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Altfeld
So war das Leben in Altfeld früher: Was Schüler nach dem Zweiten Weltkrieg über das dörfliche Leben aufgeschrieben haben
Vom damaligen Bayerischen Landtagspräsidenten wurden sie für ihre Umfrage unter den Dorfbewohnern gelobt. Drei der Beteiligten erinnern sich.
Die vier Mädchen Renate Koch (von links), Elfriede Przylosny, Inge Fertig und Karin Fertig arbeiten an dem Aufsatz über das dörfliche Leben in der Nachkriegszeit in Altfeld. Fotografiert hat sie Lehrer Fritz Köhler.
Foto: Fritz Köhler (Archivbild) | Die vier Mädchen Renate Koch (von links), Elfriede Przylosny, Inge Fertig und Karin Fertig arbeiten an dem Aufsatz über das dörfliche Leben in der Nachkriegszeit in Altfeld. Fotografiert hat sie Lehrer Fritz Köhler.
Günter Reinwarth
 |  aktualisiert: 10.01.2025 02:34 Uhr

Dass ausgerechnet an einem Sonntag in der Altfelder Gemeindekanzlei, einem Anwesen, in dem auch Gemeindeschreiber Peter Krank zu Hause war, den ganzen Tag ein Kommen und Gehen herrschte, war außergewöhnlich. Es war der 20. Juni 1948. Der Tag, an dem die inflationäre Reichsmark abgelöst wurde, wird mit der Währungsreform als Zeitenwende in die Geschichte eingehen. Jeder Bürger konnte 40 Reichsmark gegen 40 Deutsche Mark als sogenanntes Kopfgeld eintauschen.

Dieses Ereignis haben 42 Schülerinnen und Schüler der Oberstufe der Altfelder Volksschule in den 1960er-Jahren aufgeschrieben. Sie befassten sich in einem Beitrag zu einem "Wettbewerb zur Förderung der politischen Bildung" damit, wie die Menschen in ihrem Dorf die ersten zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten.

Lob vom damaligen Landtagspräsidenten Rudolf Hanauer

Was die Schülerinnen und Schüler unter ihrem Lehrer Fritz Köhler während einer zwölfmonatigen Recherche herausgefunden hatten, bedachte der damalige Bayerische Landtagspräsident Rudolf Hanauer mit einer Urkunde und viel Lob für das "große politische Interesse in unserem Land".

Sie gehörten zu den Schülerinnen und Schülern, die in den 1960er-Jahren über das Leben der Nachkriegszeit in Altfeld recherchierten (von links): Heinz Zumpf, Edgar Roos und Christel Ricketts.
Foto: Günter Reinwarth | Sie gehörten zu den Schülerinnen und Schülern, die in den 1960er-Jahren über das Leben der Nachkriegszeit in Altfeld recherchierten (von links): Heinz Zumpf, Edgar Roos und Christel Ricketts.

Die jungen Meinungsforscher hatten sich mit der zentralen Frage beschäftigt, wie sich die Gemeinde und das Leben dort verändert haben. Drei der damals beteiligten Schülerinnen und Schüler erzählen, wie sie ihre Recherchen erlebt haben. Edgar Roos (74), gelernter Radio- und Fernsehtechniker, erinnert sich an die gute Unterstützung des Lehrers Fritz Köhler.

"Wir haben auch in unserer Freizeit die Umfragen gerne gemacht und waren mit Interesse dabei", sagt der 76-jährige Heinz Zumpf, ein gelernter Metzger. Christel Ricketts (76), die später Bankkauffrau wurde, weiß noch, wer die Umfragen, bei denen auch der damalige Bürgermeister Ernst Fertig interviewt wurde, zu Papier gebracht hat: Es seien die Schülerinnen und Schüler mit der schönsten Schrift gewesen.

Beginn einer neuen Zeit: Einmarsch der US-Truppen am 2. April 1945

In ihrem Bericht hielten sie fest, dass für Altfeld am 2. April 1945 um 13 Uhr mit dem Einmarsch von US-amerikanischen Truppen ein neuer Zeitabschnitt begonnen hatte. Dieser ging fast ohne Kampfhandlungen vonstatten. Einige Granaten schlugen im oberen Ortsteil ein, allerdings ohne größeren Schaden anzurichten. Bereits ein paar Tage zuvor hatte sich eine Einheit der Schutzstaffel (SS), eine paramilitärische Organisation im Nationalsozialismus, in Richtung Lohr abgesetzt.

Die Altfelder Edmund Roos und Richard Oleynik bei einem Plausch vor der ehemaligen Schmiede von Ernst Wolz im Jahr 1971.
Foto: Edgar Roos (Archivbild) | Die Altfelder Edmund Roos und Richard Oleynik bei einem Plausch vor der ehemaligen Schmiede von Ernst Wolz im Jahr 1971.

