
Mit einem paukenschlagartigen Hilferuf hat sich der Lohrer Einzelhandel an die Politik gewandt und kreidet der aktuellen Strategie Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der kleinen Händler an. Seit anderthalb Wochen fährt der Freistaat in der Corona-Pandemie den Kurs, Lockerungen oder strengere Regeln differenziert heruntergebrochen auf Landkreise und kreisfreie Städte anzuwenden. Für den Main-Spessart-Kreis bedeutet das: Nach drei Monaten durften die Läden im Click-and-Meet-Modus öffnen. Jetzt, da der Inzidenzwert über die 100er-Grenze geschnellt ist, sind unter anderem wieder Click-and-Collect und Kontaktsperre vorgeschrieben.
Schon am Montag hatte Angelika Winkler, Vorsitzende und Sprecherin des Zusammenschlusses der Händler, die unter dem Label "Lohr macht Laune" auftreten, auf Instagram deutliche Worte gefunden. Am Dienstag hat sie die Botschaft auch an den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und seinen Vize Hubert Aiwanger (FW) geschickt.
Unter anderem spricht Winkler von Unverständnis darüber, dass etwa Supermärkte und Baumärkte öffnen dürfen, ohne Kontaktnachverfolgung, und dass dort Waren wie Kleidung, Deko und Küchenartikel, die vor allem auch in Lohr originärer Gegenstand des Einzelhandels sind, angeboten werden. Der Einzelhandel in Main-Spessart dagegen sei in den Click-Modus geschickt worden. Diese Auflagen würden den Wettbewerb verzerren, so Winkler.
Akute Existenzängste
Außerdem herrsche in den Einzelhandels-Reihen Enttäuschung darüber, dass Hilfszahlungen nicht angekommen seien und bestimmte Berufsgruppen durchs Raster fielen. Auch die Abschreibung der Saisonware sei ein Instrument, das verlockend geklungen habe, in der Realität aber oft nicht anwendbar sei. "Wir werden bald nicht mehr da sein", formulieren es die Lohrer drastisch.
Im Gespräch mit dieser Redaktion verweist Angelika Winkler nochmals auf die besondere Situation der Schneewittchen-Stadt, die ihr Image gerade darüber aufgebaut habe, eine heimelige Einkaufsdestination zu sein. Das sei auch in anderen Städten in Main-Spessart so, in Karlstadt, Gemünden, Marktheidenfeld.
Und die Möglichkeit, online zu verkaufen, zumal die Plattform mainlokalshop.de parallel zur Pandemie rasch ins Netz gegangen war? Das sei zwar eine absolut perfekte Technologie, so Winkler, allerdings sei es für den kleinen Lohrer Einzelhändler mitunter nicht so einfach, finanziell in die digitale Technologie zu investieren.
Inzwischen hat unter anderem der Innenstadt-Laden Betty Friedel auf Homeshopping-TV umgestellt und zeigt neue Modetrends auf einem Youtube-Kanal. Ein Modell, wie es weitergehen könnte? Winkler: "Auch das erfordert Zeit, Aufwand, man muss es drehen und schneiden, das ist alles ungewohnt für viele."
"Keiner kann das drohende Spiel 'geöffnet', 'geschlossen' oder 'irgendwas dazwischen' den Kunden erklären und mitspielen", so Winkler im Wortlaut in ihrem Appell an die Politik. Die Händler fordern die Rückkehr "zu einer bayernweiten Inzidenz, angepasst an erhöhte Testungen, und das Öffnen für den Einzelhandel unter gleichen Bedingungen wie Supermarkt, Baumarkt, Bücherei, Blumenladen".
