
In der Seitenstraße der Familie Kempf ist es um die Mittagszeit ruhig. Die Sonne scheint durch das Wohnzimmerfenster des Einfamilienhauses. Auf einer gelben Decke liegt der fast vierjährige Nico bäuchlings auf dem Boden. Ein Keilkissen stützt seinen Körper leicht hoch, den Kopf seitlich abgelegt blickt er auf einen bunten Spielbogen.
So normal der Moment wirkt, seit Freitag ist im Hause Kempf einiges in Aufruhr. Leute klingeln, rufen an, schicken Emails oder werfen Briefe ein. Ihr Anliegen: Sie alle haben von Nico und seiner Spendenaktion gehört und wollen helfen. Innerhalb von wenigen Stunden ging seine Geschichte und die seiner Lebensumstände viral und spülte eine Welle der Solidarität zurück. Seine Eltern Manuela und Christian fühlen sich seitdem wie im Ausnahmezustand. Um zu erzählen, wie alles kam, sitzen sie am Küchentisch und fangen vorne an.
Erst am Tag der Geburt wird Nicos Eltern klar, dass etwas anders
Erst am Tag der Geburt wird Nicos Eltern klar, dass etwas anders ist als bei seinen großen Schwestern. "Nico kam mit einer offenen Gaumenspalte auf die Welt", erzählt seine Mutter Manuela. Nach einem halben Jahr kamen Krampfanfälle dazu. Er konnte keinen Blickkontakt halten. "Seine Augen flipperten hin und her", beschreibt Vater Christian.
Das Paar entschied sich zu einer Genanalyse. Das Ergebnis: Nico hat einen seltenen Gendefekt mit dem sperrigen Namen KCNQ2. Dieser schwächt die Muskeln und stört Nicos Entwicklung. Mit seinen fast vier Jahren kann Nico nicht selbstständig sitzen, krabbeln, stehen oder sich drehen. Er kann nicht sprechen oder den Sinn von Worten verstehen. Weil auch das Schlucken immer wieder problematisch ist, wird er über eine Magensonde ernährt.

Nachdem die Familie Klarheit über Nicos Zustand hat, organisiert sie sich. Sie vernetzt sich mit Familien mit betroffenen Kindern. Sie findet einen Professor in Heidelberg, der auf die Genmutation spezialisiert ist. Und sie stattet sich mit Hilfsmitteln aus, um Nico möglichst viel Alltag und Förderung zu ermöglichen. "Wir haben einen Therapiestuhl, in dem er mit am Tisch sitzen kann, eine Stehvorrichtung, um möglichst oft seine Lage verändern zu können", erzählt Christian Kempf. "Nico ist ein total zufriedener, kleiner Mann, der viel lacht und uns nie Sorgen macht, außer er ist mal krank", so Mutter Manuela.
Nico die Treppe hochzutragen wird immer herausfordernder
Sorgen machte den Eltern etwas anderes: Bereits mit seinen fast vier Jahren wiegt Nico 18 Kilo. Da sich sein Kinderbett im ersten Stock befindet, muss er mehrmals täglich von seinen Eltern die Treppe hoch getragen werden. Nicht nur das Gewicht, sondern auch die fehlende Körperspannung machen diese Aufgabe immer herausfordernder. "Wir haben überlegt, wie wir uns helfen können", so Christian Kempf. Ein Aufzug scheiterte an zu hohen Kosten, eine Plattform an der Innentreppe am Platz.
"Letztlich kamen wir auf einen Plattform-Lift, der außen am Haus angebaut wird und in dem Nico vom Erdgeschoss in den ersten Stock gefahren werden kann und wieder zurück", so Christian Kempf. Sein Vorteil: wartungsarm und TÜV-frei. Sein Nachteil: die Kosten.
Knapp 46.000 Euro kostet der Lift an sich. Rechnet man alle zusätzlichen Kosten wie Architekt, Elektro, Maler- und Putzarbeiten, kommt man auf rund 61.000 Euro. "Von der Pflegekasse bekommen wir 4180 Euro. Wenn es gut läuft, kommen vom Landratsamt 10.000 Euro Förderung über die Stelle für Wohnraumanpassung für Menschen mit Behinderung dazu. 3000 Euro können wir privat reinstecken", erläutert Mutter Manuela. Bleibt ein Defizit von rund 43.000 Euro.

"Ich hab zunächst gedacht, wir könnten uns bei Stiftungen bewerben", erzählt die Mutter. Nach der ersten Recherche zeigt sich: Der Aufwand, hier reinzukommen, ist riesig. Die Beratungsstelle der Caritas kam dann mit der Idee, über eine Spendenplattform zu gehen. Nachdem sie einige Seiten angeschaut hatten, entschieden sie sich für betterplace.org. "Die Seite hat den seriösesten Eindruck gemacht und die geringste Gebühr", erzählt Manuela Kempf.
Traumziel von 10.000 Euro war bereits nach zwei Tagen erreicht
Am vergangenen Freitag um 17.22 Uhr stellten sie den Spendenaufruf ein. "Wir haben geträumt, dass wir in 30 Tagen 10.000 Euro zusammen kriegen", so die Eltern. Ihr Traumziel war bereits nach zwei Tagen erreicht. Und auch dieser Summe konnte man minütlich beim Wachsen zusehen. Gleichzeitig verbreitete sich die Nachricht über die Aktion rasant. "Schon nach einer halben Stunde war Nico bei vielen im WhatsApp-Status", so Manuela Kempf. Zudem geht sie über Social Media viral, wird geteilt, gelikt, geklickt.
Fünf Tage später ist die Spendensumme erreicht, ja sogar überschritten. "Wir sind total fix und alle vor Rührung", beschreibt Vater Christian. Dass die Aktion so durch die Decke geht, damit hätten sie nie gerechnet. Weit über 1000 Leute haben für Nico gespendet, sogar aus Australien kamen 100 Euro mit dem Satz "Kopf hoch", erzählen die Eltern. Gleichzeitig melden sich Firmen aus der Region, die unterstützen wollen.
Von der Welle der Solidarität überwältigt
"Es ist schon fast unheimlich. Wir sind von jetzt auf gleich bekannt", beschreibt Mutter Manuela. Von der Welle der Solidarität sind die Eltern überwältigt. Die große Spendenbereitschaft empfinden sie nicht als Ausdruck von Mitleid, sondern eher als Schulterklopfen: "Nico ist unser Sonnenschein, er hat uns total viel gegeben, stärker gemacht", so Vater Christian.
Was nun passiert? Momentan warten sie ab. Steigt die Summe noch weiter an, kann die Familie ihren Eigenanteil zurückziehen. Bleibt dann immer noch etwas übrig, könnten sie sich vielleicht sogar ein spezielles Kinderpflegebett für Nico leisten. Das wurde bisher dreimal von der Krankenkasse abgelehnt.
Am Sonntag, 16. März, um 16 Uhr, findet im Klosterkirche Triefenstein ein Ökumenischer Gottesdienst zur Unterstützung von Nico uns seiner Familie statt. Im Anschluss gibt es noch ein Grillen im Klosterhof.
https://www.betterplace.me/hilf-nico-zuhause-leben-zu-koennen