Aus den Kellern des Straßendorfs kamen alte Männer mit weißen Fahnen in der Hand. Der erste Bürgermeister der Nachkriegszeit, Zacharias Reiner, musste auf Anordnung der Militärregierung zehn Häuser für die US-amerikanischen Soldaten bereitstellen. Sie hatten sich so lange in Altfeld einquartiert, bis in Marktheidenfeld die Notbrücke fertiggestellt war. Nach Einbruch der Dunkelheit bestand eine strikte Ausgangssperre und Versammlungsverbot für mehr als drei Menschen.

Der Tauschhandel hatte nach dem Krieg Hochkonjunktur

"Es herrschen Leid, Not und Elend", ist in dem Zeitdokument der Schülerinnen und Schüler über das Leben in den folgenden Monaten zu lesen. Es gab lange im Dorf keinen Strom, Kerzenlicht war eine dürftige Alternative. Hauptsächlich Frauen mussten den kargen Alltag bewältigen und die Äcker bestellen. Felddiebstähle und Kellereinbrüche waren keine Seltenheit. Fleisch, Zucker, Fett, Salz, Kartoffeln, Bohnenkaffee und Kaffee-Ersatz sowie Weißbrot waren rationiert. Nur wer "Schwerarbeiter" war, erhielt vom Wirtschaftsamt in Marktheidenfeld eine Sonderzulage.

Lebensmittel waren nur gegen Bezugsscheine zu haben. Kinder und Jugendliche wollte man vor Unterernährung schützen. Deshalb gab es im alten Schulhaus die sogenannte Schulspeisung, bestehend aus Eintopf, Kakao und einem Brötchen. Etwas widerwillig wurde der eine oder andere Löffel Lebertran geschluckt. Eine Schachtel US-amerikanische Zigaretten kostete 120 bis 150 Reichsmark. Für ein halbes Pfund Butter musste man 500 Reichsmark zahlen. Der Tauschhandel hatte Hochkonjunktur.

Erleichterung mit der Rückkehr von Kriegsgefangenen

Großes Aufatmen begleitete die Rückkehr jedes Kriegsgefangenen. Aber: 22 Soldaten waren im Krieg gefallen, zwölf junge Altfelder galten als vermisst. Am 29. Oktober 1949 kehrte mit Walter Schmitt der letzte Kriegsgefangene aus Russland in sein Heimatdorf zurück.

Altfeld zählte nach Kriegsende 450 Einwohner. Bürgermeister Zacharias Reiner musste auf Geheiß der Militärregierung Wohnraum für 240 Geflüchtete und Heimatvertriebene zur Verfügung stellen. Die "Einheimischen" unterstützten die Neubürgerinnen und Neubürger so gut wie möglich. Sie stellten Lebensmittel, Kleidung, Möbel und Brennholz, ebenso ein paar Gartenzeilen für den Gemüseanbau. Selbstversorgung war das Gebot der Stunde. Auf manchen Bauernhöfen wurde bis zu dreimal pro Jahr ein Schwein geschlachtet.

In den ersten Nachkriegsjahren war in Altfeld noch ein Schweinehirte unterwegs. Er trieb die Tiere zusammen mit den Gänsen des Dorfes in den Gemeindewald zur Futtersuche.

Altfeld hatte früher zwei Tankstellen. Im Bild, das 1965 entstanden ist, ist die der Familie Albert  am Ortsausgang in Richtung Michelrieth zu sehen, an der Lydia Albert gerade einen Kunden bedient.
Foto: Archiv Edgar Roos | Altfeld hatte früher zwei Tankstellen. Im Bild, das 1965 entstanden ist, ist die der Familie Albert am Ortsausgang in Richtung Michelrieth zu sehen, an der Lydia Albert gerade einen Kunden bedient.

Busverbindungen existierten in den ersten Nachkriegsjahren noch nicht. Wer etwas in der Kreisstadt, die damals noch Marktheidenfeld war, zu tun hatte, benutzte entweder das Fahrrad oder das sechssitzige Postauto. Der Fahrpreis war mit 50 Pfennigen erschwinglich. Fünf Jahre nach Kriegsende stand beim "Hacke Ernst" (Ernst Wolf) der erste Traktor, Marke Herman Lanz Aulendorf. Ein Auto, Marke DKW aus der Vorkriegsproduktion, gehörte ebenfalls zum "technischen Erstbestand" Altfelds. Wer drahtlose Nachrichten loswerden wollte, suchte ebenfalls Ernst Wolf auf. In seinem Haus stand nämlich das erste Telefon.

Die "Kempfe Lies" (Elisabeth Kempf) aus dem Unterdorf war Ende der 1950er Jahre eine gefragte Persönlichkeit in Altfeld. Sie war die Erste, die in der guten Stube einen Fernseher aufstellte. Vor allem die Kinder verfolgten mit großen Augen, was auf dem Bildschirm flimmerte.

 
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