Der aus Hamburg stammende Klaus Alex lebt seit 42 Jahren als Betreuter in der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth. Jetzt, mit 63, zieht es ihn zusehends hinaus in die Welt, heraus aus dem behüteten SOS-Dorf. Neulich hat er begeistert an einer archäologischen Exkursion in Gemünden teilgenommen. Vergangenes Jahr bereiste er mit einer externen Reisegruppe auf eigene Faust für zehn Tage die Ostseeanrainerstaaten – seine erste Reise, die nicht extra für SOS-Betreute aus ganz Deutschland organisiert war. Dieses Jahr soll es für zehn Tage nach Ägypten gehen, davon sieben Tage auf dem Nil. Andere Menschen kennenzulernen, sich der Herausforderung zu stellen, selbst etwas zu unternehmen, den Mut zu haben, sich "in Gefahr" zu begeben, nennt er als Motivation dafür.
Auch sein Job im genossenschaftlich organisierten Dorfladen "RienEck" im nahen Rieneck ist so ein Schritt nach draußen. An drei Vormittagen in der Woche hilft er dort tatkräftig mit. Er wolle auch mal in der "Außenwelt" arbeiten, sagt der selbstständige Hohenrother. Früher sei das in Hohenroth nicht gern gesehen worden, meint er, aber bei der Arbeit in Rieneck habe sich seine Hausmutter für ihn eingesetzt und mit dem neuen Dorfleiter sei das kein Problem. Alex lebt mit anderen in Hohenroth in einer Art WG zusammen, der ein Hauseltern-Paar vorsteht. Aber dort esse und schlafe er eigentlich nur, sagt der 63-Jährige. Er habe viel Unruhe in sich und müsse ständig etwas machen. "Ich kann nicht irgendwo rumhocken."
35 Jahre lang hat Alex im Bioladen des Cafés gearbeitet. Er hat nach eigenen Angaben in Hohenroth die Bäckerei mit aufgebaut, hat Bäcker und Konditor gelernt und war bei der Eröffnung des Cafés dabei. Einmal in der Woche arbeitet er dort jetzt noch mit, er wollte aber auch mal etwas anderes machen, und in Rieneck hätten sie Personal gesucht. Im Rienecker Laden hat er zunächst ein Praktikum gemacht, dann gab es coronabedingt ein Jahr Pause, weil die Betreuten in Hohenroth abgeschottet worden seien. Seit eineinhalb Jahren ist er nun fest dabei. Anfangs musste er sich täglich auf Corona testen, um nichts nach Hohenroth zu tragen.
"Wir sind froh, dass wir den Klausi haben", sagt die RienEck-Verkäuferin Bianca. Sie machten immer Spaß miteinander. Und das Wichtigste: "Ma konn ihn gebrauch." Alex sei der "Frischdienstbeauftragte". "Dass sie mich im Laden brauchen, das ist für mich das Wichtigste", sagt er. Auch Pit Kallmeyer, einer von vier Geschäftsführern des Ladens, lobt Alex: "Er ist wirklich ein total umsichtiger Kerl." Er arbeite sehr genau und verströme gute Laune, Kallmeyer nennt es eine "Win-Win-Geschichte".
Alex' Hauptaufgabe ist das Kühlregal. Dort achtet der 63-Jährige darauf, dass immer genug Ware eingeordnet ist und ansprechend präsentiert wird. "Ich habe einen Blick dafür", sagt er. Wenn Ware bald abläuft, vergibt er erst einen Rabatt von 30, dann sogar von 50 Prozent. Er transportiert die angelieferten Kühlwägen ins Kühlhaus im Keller und leert sie. "Am Mittwoch ist es am schlimmsten, da müssen alle Waren aufgefüllt werden", sagt Alex. "Schlimm" ist es für ihn aber natürlich nicht, sondern gut, weil er da was zu tun hat. Manchmal vergesse er vor lauter Arbeit sogar seinen Kaffee zu trinken.
Geld bekommt Alex für seine Arbeit im Dorfladen nicht. Kallmeyer erklärt, dass Alex weiterhin in Hohenroth angestellt sei. Von dort bekomme er ein Taschengeld, sagt der 63-Jährige. Diese Art der Beschäftigung außerhalb des SOS-Dorfs nenne sich "Außenpraktikum", erklärt Dorfleiter Mario Kölbl. Er sei derzeit der einzige Betreute aus Hohenroth, der außerhalb arbeite, andere hätten es nur mal kurz gemacht, sagt Alex. Er hingegen würde gern mehr als die bisher 15 Stunden arbeiten.
Daneben arbeitet er in der Hohenroth-Dorfmeisterei mit, wo er etwa Elektroschrott auseinander baue. Geld verdient er sich dazu, indem er nachts im SOS-Dorf die Main-Post austrägt. Seit 26 Jahren arbeite er schon als Zusteller. Alex, der nach eigener Aussage als Waisenkind aufwuchs, gehöre zu den ganz wenigen Betreuten in Hohenroth, die in der heutigen Zeit und mit einer entsprechenden Frühförderung wohl nicht mehr aufgenommen würden, sagt Dorfleiter Kölbl.
Klaus Alex sagt, es freue ihn, wenn Kundinnen und Kunden sich erkundigten, ob "der Klaus" heute arbeite. Meist geht er zu Fuß nach Rieneck, inzwischen hat er aber auch ein dreirädriges Elektromobil – ein weiteres Stück Freiheit.