
"Schnietz is back". Thomas Schneider ist zurück in Lohr – mit neuen Plänen an vertrauter Wirkungsstätte. Auch wenn noch nicht alles in trockenen Tüchern ist: der 58-Jährige aus Sendelbach, der 20 Jahre lang auswärts tätig war, ist Stadtgespräch.
Des Aushangs im Schaufenster hätte es nicht bedurft: Schnietz tönt für gewöhnlich laut. Zudem fällt er mit seinem extravagantem, modischen Kleidungsstil und als Radler mit Strohhut auch optisch auf. Der handgeschriebene Zettel prangt an einem Fenster jenes Ladens in der Lohrtorstraße, in dem Thomas Schneider zehn Jahre lang Tabak, Zeitschriften und Wein verkauft hatte.
Schon damals war Schnietz ein bunter Vogel. Einer, der aus seiner Homosexualität keinen Hehl gemacht hat. Doch dann trieb es ihn in die weite Welt: Er war auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs, in den USA und über weite Strecken in der Schweiz – als Chef de Service, de Rang oder de Restaurant, als Brasserie-Wirt, stellvertretender Verkaufsleiter oder Geschäftsführer, Restaurantleiter oder -manager, immer wieder auch als Sommelier.
Von Routine ist Schneider schnell gelangweilt
Abgesehen von seinen zehn Jahren als Selbstständiger war er nach seiner Lehre als Koch im Bischborner Hof bei gut 20 Betrieben angestellt. "Ich hab es nirgends lange ausgehalten – weil ich ein Wandervogel bin", blickt der 58-jährige zurück. "Ich bin nirgendwo rausgeflogen. Ich wurde immer gefragt: 'Haste nicht Lust .?!'" Speziell in Zürichs gastronomischem Netzwerk habe man ihn gekannt und geschätzt. "Ich bin leicht zu überzeugen", erklärt er sich, "und ich bin schnell gelangweilt, wenn Routine einkehrt."
Schnietz ist ein Typ, eine Marke, ein Original. "Ich bin mein Leben lang authentisch", sagt er über sich selbst. So speziell wie er selbst ist auch der Zuschnitt seines neuen, alten Ladens: ein Schlauch von etwa 23 Metern Länge mit sechs großen Schaufenstern und einer maximalen Breite von drei Metern. Vor allem wirtschaftliche Gründe seien es gewesen, dass er den Laden im März 2002 Krzysztof Hartmann überließ: die Umstellung auf den Euro, Umsatzrückgang, die ausgedünnte Stadt.

"Will ich das weitermachen bis zur Rente oder etwas völlig anderes machen", fragte sich Thomas Schneider. Den Laden ab sieben Uhr morgens elf Stunden lang geöffnet zu haben, sei nur mit einer Angestellten gegangen. An Zigaretten und Zeitschriften sei nicht so viel zu verdienen. Also habe er sich entschieden, dieses große Rad nicht länger zu drehen.
Am 1. Oktober könnte der Laden öffnen
Grund für seine Rückkehr in die Heimat ist seine Mutter. Die 84-Jährige hat Betreuungsbedarf. Für seinen Neustart in Lohr nimmt Schneider nun die Starthilfe der Stadt in Anspruch: Diese tritt als Mieter von Leerständen auf, um diese für zwei Jahre kostengünstig an Geschäftsleute weiterzugeben. Noch ist nichts unterschrieben, aber Schneider ist optimistisch, seinen Laden am 1. Oktober eröffnen zu können – mit einem Konzept, das im ganzen Landkreis seinesgleichen sucht. "Mehr oder weniger eine Apéro-Bar" soll seine "Vineria Schnietz" werden.

Den Apéro importiert Schneider aus der Schweiz. Dort wird der gesellschaftliche Brauch gepflegt als Verbindung von Genuss und Geselligkeit, sei es zu Beginn oder am Ende von Veranstaltungen, respektive Feierlichkeiten – eine Gelegenheit, bei der sich Freunde, Kollegen oder Verwandte austauschen, "nach der Arbeit und vor dem Zu-Bett-Gehen", vereinfacht Schneider. Entsprechend angepasst werden die Öffnungszeiten sein: Erst um 16 Uhr schließt er seine Ladentür auf, um 22 Uhr ist Schluss. Samstags ist von 11 bis 17 Uhr offen, Sonntag und Montag zu.
Weißwein aus Franken und kalte Küche
Seine Weine (Weißweine vor allem aus Franken, Rotweine überwiegend aus dem europäischen Ausland) verkauft er in drei Preiskategorien: im Ausschank als Glas oder Flasche oder eben als Flasche außer Haus. Zum Glas Wein gibt es "auf jeden Fall ein Amuse Gueule", also eine kleine Gaumenfreude. Die Küche bleibt kalt, aber es gibt Schinken, Salami und Käse. Drinnen nimmt der Gast Platz auf Barhockern vor kleinen Klapptischen, draußen begnügt sich Schneider mit drei Tischen. "Das war's dann auch", sagt er. "Ich hab nur ein Maul zu stopfen und bewirtschafte das alleine. Ich mache, was ich machen, kann – mehr nicht."

Kommt der Wechselfreudige in seiner Heimat zur Ruhe? "Mein größter Ansporn ist es, Leute immer wieder aufs Neue zu begeistern", erklärt er seinen Antrieb. "Ich hab noch nie gehört, dass jemand behautet hätte, der Schnietz habe Scheiß' verkauft." Die Wertschätzung einzelner Kunden geht aus etlichen Mails hervor, die er seiner Bewerbung bei der Stadt beigefügt hat.
Dabei hat sich der "Gastronom und Gastgeber mit Leib und Seele" (O-Ton Schneider) ein Türchen offen gelassen: Seine Wohnung in Zürich hat er erst einmal untervermietet. Eine Rückkehr in die Schweiz sei nicht ausgeschlossen, aber "ich sehe sie nicht". Sein Engagement in Lohr ist auf zunächst zwei Jahre ausgelegt. Sollte es so lange dauern wie sein erstes, dann endet es 2032 – dann wäre der bunte, weit gereiste Vogel 72 Jahre alt.
Schnietz