, dass seine Behauptung mit der Beziehung zu der Zwangsarbeiterin gar nicht stimmte, blieb er nahezu zwei Monate im Amtsgerichtsgefängnis Hammelburg inhaftiert. Es wurde ihm außerdem vorgeworfen, dass er mit einem eigenen Fahrrad unterwegs gewesen sei, was Juden nicht erlaubt sei. Stern sagte, das Fahrrad gehöre seinem Onkel Jakob Stern. Der Vernehmungsbeamte urteilte über Stern: "ein frecher Bursche, der jüdische Manieren hat".

Vorgebliche Beziehung war wohl nur Wunschvorstellung

Die Nachforschungen der Gendarmerie ergaben laut seiner Gestapo-Akte, dass Stern keine Beziehung mit der polnischen Landarbeiterin hatte. Es handelte sich wohl eher um eine Wunschvorstellung des damals 23-Jährigen, der nach eigenen Angaben überhaupt noch keine Beziehung zum anderen Geschlecht gehabt hatte. Die polnische "Fremdarbeiterin" gab an, weder die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen noch jemals erlangen zu wollen, was aber für den rassistischen Hintergrund des Gesetzes keine Rolle spielte.

Stern, 1917 in Heßdorf unehelich geboren, hatte nach der Volksschule eine Metzgerlehre in Dieburg bei Darmstadt gemacht. Danach arbeitete er bei einer Heßdorfer Getreidehandlung und anschließend in Prichsenstadt als Landarbeiter. Dann erkrankte er psychisch und kam von 1937 bis 1939 in psychiatrische Anstalten in München und Kaufbeuren. In Kaufbeuren wurde der als schizophren eingestufte junge Mann sterilisiert. Im Februar 1939 kehrte Stern zu seiner Mutter nach Heßdorf zurück und arbeitete von Mai 1939 bis zu seiner Festnahme am 2. Dezember 1939 wieder als Landarbeiter auf einem benachbarten Gut in Höllrich.

Von der "Hupfla" Lohr aus in den Tod deportiert

Nach seiner Inhaftierung wegen "Rassenschande" wurde er im Januar 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Lohr eingewiesen. "Nach Ausscheidung der unheilbar Kranken wurde Stern von Lohr weggebracht. Später wurde dann seiner Mutter Babette Stern mitgeteilt, daß er an den Folgen einer Infektion gestorben ist", steht lapidar in seinen Akten. Zwar war er bei der Untersuchung durch den Amtsarzt als kräftig und arbeitsfähig eingestuft worden, allerdings fiel er Hitlers Euthanasiebefehl zum Opfer.

Im September 1940 wurde er von Lohr erst kurz in die Anstalt Haar-Eglfing deportiert und dann in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz ermordet. Seine Mutter und sein Onkel wurden am 25. April 1942 nach Osten deportiert und in einem KZ bei Lublin ermordet.

 
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