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Gambach
Main-Spessarter wollte mit einem neuen Stromanbieter sparen und zahlt nun über 1 Euro pro Kilowattstunde
Die Strompreise können sich je nach Anbieter stark unterscheiden. Wer über einen Wechsel nachdenkt, sollte sich aber nicht überrumpeln lassen.
Gert Reichert aus Gambach muss seit Kurzem sehr hohe Strompreise zahlen. Sein Anbieter hatte 2022 mehrfach den Strompreis erhöht. Nun stellt sich die Frage, ob der Preis rechtmäßig ist. 
Foto: Tabea Goppelt | Gert Reichert aus Gambach muss seit Kurzem sehr hohe Strompreise zahlen. Sein Anbieter hatte 2022 mehrfach den Strompreis erhöht. Nun stellt sich die Frage, ob der Preis rechtmäßig ist. 
Tabea Goppelt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:32 Uhr

Ein Wechsel des Stromanbieters klingt verlockend, teils raten Experten derzeit auch dazu. Denn die Grundversorger verlangen im Durchschnitt mehr als den Wert von 42 Cent pro Kilowattstunde, ab dem die Strompreisbremse greift. Gleichzeitig locken Discount-Anbieter mit günstigen Preisen. Dass ein Wechsel aber langfristig teuer werden kann, musste Gert Reichert aus Gambach kürzlich an einer Abschlagszahlung von 431 Euro im Monat feststellen, noch vor der Strompreisbremse. Jetzt zahlt er zumindest nur noch knapp 240 Euro im Monat.

Im Jahr 2017 wechselten Reichert und seine Frau zum Anbieter voxenergie. Per Telefon sei der Vertrag abgeschlossen worden; zum Einstieg habe der Preis noch bei 29 Cent pro Kilowattstunde gelegen. Die ersten Jahre hätte Reichert auch keine Probleme gehabt, erst im Jahr 2022 seien die Preise pro Kilowattstunde mehrmals stark angestiegen. 

Weil er per Lastschrift zahle, habe Reichert den Anstieg zunächst nicht bemerkt und auch die Schreiben des Stromversorgers nicht sonderlich beachtet. Als die Abschlagszahlung sehr hoch ausfiel, sei er zunächst von einer Quartalsabrechnung ausgegangen. Das war Ende 2022. Anfang Januar unterschrieb er eine Verlängerung des Vertrags "zu den bisherigen Konditionen" – und stellte danach mit Schrecken fest, dass die Abrechnungssumme doch pro Monat galt und sein Strompreis bei über einem Euro pro Kilowattstunde lag. Zweimal habe er versucht zu kündigen, sei aber schon zu spät dran gewesen.

Viele Anfragen beim Verbraucherservice

Ein Anwalt der voxenergie GmbH teilt auf Anfrage mit, dass die Preisanpassungen wirtschaftlich notwendig gewesen seien und mit der Energiepreiskrise zusammenhingen, die zu stark erhöhten Einkaufspreisen an der Strombörse geführt hätten. An die betroffenen Kunden seien im Voraus regelmäßig Preisanpassungsschreiben gegangen. Nach Dezember 2022 habe es keine Preiserhöhungen mehr gegeben.

Die beim Ehepaar Reichert erfolgte Vertragsverlängerung ohne erneute Benennung des Bezugspreises sei nicht der Regelfall, sondern eine Ausnahme, teil der Anwalt weiter mit. Es könne es sich nur um ein menschliches Versehen oder einen technischen Fehler gehandelt haben. Aus Sicht von voxenergie bleibt der Vertrag dennoch wirksam, da es sich um eine Verlängerung und nicht um einen Neuabschluss handle. Bei reinen Laufzeitverlängerungen sei laut einschlägiger Rechtsprechung keine neue Verbraucherinformation zu erteilen.

Reichert ist nicht der einzige, der Ärger mit seinem Stromanbieter hat. Der Verbraucherzentrale Bundesverband führt bereits eine Musterfeststellungsklage gegen voxenergie und primastrom. Beim Verbraucherservice Bayern habe es seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine zahlreiche Anfragen zu Energiethemen gegeben. Im Vergleich seien dazu in den Vorjahren deutlich weniger Anfragen eingegangen, erklärt Marina Steinbrenner vom Verbraucherservice Bayern. Die Verbraucherberaterin und Juristin gibt grundsätzliche Tipps, was bei einem Anbieterwechsel oder Preiserhöhungen zu beachten ist.

