
Das Geschäft mit dem Mehl lief für Roland Müller aus Wüstenzell Anfang dieses Jahres gut; aus seiner Sicht vielleicht sogar etwas zu gut. Eigentlich sollte die im Sommer 2022 gekaufte Getreideernte bis Ende dieses Jahres reichen. Doch schon im April stellte der 66-Jährige seine Mühle, die letzte von einst mehr als einem Dutzend im Aalbachtal, ab. Das Silo war leer.
"Es war ein seltsames Gefühl, als ich die Türe an diesem Tag zugeschlossen habe", sagt er. Viel Wehmut schwinge mit, aber auch Erleichterung. Roland Müller und seine Frau Inge (62 Jahre) müssen sich noch daran gewöhnen, dass es leise ist. "Ich schließe jetzt auch untertags immer die Türen ab, weil mir die Stille unheimlich ist", sagt Inge Müller. Die stetige Betriebsamkeit der Mühle und das laute Stampfen fehlt den beiden. Sie bestimmten ihren Lebensrhythmus.
Das Arbeitsjahr begann mit der Getreideernte. "Familienurlaub in den Sommerferien gab es nicht", sagt Roland Müller. Es war Hochbetrieb, wenn die Landwirte aus der näheren Umgebung direkt vom Feld kamen. Sie standen Fuhrwerk an Fuhrwerk, manchmal 350 Meter bis zur Kreisstraße in Richtung Holzkirchhausen. Bis 2018 haben Müllers insgesamt 2000 Tonnen Getreide pro Jahr angenommen. Gerste und Raps verkauften sie weiter.

Weizen, Roggen und Dinkel lagerten sie zum Mahlen ein. "Manche denken, wir hätten nur zu tun gehabt, wenn wir das Getreide angenommen haben, und den Rest des Jahres gefaulenzt", so der Müller. Diese Mengen könne man gar nicht auf einmal verarbeiten. Es wurde nach und nach – bis zur nächsten Ernte – gemahlen.
"Müller, das ist kein Beruf, mit dem man reich wird, wie es in Märchen oft dargestellt wird", sagt Roland Müller. "Hätten wir alle unsere Arbeitsstunden zusammengerechnet, wären wir nicht mal auf den Mindestlohn gekommen", ergänzt seine Frau. Ganz zu schweigen von dem Risiko, das mit der Selbstständigkeit einhergeht. Was wäre, wenn der Müller längere Zeit aus gesundheitlichen Gründen ausfällt? Was, wenn teure Ersatzteile benötigt werden? Trotz vieler Sorgen und viel Arbeit: Dass sie untertags auch mal eine gemeinsame Kaffeepause einlegen konnten, hat das Paar genossen.
Roland Müller hat zehn Jahre lang bis 1983 als Steuergehilfe gearbeitet. Dass er in die Fußstapfen seines Vaters Edwin treten würde, hat sich erst dann abgezeichnet. In Stuttgart hat er sich zum Müller ausbilden lassen, die Familie investierte in den Umbau der Mühle: Der Betrieb wurde automatisiert, wenig später wurde ein Getreidesilo gebaut.

Die Müllers belieferten Familienbäckereien in der Region mit Weizen- und Roggenmehl. "Allein in Marktheidenfeld gab es bis vor einigen Jahren zehn Bäckereien", erinnert er sich. Großbetriebe hingegen hatten kein Interesse an einer Zusammenarbeit. Die Menge an Mehl, die Müller hätte liefern können, reichte nicht aus.
In den vergangenen Jahren hat er eine neue Kundengruppe aufgetan: Er versorgte Pizzabäcker und Dönerbuden vor allem in der Würzburger Innenstadt mit Mehl. Auch Dorf- und Hofläden in der Region verkaufen Müller-Mehl aus Wüstenzell. Andere Kunden kommen direkt zur Mühle. Vor allem um Weihnachten und Ostern herum backen die Menschen viel und brauchen Mehl, erklärt Inge Müller. Und während der Corona-Krise kauften sie auf Vorrat. "Da war so viel los, dass wir samstags und montags keine Kunden bedient haben, sondern nur mit Abpacken beschäftigt waren", so Inge Müller.
An den Verkaufstagen war sowieso ständig was los. "Wenn ich alleine da war, habe ich mich nicht getraut, einen Kuchen in den Ofen zu schieben", sagt sie. Und gesteht gleichzeitig, dass sie sich über den Plausch mit der Kundschaft freut. Auch deshalb öffnen Müllers noch zwei Mal in der Woche ihren kleinen Mühlenladen, der eigentlich nur aus einem Regal besteht. Darin sind die Waren aufgereiht: Nudeln, Rapsöl, Honig, Hefe, Sauerteig.
Und natürlich Mehl: triebstarkes, haushaltsübliches Auszugsmehl, Typ 405, das bis zu 16 Mahlgänge durchläuft, bis es seine fast reinweiße Farbe erhält. Daneben Typ 550, das vor allem von Bäckereien zum Brötchenbacken verwendet wird, sowie Roggen- und Dinkelmehle. Das Mehl holt Roland Müller jetzt einmal pro Woche aus einer Mühle im baden-württembergischen Hardheim. Zusammen mit seiner Frau packt er es in kleinere Papiertüten um. Die beiden wollen den Betrieb noch einige Zeit so fortführen, bis sie endgültig in Ruhestand gehen.

Roland Müller erinnert sich zurück an die Zeiten, als in seiner Mühle Hochkonjunktur herrschte. Die Familie stand vor der Entscheidung, zu expandieren. "Aber es hätte sich nicht gerechnet, in neue Maschinen zu investieren", sagt er. Dass seine Kinder den Betrieb nicht übernehmen wollen, könne er nachvollziehen. "Alleine weitermachen, war für uns auch keine Option." Und Mühle und Wohnhaus seien zu sehr miteinander verwoben, als dass er den Betrieb einfach jemand anderem hätte übergeben können.
Was aus dem Mühlengebäude mit der funktionsfähigen Technik wird, ist ungewiss. Noch genießt es Müller, mindestens einmal täglich durch das fünfstöckige Gebäude zu streifen: treppauf, treppab. Er rückt hier und dort etwas gerade und sieht nach dem Rechten. Seine Hand streicht über die feuerroten Kästen mit den Sichtfenstern, in denen die Walzen das Korn gequetscht haben, während er erklärt, wie seine Mühle gearbeitet hat.