Reaktionen aus der Politik
Die Forderung der Lohrer Werbegemeinschaft ging unter anderem auch an die Bundestagsabgeordneten, die den Main-Spessart-Kreis in Berlin vertreten, und an Main-Spessart-Landrätin Sabine Sitter. Diese Redaktion hat die Politiker um ein Statement zum Hilferuf aus Lohr gebeten. Das sind ihre Antworten:
Bundestagsabgeordneter Alexander Hoffmann (CSU): "Mit Frau Winkler bin ich schon seit einiger Zeit im Gespräch, wie wir den Handel in den Innenstädten stärken können. Wir können uns vorstellen, aus den Bundesmitteln der Städtebauförderung Geld umzuschichten und dieses so gezielt einzusetzen, dass die Innenstädte wieder lebendige Einkaufsstädte mit Erlebnis werden. Aktuell allerdings haben wir die Situation in Lohr, dass sich das Infektionsgeschehen in der Industrie abspielt und nicht wie bislang im Schwerpunkt in den Senioren- und Pflegeheimen. Das heißt, wir müssen mit einem Eintragen in die weitere Bevölkerung rechnen und mit einem exponentiellen Wachstum – und genau dies gilt es jetzt, über strengere Regeln zu verhindern. Ich selbst war von Anfang an gegen die Öffnung der Baumärkte. Friseur-Öffnung ja, denn das ist vor allem eine Frage der Würde. Im Grunde geht es darum, mit dem richtigen Maß wieder zu den Grundrechten zurückzukehren. Ich weiß, dass es den Händlern darum geht, nach dem ausgefallenen Winter-Geschäft jetzt das Frühjahrsgeschäft mitnehmen zu müssen. Ich halte die Strategie der ,atmenden Deckel', also regional differenziert zu lockern oder auch wieder zu schließen, für die beste Möglichkeit.«

Bundestagsabgeordneter Bernd Rützel (SPD): "Der Handel hatte immer wieder einen Stufenplan und Öffnungsperspektiven gefordert. Dem sind die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in ihrem Beschluss mit der Kanzlerin vom 4. März weitgehend gefolgt. Bei einem Stufenkonzept orientieren sich Öffnungen von Geschäften, Museen, öffentlichen Einrichtungen etc. an Kennzahlen zur Entwicklung der Covid-19-Infektionszahlen. Ob es Sinn macht, nur die Inzidenzen als Maßstab zu nehmen, will ich hier dahingestellt lassen. Die Zahlen steigen, und ein Stufenkonzept ist keine Einbahnstraße: Sinkende Infektionszahlen ermöglichen Öffnungen, steigende Zahlen erfordern strengere Maßnahmen. Ausgenommen von den Schutzmaßnahmen ist die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen. Weitere Ausnahmen oder erweiterte Angebote in Lebensmittelgeschäften müssten besser begründet werden, als es bislang geschieht. Hier sollten die Landesregierungen und die vor Ort die Beschlüsse umsetzenden Landratsämter nacharbeiten. Nur so können sie Zustimmung zu den Maßnahmen erwarten. Wenn Tests mehr Corona-Erkrankungen aufzeigen, dann darf die Schlussfolgerung nicht sein, Grenzwerte zu verändern oder Tests einzuschränken. Solange die Impfkampagne nicht an Fahrt aufnimmt, werden wir mit Auf und Abs, dem Schließen und Öffnen, womöglich leben müssen."
Landrätin Sabine Sitter (CSU): "Wir sehen im Kreis Main-Spessart aktuell steigende Infektionszahlen. Als Landratsamt sind wir ausführendes Organ, das umzusetzen, was aus München an Vorgabe kommt. Wir sind immer noch im Katastrophenfall – und da hilft eine klare Linie und deren Umsetzung, Erfolge im Eindämmen der Pandemie schneller zu erreichen. Allerdings sehe und kenne ich auch die Sorgen und die existenziellen Nöte mancher Main-Spessarter. Das Landratsamt liegt mitten in der Karlstadter Innenstadt, und ich erlebe jeden Tag, was eine leere Altstadt bedeutet. Ich kann auch sagen, dass wir mit anderen Vertretern des Handels in anderen MSP-Städten in gutem, einvernehmlichem Kontakt stehen, wir besprechen individuelle Fälle und bemühen uns um eine gute Lösung."

Nun sitzen wir in den Osterferien zu Hause!
Man Leute, reist euch zusammen, haltet euch an die Regeln!