Viele Menschen macht es fassungslos, wenn Kinder vor den eigenen Eltern sterben. Doch kommt es immer wieder vor, dass Familien Fehlgeburten betrauern, dass junge Menschen an einer schweren Erkrankung sterben oder bei einem Unfall ums Leben kommen. So wie jedes Leben einzigartig ist, ist auch der Tod eines Menschen einzigartig.
Am "Worldwide Candle Lighting Day", der jedes Jahr am zweiten Sonntag im Dezember stattfindet, gedenken Familien und Freunde verstorbener Kinder und junger Erwachsener. Hier erzählen drei Eltern aus Main-Spessart von ihrem Umgang mit Tod und Trauer - und warum das Leben trotz allem lebenswert bleibt.
1. Thomas Zenglein fühlt sich in der Musik mit seinem Sohn verbunden
Von einer Sekunde auf die nächste veränderte sich für Thomas Zenglein und seine Familie die Welt. Sohn Benedikt starb im Alter von 20 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Als die Polizeibeamten im Februar 2013 vor der Tür standen, war da nur eine unbegreifliche Leere, erinnert sich der 60-jährige Vater. Erst nach und nach habe er immer wieder kleine Stiche gespürt, gepaart mit einer schier überwältigenden Flut an Trauer: Dann, wenn er realisierte, dass der Sohn nie wieder zur Haustüre hereinkommen oder mit am Esstisch sitzen wird.
Den Marktheidenfelder und seinen Sohn verband die Leidenschaft für die Musik und das Musizieren: "Let it be" von den Beatles hörten beide am liebsten. Thomas Zenglein ist Musiklehrer und betreibt eine Musikschule. Benedikt spielte mehrere Instrumente, komponierte Songs, textete Liedzeilen dazu und nahm sie mit seiner Band auf. Und er gab Workshops für andere Jugendliche. "Wir wussten gar nicht, wie engagiert er war", sagt Zenglein. "Als wir das erfahren haben, waren wir sehr stolz."
Nach Benedikts Tod fand er einen Weg, um dessen Erbe in die Welt zu tragen und sich mit seiner Trauer auseinanderzusetzen: Er sichtete die Aufnahmen, produzierte CDs mit den Songs, die er zugunsten des Hospizvereins Main-Spessart verkaufte. "So konnte ich etwas tun und Benedikt war mir nahe." Danach veröffentlichte er weitere CDs: rockige Stücke von Benedikt, Klaviermusik, die er selbst komponiert hat.
Der 60-Jährige ist überzeugt: "Man kann den Tod des eigenen Kindes nie verarbeiten und wie einen Ordner im Schrank ablegen." Trauer, das sei nichts anderes als Liebe. "Wichtig ist, dass es gelingt, die anfängliche Verzweiflung umzuwandeln in eine im Alltag umgängliche Trauer."
Den Grundstein dafür habe ein Seminar bei Pater Anselm Grün in der Benediktinerabtei in Münsterschwarzach gelegt. Diese Einstellung gebe ihm die notwendige Kraft, jeden Tag ohne den Sohn wahrhaftig zu leben, auch lachen und genießen zu können, sagt Zenglein.
Eine geplante Reise nach England - Motto: "Auf den Spuren der Beatles" - hatten Vater und Sohn immer wieder verschoben. Dann war es zu spät. Thomas Zenglein hat die Tour kürzlich mit seiner Frau nachgeholt. Höhepunkt war der Besuch des Elternhauses von Paul McCartney in Liverpool. Es gilt als die Geburtsstätte der Beatles und wurde in den Zustand zurückversetzt, wie es in den 1950er Jahren war. Im Rahmen einer geführten Tour kann das Haus heute besucht werden.
Und so spielte Thomas Zenglein just am Geburtstag von Benedikt auf dem Klavier im früheren Wohnzimmer der McCartneys "Let it be".
2. Marc und Kerstin Betz leben nach dem Tod ihrer Tochter im Moment
"Der 11. November 2016 ist einer der Tage, den wir nie vergessen werden", sagt Kerstin Betz. Da waren ihr und ihrem Mann Marc aufgefallen, dass die fünfjährige Tochter Dorothea beim Laufen manchmal stolperte. Die Eltern dachten sich nichts dabei. Doch dann schickte die Kindergartenerzieherin sie zum Arzt, und nach vielen Untersuchungen in der Klinik stand fest: Dorothea hat einen Hirntumor, der nicht operiert, sondern nur bestrahlt werden kann.
Kurz darauf erfahren die Eltern, die Lebenserwartung von Betroffenen durchschnittlich bei neun Monate liegt. Ein Arzt habe ihnen geraten, möglichst bald all das zu tun, was sie als Familie noch gemeinsam erleben wollten, erzählt Kerstin Betz: "Ich glaube, es ist uns sehr gut gelungen, im Hier und Jetzt zu leben. So haben wir es als Familie geschafft, auch die schlechten Tage anzunehmen."
