Das Museum Obertor-Apotheke gibt es seit 2018 in Marktheidenfeld. In den ersten anderthalb Jahren kamen mehr als 1000 Besucherinnen und Besucher. Dann kam coronabedingt eine lange Durststrecke mit monatelangen Lockdowns, die den Museumsbetrieb nahezu komplett zum Erliegen brachten. Der Neustart 2022 geht schleppend voran, sagt Eric Martin, Betreiber und Initiator des Museums. Gefühlt müsse in allen Bereichen – Besucherzahl, Wahrnehmung, Öffentlichkeitsarbeit – wieder bei Null angefangen werden.
Eric Martin: Mit einer kurzen baubedingten Unterbrechung von 1750 bis 2012. Die Obertor-Apotheke ist und war seit 1939 in Familienbesitz und wurde von 1959 bis 1982 von meiner Mutter geleitet. Nach dem frühen Tod meines Vaters 1981, Apotheker Rolf Martin, übernahm meine Mutter dessen Betrieb, die Hubertus-Apotheke und musste im Gegenzug die Obertor-Apotheke veräußern. Von 1982 bis 2006 wurde die Apotheke von Kurt Döderlein, einem Studienkollegen meines Vaters, geführt. Von 2006 bis Ende 2012 war die Obertor-Apotheke Filiale der von mir geleiteten Hubertus-Apotheke. Zum Ende dieses Jahres musste der zuletzt dauerhaft defizitäre Betrieb im 262. Jahr seines Bestehens geschlossen werden. Die Gründe: kein Arzt in der Nähe, schlechte Erreichbarkeit, keine Parkplätze.
Martin: Bereits sehr frühzeitig nach der schweren Herzens erfolgten Schließung. Eine ganze Reihe von Gründen haben dafür den Ausschlag gegeben, zum Beispiel wäre die andere Nutzung der Räumlichkeiten ohne die Beseitigung der bestehenden Einrichtung wenig aussichtsreich gewesen. Auch wenn das Apothekeninventar nicht übermäßig alt ist, ist es in seiner Geschlossenheit erhaltenswert. Nicht zuletzt habe ich auch eine starke persönliche Bindung an das Haus und die Apotheke, die für mich und meine drei Brüder buchstäblich auch die Kinderstube war. In Zeiten, wo es bestenfalls stundenweise Kindergartenbetreuung gab, blieb meiner Mutter gar nichts anderes übrig, als uns in der Apotheke spielen und die Schularbeiten machen zu lassen.
Martin: Das klingt spektakulär, aber sieht man einmal von den beiden engagierten Aushilfskräften ab, ist der Direktor gleichzeitig der einzige Mitarbeiter. Als Apotheker mit wissenschaftlichem Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkt bringe ich keinerlei Expertise in den Bereichen Museums-Pädagogik und Ausstellungsgestaltung mit. Gleichwohl war es von Anfang an erklärtes Ziel, das Museum mit einem höchstmöglichen Anspruch an Professionalität in genau diesen Bereichen zu planen und zu gestalten.
Martin: Auch wenn der Löwenanteil der Kosten rein privat finanziert wurde, war öffentliche Förderung eine wertvolle Hilfe: durch die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, durch die Stadt Marktheidenfeld, die in selbstloser Weise bis heute die Kosten für das Aufsichtspersonal übernimmt und damit regelmäßige Öffnungszeiten ermöglicht, und 2021 durch Bundesmittel aus dem Fonds Neustart Kultur (Aufnahme und Einrichtung eines zweisprachigen Audioguide-Systems, mit dem man sich in zwanzig Stationen durch die Ausstellung führen lassen kann).
Wann haben Sie Ihre Begeisterung für Pharmazie entdeckt?
Martin: Apotheker in vierter Generation ist man nicht nur aus freien Stücken. In der Generation meiner Großeltern und Eltern wurde man nicht gefragt, ob man die Familientradition fortsetzen möchte. In meiner Generation stand das zwar prinzipiell zur Diskussion. Aber nachdem sich die drei älteren Brüder anders entschieden hatten, war die Erwartung bei mir doch mit Händen zu greifen. Und nachdem ich keine Alternative parat hatte, für die ich mit 18 Jahren gebrannt hätte, war die getroffene Berufswahl nahe liegend, gleichwohl aber mit mäßigem Feuer verfolgt. Meinen Beruf übe ich jetzt über dreißig Jahre in Marktheidenfeld aus. Gerne, engagiert und immer kompromisslos heilberuflich orientiert. Der Appetit kommt beim Essen. Der "Museumsdirektor" ist nach den vielen Jahren eine späte, aber reizvolle Kür und allemal eine ganz neue Perspektive.
Für wen ist das Museum interessant?
Martin: Pharmaziegeschichte ist natürlich ein sehr spezielles, man kann auch sagen etwas abseitiges Thema. Aber auch für alle, die nichts mit Pharmazie am Hut haben, hat das Museum nicht nur etwas, sondern eine ganze Menge zu bieten: Man erfährt viel über die Ortsgeschichte. Die meisten, der ausgestellten Objekte haben einen hohen ästhetischen Reiz (historische Standgefäße und Arbeitsgeräte), machen ungläubig staunen oder gruseln, was alles früher arzneilich verwendet wurde, und mit welch haarsträubenden Begründungen. Man lernt, wie schwierig es ist, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einem begrenzten Waren- und Dienstleistungsangebot zu überleben und was das für kreative Phantasien freisetzt.
Martin: Der Ablauf und die Reaktionen sind bei Besuchern immer die gleichen. Man schaut eher durch Zufall herein. Und wenn man nicht gleich wieder geht, weil das mitgebrachte Rezept hier nicht mehr eingelöst werden kann, wenn man sich einen Moment darauf einlässt, sind viele Leute überrascht und nicht wenige überwältigt von der Fülle dessen, was es hier zu entdecken und zu sehen gibt. Die Kommentare im Gästebuch und auch das, was mündlich geäußert wird, ist ausnahmslos begeistert. Das macht uns Mut, auch die Corona-Durststrecke durchzustehen.
Was ist Ihr ältestes Exponat?
Martin: Originalliteratur aus sechs Jahrhunderten ist mit vielen bedeutenden Beispielen und wirklichen Inkunabeln der Wissenschafts-, Medizin- und Pharmaziegeschichte vertreten, darunter eine Reihe von Drucken aus dem 16. Jahrhundert. Auch die ältesten Fayencen und Mörser stammen aus der Zeit zwischen 1550 und 1625. Aber mit allem Nachdruck: Nicht nur das Alter oder die Seltenheit sind entscheidend. Auch Dinge des täglichen Gebrauchs oder einfache Dokumente haben ihren Reiz und den Wert!
Wie sieht die Zukunft des Museums aus?
Martin: Ich hoffe, dass sich die momentane Durststrecke überwinden lässt. Im Moment kommen trotz freien Eintritts an Öffnungstagen, wenn es hochkommt, zehn Besucher. Da gibt es noch sehr viel Luft nach oben. Und natürlich bin ich zuversichtlich, einen guten Teil der Projekte und Pläne zu realisieren. Augenblicklich entstehen im ehemaligen Nachtdienstzimmer zwei weitere Ausstellungsteile zu den Themen Heilmittelgeschichte und Arzneimittelforschung. Die Umsetzung wird bis zum Jahreswechsel abgeschlossen sein.