In Motorbooten fahren die zukünftigen Blauhelme an diesem sonnigen Freitagmittag über den Main bei Gemünden und suchen mit Ferngläsern das Flussufer ab. Plötzlich entdecken sie einen Transportwagen – und drei Männer mit Gewehren in ihren Händen. Die unbewaffneten Militärbeobachter versuchen vom Wasser aus Kontakt zu den Soldaten aufzunehmen, die dort verbotenerweise eine Relaisstation aufbauen, doch die Kommunikation gestaltet sich gar nicht so einfach. Um einige Informationsbrocken schlauer, die ihnen in gebrochenem Englisch zugerufen werden, machen sich die Blauhelme schließlich mit ihren Booten wieder auf den Rückweg.
Nein, in Main-Spessart ist selbstverständlich kein Bürgerkrieg ausgebrochen. Bei der Patrouille auf dem Main handelt es sich um einen Teil der einwöchigen Übung "Blue Banner", die den Abschluss in der Ausbildung zum UN-Militärbeobachter darstellt. Das Vereinte Nationen Ausbildungszentrum der Bundeswehr, das seinen Sitz in Hammelburg hat, hält diesen 45-tägigen Lehrgang momentan ab. Während am Anfang dieses Lehrgangs vor allem theoretische Inhalte stehen, müssen sich die 21 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ende auch in der Praxis beweisen. Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie sind auch wieder internationale Offiziere bei der Übung dabei.
Üben unter realistischen Bedingungen
Als "sehr realitätsnah" beschreibt Oberstleutnant Hans-Joachim Lieb die Szenen, mit denen die angehenden Militärbeobachter konfrontiert werden. Um die Lehrgangsteilnehmer in Situationen zu versetzen, die tatsächlichen Einsätzen ähneln, schlüpfen die Soldaten des Hammelburger Ausbildungszentrums in Rollen. "Man taucht richtig in diese Lage ein", sagt der stellvertretende Kommandeur des Zentrums. Diese Art der Ausbildung sei in Deutschland einzigartig.
Insgesamt stünden 80 Soldaten der Kompanie bereit, um als Darsteller bei Straßenblockaden oder bei illegalen Rekrutierungen von paramilitärischen Gruppen aufzutreten, so Lieb. Dass die künftigen Blauhelmsoldaten auch außerhalb des Truppenübungsplatzes Hammelburg trainieren, soll ebenfalls dazu dienen, ein möglichst authentisches Gefühl zu erzeugen.
Für die Abschlussübung gibt es ein fiktives Szenario, in dem sich die zukünftigen Friedenstruppen bewegen. So befinden sich die auszubildenden Soldaten in einem erfundenen Staat mit zwei Konfliktparteien, in dem es eine demilitarisierte Zone und mehrere nichtmilitärische Parteien gibt. Zu den Aufgaben der Blauhelme gehört, die Einhaltung des Friedensabkommens zu überwachen. Über die bewaffneten Männer am Mainufer müssen sie daher zum Beispiel einen Bericht schreiben.
Unerwartete Zwischenfälle meistern
Darüber hinaus gibt es einige – für die Teilnehmer unerwartete – Ereignisse, auf die die Soldaten spontan reagieren müssen. So fallen zum Beispiel auf dem Rückweg zum Lager am Schutzhafen in Gemünden die Motoren der Boote aus und die Blauhelmsoldaten müssen kurzerhand zum Paddel greifen.
Auch mit einem Mitarbeiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, der vergeblich auf eine Essenslieferung wartet, treten die Militärbeobachter in Kontakt. Als dieser vermeintlich aus Versehen ins Wasser stürzt und ruft, dass er nicht schwimmen kann, fischen ihn die Soldaten schnell aus dem Fluss und versorgen ihn. Denn auch auf eine umfangreiche Sanitätsausbildung wird in dem Lehrgang Wert gelegt. "Teilweise befinden sich die Beobachter sehr weit weg von Versorgungseinheiten", berichtet Lieb.
Zu den Orten, in denen momentan Blauhelme im Einsatz sind, gehören zum Beispiel der Südsudan und die Westsahara. Viele der Teilnehmer des Lehrgangs werden schon bald auf Missionen in die Krisenregionen der Welt geschickt, um dort zur Stabilisierung der Sicherheitslage beizutragen. Bei ihrer Ausbildung lernen sie, grundsätzlich ohne Schusswaffen zurechtzukommen. "Die Waffe ist in diesem Fall das Wort", erklärt Oberstleutnant Lieb.