Kann ein Vertrag per Telefonanruf zustande kommen?

"Seit Juli 2021 müssen Energielieferungsverträge in Textform abgeschlossen werden. Sprich, mindestens per SMS oder per E-Mail und nicht mehr mündlich per Telefon", sagt Steinbrenner. Die Expertin warnt in diesem Zusammenhang aber auch: Teils seien die Anbieter dazu übergegangen, während des Telefonats solche Textnachrichten zu versenden und dann direkt um Antwort zu bitten. Für einen gültigen Vertrag reiche, dass in diesen Nachrichten die wichtigsten Vertragsbedingungen genannt werden, wie Preise, Mindestvertragslaufzeit und die Kontaktdaten des Unternehmens. "Das geht leider relativ schnell", sagt Steinbrenner.

Ein Ordner voll mit Briefverkehr rund um Gert Reicherts Stromanbieter. Zwei Kündigungsversuche sind ebenfalls darunter.
Foto: Tabea Goppelt | Ein Ordner voll mit Briefverkehr rund um Gert Reicherts Stromanbieter. Zwei Kündigungsversuche sind ebenfalls darunter.

Jedoch: In zahlreichen Fällen hätten Verbraucher Verträge nur mündlich abgeschlossen oder den Anbieter nur gebeten, Angebote an sie zu versenden. Dahingehend könne der Verbraucherservice prüfen, ob die Verträge überhaupt gültig sind.

Sind hohe Preissprünge überhaupt rechtmäßig?

Preisanpassungen könnten aus mehreren Gründen unrechtmäßig sein, erklärt Steinbrenner: Zum Beispiel muss ein Monat zwischen der Ankündigung und der Erhöhung vergehen und die Erhöhung muss transparent sein. "Die Energieanbieter sind verpflichtet, nicht nur die Gesamtpreise vorher und nachher anzugeben, sondern mehrere Preisbestandteile aufzulisten. Das haben tatsächlich die wenigsten Energielieferanten getan", sagt Steinbrenner. Ziel sei, dass Verbraucher nachvollziehen können, was genau sich erhöht hat. Auch muss der Anbieter auf ein Sonderkündigungsrecht des Verbrauchers hinweisen.

In welchem Rahmen bewegen sich vertretbare Strompreise?

Der aktuelle Strommarktpreis für den Endverbraucher bewegt sich Steinbrenner zufolge für die verbrauchte Kilowattstunde zwischen 28 und 35 Cent, der Grundpreis bei 10 bis 15 Euro monatlich. Gesetzlich festgelegte, feste Preisobergrenzen gebe es nicht. Beim Abschluss eines Neuvertrages gelte die Sittenwidrigkeitsgrenze, die Steinbrenner zufolge bei 1 Euro/kWh erreicht sein dürfte. "Das Problem ist: Wenn der Verbraucher das schon beim Vertragsschluss unterzeichnet hat, könnte das dennoch wirksam sein." Die Laufzeitverlängerung aus dem Gambacher Fall würde Steinbrenner im Gegensatz zu voxenergie wie den Neuabschluss eines Vertrages werten.

Bei einseitigen Preiserhöhungen durch den Anbieter gelte der Grundsatz des billigen Ermessens: Die gestiegenen Kosten dürfen an den Verbraucher weitergegeben werden. Es sollen jedoch aufgrund der Krisensituationen keine zusätzlichen Gewinne durch den Anbieter generiert werden. Sinken die Preise auf dem Markt, sind die Anbieter verpflichtet, die Senkungen an den Verbraucher weiterzugeben.

Wie kann man sich gegen Preisanpassungen wehren und wie sollte man auf Angebote am Telefon reagieren? 

Ein Vertragsschluss unterscheide sich von einer einseitigen Preisanpassung, weil bei ersterem die direkte Einwilligung des Verbrauchers vorliege. "Wenn man eine Preisanpassung erhält, kann man sie überprüfen lassen", sagt Steinbrenner. Die Verbraucherzentrale, Rechtsanwälte oder das Kartellamt seien dafür Anlaufstellen. Der Anbieter müsse auf ein Sonderkündigungsrecht des Verbrauchers bis zum Eintritt der Preisanpassung hinweisen.