Dorothea habe die anstrengenden Bestrahlungen geduldig ertragen. Die Eltern erwähnen ihre Leidenschaft für bunte Mode, für Basteleien und liebevolle Dekorationen. Wie sie ihre beiden älteren Brüder "im Griff hatte". Und ihre aufgeschlossene Art anderen Menschen gegenüber: "Sie hat sich von Senioren zum Geburtstagskaffee einladen lassen und ist mit den jungen Müttern aus dem Ort gerne nach Hause, um mit deren Babys zu spielen", sagt die 47-jährige Mutter.
Die Eltern erlebten eine Zeit zwischen Bangen und Hoffen. "Als wir im März 2017 zur Schuleinschreibung geladen wurden, haben wir uns gefragt, ob sie bis dahin überhaupt noch lebt." Letztlich hatte die Familie noch viereinhalb Jahre gemeinsam. Dorothea starb am 16. Mai 2021, einen Tag vor ihrem zehnten Geburtstag.
Die letzten Monate verbrachte die Familie zu Hause in Rettersbach, richtete sich im Wohnzimmer ein Lager ein und bereitete sich auf Dorotheas Tod vor. "Wir sind froh, dass uns vorher keiner gesagt hat, was auf uns zukommt", sagt der 46-jährige Marc Betz. Es sei nicht schön mit anzusehen, wie das eigene Kinder zerfalle.
Als Dorothea ihren letzten Atemzug machte, waren die Eltern bei ihr. Mehrere Stunden hatten sie in dieser Nacht bei der Tochter verweilt, im Schein einer brennenden Kerze Fotos angeschaut. "Es war eine friedliche Zeit", erinnert sich die Mutter. Die Eltern sind dankbar, viel Zeit gehabt zu haben, um sich zu verabschieden: "Es ist mit Dorothea nichts unausgesprochen geblieben."
"Wir haben uns diese besondere Einstellung, die uns die Zeit mit Dorothea gelehrt hat, erhalten und schieben nichts mehr auf die lange Bank", sagt Marc Betz. Jeder in der Familie gehe auf seine eigene Art mit dem Tod von Tochter und Schwester um. Und gemeinsam hätten sie einen Weg gefunden, sich in der Trauer nicht zu verlieren.
3. Maria Hoh bewundert den Mut, den Wille und die Kraft ihres Sohnes
Erst eine brennende Kerze vor der Tür des Palliativ-Zimmers hat Maria Hoh aus Kredenbach am 10. Juni 2017 realisieren lassen: Ihr Sohn Alexander, der acht Jahre lang gegen mehrere Hirntumore gekämpft hat, ist tot. Während der letzten Stunden war sie bei ihm gewesen, hielt seine Hand. Und sang für ihn.
Ihr Alex, ihr "Ironman", sei der stärkste Mann gewesen, den sie kenne, sagt Maria Hoh stolz und blättert durch einen Ordner voller Urkunden, Zeitungsausschnitte und Fotos. Alexander, schon immer sportlich, hatte eine Zeit lang in der Schweiz gelebt, schulte dort vom Zerspanungsmechaniker zum Fitnesstrainer um, lief Marathons und 2016 sogar den Ironman-Triathlon in Frankfurt.
Von der Diagnose Hirntumor, die er immer wieder erhielt, habe sich ihr Sohn nicht abhalten lassen: Im Gegenteil. Auf der Internetseite, auf der Alexander den Kampf gegen den Krebs dokumentierte, steht sein Credo geschrieben: "Du hast zwei Möglichkeiten: Du kannst das Handtuch werfen oder dir damit den Schweiß aus dem Gesicht wischen." Als Alexander selbst nicht mehr in der Lage war, das Online-Tagebuch fortzuführen, hat das sein Bruder Michael übernommen.
"Er hat sich nie beschwert", erinnert sich Maria Hoh. Mit seiner Freundin und der Familie hatte sich Alexander lange über seine Wünsche ausgetauscht – wie über eine Seebestattung in der Ostsee. Heute erinnert ein Gedenkstein auf dem Grab von Maria Hohs Eltern an den 32-Jährigen.
"Mein Glaube hat mir immer geholfen, sein Schicksal anzunehmen, obwohl ich oft gezweifelt habe", sagt die alleinstehende Mutter. Sie weiß, auch wenn ihr Sohn gestorben ist: "Mein Leben muss weitergehen." Alexander hätte nicht gewollt, dass sie nur jammert und aufgibt. "Es gibt Tage, da hänge ich ihn den Seilen", sagt Maria Hoh. Aber die guten Tage würden überwiegen.