Niedergeschlagenheit, Schock, Trauer. Mit diesen Worten beschreibt der evangelische Pfarrer Michael Kelinske aus Lohr, welche Stimmungen bei den Menschen vor Ort nach dem gewaltsamen Tod eines 14-Jährigen am Freitag spürbar sind.
"Ich habe am Sonntagvormittag einen Gottesdienst mit Tauffeier gehalten. Eigentlich ein freudiges Ereignis. Aber auch hier hat man gemerkt, dass die Stimmung in der Kirche getrübt und bedrückt ist", sagt Pfarrer Kelinske. Diese Gegensätze, Trauer und Freude, im Gottesdienst gut unterzubringen, ihnen beiden Raum einzuräumen, das sei auch für ihn nicht einfach.
Kelinske hat vor allem die Konfirmandinnen und Konfirmanden im Blick, die die beiden 14-Jährigen – Opfer und mutmaßlicher Täter – und deren Familien teils auch aus der Schule kennen. "Ich habe sie nach dem Gottesdienst direkt angesprochen und angeboten, dass ich da bin, wer Hilfe möchte", erzählt er.
Pfarrer Kelinske: Unsicherheit ist nach Todesfall in Lohr bei Kindern und auch Eltern groß
Auch die Eltern hätten Fragen, die Unsicherheit sei groß: Was passiert mit den eigenen Kindern, die an der Schule sind? "Viele Leute bewegt auch, was die Ereignisse noch für Wellen in Lohr schlagen werden. Und was das alles für eine Kleinstadt wie Lohr bedeutet", sagt der evangelische Geistliche.
Er habe erwartet, dass viele durch das Erlebnis auch mit Gott hadern. "Ich habe aber das Gefühl, dass bei vielen noch einiges durch den Schock überlagert ist, was vielleicht später erst herauskommt", sagt Kelinske.
In den nächsten Tagen stehen für ihn Gottesdienste zum Schulanfang in den Grundschulen an. Auch hier will er dem Opfer und seiner Familie in den Fürbitten gedenken. Allerdings will er die Ereignisse mit sehr viel Fingerspitzengefühl thematisieren.
Für viele in Lohr geht das Leben nach dem Tötungsdelikt weiter, andere spüren Hilflosigkeit
Auch Sven Johannsen, katholischer Pfarrer in Lohr, ist seit Freitag als Seelsorger, Ansprechpartner, Zuhörer und Haltgeber im Einsatz. Wie es ihm am Montagfrüh geht? "Wir sind derzeit alle alles: Seelsorger in der Stadt, Lehrer an der Schule, aber auch Menschen, die genauso erschrocken sind über die Ereignisse und diese erst einmal verarbeiten müssen."
Die Stimmung in der Stadt empfindet Johannsen unterschiedlich: Für viele gehe das Leben normal weiter, andere seien in Trauer, brauchten und suchten die Stille. "Ich habe Jugendliche erlebt, die lange in der Kirche gesessen haben, Kerzen angezündet haben und deren Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit spürbar war."
Pfarrer Johannsen: Das Schulgelände in Lohr zu einem Ort der Gemeinschaft machen
Diese Sprachlosigkeit in Worte zu bringen, das sieht Johannsen derzeit als seine Hauptaufgabe als Pfarrer. Es sei aber auch die Aufgabe aller anderen Menschen, die diese Funktion derzeit übernehmen wollen und können. "Als das Schulgelände wieder betreten werden durfte, war eine Mutter dort als eine der ersten und hat zugehört", erzählt er.
Bei anderen schlagen die Geschehnisse gerade jetzt zum Schuljahresbeginn in Angst und Sorge um. Ein Kind habe ihm von seinen Alpträumen erzählt.
Bewegt habe ihn auch die Erzählung einer Mutter, deren Sohn zu ihr gesagt habe, er sei wütend auf die Erwachsenen. Jugendliche hätten in Lohr keinen Raum sich zu entfalten und die Stadt sei zu einer "Stadt für Alte" geworden.
Johannsen hält es deshalb für besonders wichtig, Perspektiven zu schaffen. Vor allem sei notwendig, das Gelände des Schulzentrums weg von einem Ort des Verbrechens wieder hin zu einem Platz des Zusammenlebens und der Gemeinschaft zu machen.
Menschen in Lohr haben nach Tod des 14-Jährige viele Fragen
"Wir befinden uns in Lohr derzeit einer Ausnahmesituation. Trotzdem müssen wir uns mit der Thematik beschäftigen und uns fragen: Wie kommt ein 14-Jähriger an eine Waffe? Haben wir alle Jugendlichen im Blick? Wer fällt durchs Raster? Und warum greifen all die Gewaltpräventionen an Schulen nicht?", sagt Pfarrer Johannsen.
Das seien einige der Fragen, die jetzt gestellt und beantwortet werden müssen - nicht nur in Lohr.