
Ein paar ruhige Minuten haben Anja und Jürgen Müller am Freitagnachmittag, um ein wenig über das vergangene Jahr zu berichten. Doch schon nach kurzer Zeit begrüßen sie oder ihre Angestellten die nächsten Kunden, immer wieder klingelt Jürgen Müllers Telefon. Am vergangenen Wochenende nahmen sie mit ihren Bekleidungsgeschäften in Lohr, Zellingen und Marktheidenfeld an der Aktion "Main-Spessart rollte den roten Teppich aus" teil.
Die Stadtmarketingorganisationen hatten sich zusammengeschlossen, um Einzelhändler aus dem ganzen Landkreis für eine gemeinsame Aktion ins Boot zu holen. Zur Teilnahme mussten die Händler einen roten Teppich vor ihrem Laden ausrollen. Zusätzlich gab es in vielen Geschäften Rabatte, Verlosungen und kleine Geschenke für die Kunden. Wenn Jürgen Müller vom vergangen Jahr erzählt, wird klar, wie die Pandemie das Geschäftsmodell Einzelhandel auf eine harte Probe stellte.
Ohne Gastro weniger Kunden
"Das Geschäft ist seit dem Lockdown wieder angelaufen. Trotzdem: Von alleine läuft es nicht, man muss immer an den Kundenkontakten arbeiten", erklärt Müller. Die Aktion "Main-Spessart rollt den roten Teppich aus" sei eine sehr gute Idee, weil die Kleinstädte und Gemeinden kooperieren. Der rote Teppich sei super als visuelles Signal, aber das alleine reiche nicht aus. Man müsse hier und da neue Konzepte ausarbeiten. "Dann haben wir die Chance, den Kunden zu signalisieren, wie wichtig die Innenstädte sind", so der Händler.
Mit ihren Modegeschäften haben die Müllers zwei Schließungsphasen hinter sich. Das bedeutete nicht nur weniger verkaufte Ware. In der Modebranche heißt eine verpasste Saison noch etwas anderes: "Die Hochsaisonware vom Winter haben wir nach dem zweiten Lockdown gespendet. Die Kunden wollen frische Ware und die Lieferanten sind auch auf Neuaufträge angewiesen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist wie ein Zahnrad, da geht eins ins andere", sagt Jürgen Müller. Laut ihm hängt der Handel auch mit der Gastronomie zusammen: "Als die Gastronomie im Lockdown light schließen musste, war plötzlich weniger Kundenfrequenz in der Stadt."
Der soziale Kontakt fehlte
Trotzdem seien er und seine Frau dank der Kurzarbeit relativ gut durch die Pandemie gekommen. Während des Lockdowns wurden die beiden kreativ, angefangen bei den Schaufenstern: "Wir haben dekortiert, damit die Kunden sich über Neuheiten informieren konnten", sagt Anja Müller. Außerdem haben sie ganze Auswahlen zusammengestellt und entweder direkt zu den Kunden gebracht oder mit Termin abholen lassen. "Man versucht damit jeden Kunden zufriedenzustellen. Das war eine logistische Herausforderung", so Jürgen Müller.

Auch wenn es manchmal nicht rentabel gewesen sei, habe man das trotzdem gemacht. "Einfach um den Kunden zu signalisieren, dass wir da sind", sagt der Modehaus-Inhaber. Einen eigenen Onlineshop konnten sie nebenbei aber nicht stemmen. "Das ist zu pflegen wie eine eigene Filiale", erklärt er. Die Geschäfte wieder zu öffnen, hat ihm und seiner Frau auch persönlich viel bedeutet. "Viele Kunden wollen nach wie vor die Ware anfassen und wir möchten beratend zur Seite stehen. Die sozialen Kontakte und Gespräche haben auch uns Händlern gefehlt." Den roten Teppich hätte er am liebsten verlängert: "Damit es noch bekannter wird, hätte ich es gerne auf eine Woche ausgedehnt."
Heimbach: "Wir brauchen die Landkreisbewohner."
Burkhard Heimbach, Kreisvorsitzender des Handelsverbands in Main-Spessart, berichtet ähnlich von der schwierigen Situation der Einzelhändler. "In dieser Zeit konnte man kein Geld verdienen", sagt er über die Lockdown-Phasen. Vielmehr sei es darum gegangen, für den Kunden da zu sein. "Der eine hatte etwas mehr Erfolg mit dem Telefongeschäft oder mit dem kleinen Internetgeschäft. Der andere hatte etwas weniger Erfolg oder gar keinen Erfolg damit", weiß er von seinen Kollegen. Von den im Handelsverband gelisteten Betrieben hätten nach der langen Zeit des Lockdowns trotzdem fast alle wieder öffnen können.
Noch sei es zu früh, um Genaueres sagen zu können. Im Falle eines weiteren Lockdowns sähe es laut Heimbach zumindest für kleine Einzelhändler schlecht aus: "Ich glaube nicht, dass die Kollegen das in der großen Zahl schaffen werden. Sie mussten ja schon vor einer ganzen Zeit einkaufen für den Herbst."
Von der landkreisweiten Aktion der Stadtmarketingorganisationen zeigte sich auch Heimbach begeistert: "Sind wir doch einmal ehrlich: Lohr lebt nicht von Lohr allein. Gemünden lebt nicht von Gemünden allein. Bei Marktheidenfeld und Karlstadt ist das ganz genauso. Wir brauchen die Landkreisbewohner."