Dass Oswald Rothaug, ein hochrangiger und berüchtigter NS-Jurist, verurteilt bei den Nürnberger Prozessen, 1897 in Mittelsinn geboren wurde, war in der Sinngrundgemeinde bis zum Erscheinen des neuen Heimatbuches offenbar völlig unbekannt. Sein Vater Johann Adam Rothaug war aber auch nur drei Jahre Volksschullehrer dort. Auch in Aura, wo Rothaug bis zum Tod seines Vaters um 1914 herum aufwuchs, können nur wenige etwas mit dem Namen des Richters anfangen.
Einer immerhin erinnert sich in Aura sogar noch an eine Geschichte in Zusammenhang mit Rothaug und an Rothaugs Spitznamen. Der geschichtlich interessierte Auraer sagt, dass im Dorf erzählt wurde, Rothaug habe einst einem schon zum Tode verurteilten Auraer, der schlecht über Hitler gesprochen habe, das Leben gerettet. Rothaug, der in Aura den Spitznamen „Räümechl“ hatte, habe, vielleicht weil er den Verurteilten kannte, die Strafe umgewandelt in einen Einsatz in einem Strafbataillon. Der Auraer habe den Krieg überlebt. Gegenüber anderen Angeklagten war Rothaug weniger nett.
Nachdem er zwischenzeitlich kurz Landgerichtsrat in Schweinfurt gewesen war, wurde er im April 1937 Landgerichtsdirektor und Vorsitzender des Sondergerichts in Nürnberg, das „Volksschädlinge“ aburteilte und das unter Rothaug und seinem Nachfolger überdurchschnittlich viele Todesurteile aussprach. Rothaug war offenbar kein Nazi der ersten Stunde, sondern zunächst Anhänger des erzreaktionären, nationalistischen Generals Ludendorff. Erst 1938 trat er der NSDAP bei, aber schon zuvor hatte er einen ausgeprägten Judenhass.
Stammgast in Nazi-Lokal
In Nürnberg war Rothaug Stammgast im Lokal „Blaue Traube“. Dort traf er sich und zechte mit einer Clique lokaler Nazi-Größen, darunter hin und wieder auch Gauleiter und „Stürmer“-Herausgeber Julius Streicher, mit dem er auch sonst öfter privat zusammenkam. Rothaug erarbeitete sich unter den Nazis durch drakonische Urteile Respekt. Er arbeitete zudem inoffiziell als Zuträger für den Sicherheitsdienst der SS und war Gaugruppenwalter des NS-Rechtswahrerbundes. Recht zu wahren war indes seine Stärke nicht.
Rothaug, wegen seiner zynisch-brutalen Verhandlungsführung gefürchtet, bezeichnete sich selbst stolz als „Henker von Nürnberg“, „Luzifer“ oder auch mit dem japanischen Herrschertitel Tenno. Wenn er in einem Verfahren ein Todesurteil wollte, bezeichnete und behandelte er den Angeklagten schon bei Prozessbeginn als Todeskandidaten.
Sein bekanntestes Opfer, der jüdische Schuhhändler Leo Katzenberger, hätte eigentlich mangels Beweisen und einer eidlichen Aussage von Irene Seiler, mit der er „Rassenschande“ betrieben haben sollte, schon wieder aus der Haft entlassen werden sollen. Doch stattdessen erhob der junge Staatsanwalt Hermann Markl Anklage und Rothaug holte das Verfahren zu sich vor das Sondergericht. Rothaug wollte mit dem Verfahren gegen den Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg Aufsehen erregen – und er wollte Katzenbergers Tod.
Als Katzenberger am Ende des Verfahrens im berühmten Schwurgerichtssaal 600, wo später nicht nur Göring und Konsorten, sondern auch Rothaug selbst verurteilt wurde, noch ein Wort von Friedrich dem Großen zitieren wollte, unterbrach ihn Rothaug barsch und verwehrte sich dagegen. Das Hetzblatt „Der Stürmer“ schrieb dazu: „Der Vorsitzende aber läßt es nicht zu, daß ein jüdischer Rassenschänder die Gestalt des großen Preußenkönigs besudelt.“ Was der Kaufmann hatte sagen wollen, war: „Nur die Gerechtigkeit erhöht ein Volk.“ Das anschließende, an den Haaren herbeigezogene Todesurteil gegen Katzenberger galt sogar in Nazi-Kreisen als ungewöhnlich hart. Die Beweisführung hielt selbst der berüchtigtste NS-Jurist, Roland Freisler, für „etwas kühn“.
Im Mai 1943 wurde Rothaug Ankläger bei Freislers Volksgerichtshof in Berlin, einem Scheingericht zur Aburteilung von angeblichen Hoch- und Landesverrätern. Rothaug wurde 1947 im Nürnberger Juristenprozess, wie vier weitere Juristen, zu lebenslanger Haft verurteilt. Er habe das Nürnberger Sondergericht zu einem „Teil des Netzwerkes des Terrors und der Unterdrückung gemacht“. Er kam jedoch 1956 – als letzter verurteilter Nazijurist – wieder frei. Rothaug starb 1967 in Köln, wo er sich zuletzt „so mit allerlei Arbeiten“ durchgebracht hatte, wie er anlässlich des Verfahrens gegen seine ehemaligen Beisitzer im Fall Katzenberger sagte.
Oswald Rothaugs Weg zum hochrangigen NS-Juristen
Oswald Martin Rothaug wurde am 17. Mai 1897 in Mittelsinn geboren. Rothaugs Vater war der katholische Volksschullehrer Johann Adam Rothaug, der von 1895 bis 1898 in Mittelsinn unterrichtete und später in Aura, wo der Lehrer auch Dirigent des Chores war. Oswald Rothaug besuchte nach der Volksschule in Aura von 1909 bis 1914 das Königlich Neue Gymnasium in Würzburg (heute Riemenschneider-Gymnasium). Nach dem Tod des Vaters zog Rothaug mit seiner Mutter nach Aschaffenburg und besuchte dort das Gymnasium.
Im Anschluss an den Kriegsdienst ab 1916 studierte er erst ein Semester Forstwirtschaft in München dann sieben Semester Jura in Würzburg, wo er 1922 den Doktortitel mit der Arbeit „Die Rechtsgrundlagen des Forstpolizeirechts in Bayern“ erlangte. Rothaug begann seinen Dienst in der bayerischen Justiz 1927 als Staatsanwalt in Hof. 1929 wurde er Amtsgerichtsrat, im Juni 1933, protegiert von Julius Streicher, Erster Staatsanwalt in Nürnberg.