Als Tipp gibt die Verbraucherberaterin mit: "Vor allem keine SMS oder E-Mails spontan bestätigen, sondern sich die Unterlagen zuschicken lassen. Diese Unterlagen anschauen und erst nach der Überlegung und Überprüfung unterzeichnen. Nicht übereilt agieren."

Wie geht es mit dem Gambacher Fall weiter?

Konfrontiert mit dem Vorwurf der etwaigen Sittenwidrigkeit eines Strompreises von um die 1 Euro pro Kilowattstunde teilt der Anwalt der voxenergie GmbH mit, dass dies eine rechtliche Bewertung sei, die kein eindeutiges Ergebnis haben könne. Er verweist auf das Sonderkündigungsrecht der Kunden und darauf, dass Wettbewerber noch deutlich höhere Bezugspreise pro Kilowattstunde abgerechnet hätten, zum Teil sogar nach Gültigkeit des Strompreisbremsegesetz.

Reichert möchte nun mit allen Mitteln kündigen. Der 71-Jährige habe sich an die Verbraucherzentrale gewandt und seine Rechtsschutzversicherung eingeschaltet. Einen eigenen Anwalt würde er sich auch nehmen, falls nötig. Ihn ärgert besonders, dass der Staat durch die Strompreisbremse einen Teil der Kosten tragen muss. "Mir geht es ums Prinzip. Ich habe einen Fehler gemacht, aber jetzt komme ich erst in zwei Jahren wieder aus dem Vertrag heraus."

 
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  • Okay, ich fasse mal zusammen:

    Stromanbieter gewechselt (ist ja okay).

    Dann massive Preissteigerungen, auf Kontoabbuchungen wird auch nicht bzw. viel zu spät reagiert.
    Post mit angekündigten Steigerungen wird nicht gelesen.
    Kündigungstermin kennt man auch nicht.
    Vertrag wird zu unbekannten Konditionen am Telefon verlängert.

    Und dann geht man damit wirklich noch an die Zeitung und jammert?

    Wow.

    Da kostet die eigene Unfähigkeit halt mal richtig Lehrgeld (vom Geld ist offensichtlich genug vorhanden, sonst reagiert man schneller auf Abbuchungen in mittlerer dreistelliger Höhe). Manchmal ist das so im Leben.
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  • Johannes Fasel
    @ Gold, Baumann, Fischer und CO.: Ein herzlicher Glückwunsch an alle, die noch nie einen Fehler gemacht haben.
    Nebenbei: Ohne "die Wechselwilligen" gäbe es keinen Wettbewerb und auch der Rest der Kunden müsste mit höheren Preisen zwangsläufig die Taschen der Anbieter füllen.
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  • Eberhard Gold
    @Fasel: Fehler macht jeder. Aber in dem Ausmaß und dieser Häufigkeit... da ist einem nicht mehr zu helfen. Ein großer Artikel in der MP soll es jetzt richten oder wie? Tip: Einfach mal zur Energie nach Karlstadt gehen
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  • Richard Baumann
    @Fasel: Natürlich habe ich auch schon als "Schnäppchen-Jäger" einen rel. teuren Fehler gemacht. Deshalb ja auch der Hinweis. Und - ja ich habe auch meinen Strom-Anbieter gewechselt, auch im Internet, aber mit gut recherchierten Plattformen. Der jetzige Preis stimmt: 26 Ct. pro kWh bei einem bekannten großen Provider.
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  • Winfried Fischer
    Geiz ist geil, und dann soll die Allgemeinheit helfen, schade für die Tinte solche Artikel braucht keiner.
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  • Manfred Ursprung
    Doch um andere zu erinnern die Post zu lesen und den Kontoauszug.
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  • Richard Baumann
    Typischer Schnäppchen-Jäger! Dabei ist doch im Internet die Recherche so einfach geworden.
    Solche Verträge schließt man doch nicht einfach am Telefon! Außerdem hätter er ja auch noch ein Kündigungsrecht gehabt, wenn er rechtzeitig auch im Nachhinein noch mal recherchiert hätte.
    Üb
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  • Eberhard Gold
    Selbst schuld! Lastschriften im Auge behalten und Schreiben lesen.
    Soll manchmal helfen.
    Wenn aber gar zu schlau ist...
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