
Was zählt im Leben wirklich und wie ist es möglich, sich auf das Wesentliche auszurichten? Rüdiger Standhardt ist Diplom-Pädagoge, Achtsamkeitstrainer, Trauerredner und Buchautor aus Königswinter-Thomasberg. Ende November kommt er nach Karlstadt und Binsfeld, um in einer Lesung und einem Workshop über die Tabuthemen Sterben und Tod zu sprechen. Im Interview erzählt er, warum es sich lohnt, sich mit der eigenen Endlichkeit zu beschäftigen, wie man sein ganz persönliches Vorsorge-Handbuch anlegen kann und warum bei dem Thema trotz allem gelacht werden darf.
Rüdiger Standhardt: Natürlich, es geht um das Leben. Aber nicht, indem wir Themen ausgrenzen. Sondern indem wir auch alles anschauen, was nicht so angenehm ist, also das Schmerzliche, Vergängliche, Endliche. All das, was uns auch ratlos macht.
Was gehört aus Ihrer Sicht dazu, um für den eigenen Tod gut vorzusorgen?
Standhardt: Das Thema hat sachliche, emotionale und spirituelle Aspekte: Es geht um die wichtigsten Vorsorgedokumente wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und, wenn man Kinder hat, Sorgerechtsverfügung. Es geht um die letzten Wünsche, zum Beispiel die gewünschte Bestattungsform. Aber es geht auch um die zentrale Frage: Bin ich eigentlich abflugbereit?
Standhardt: Das weiß ich nicht. Aber die Frage könnte ein erster Anstoß sein, sich mit dem Thema zu beschäftigten. Ich persönlich fühle mich abflugbereit, nachdem ich drei Sachen erledigt habe: Ich habe mir meine Urne selbst getöpfert, die steht im Wohnzimmer. Im Esszimmer steht mein Krematoriums-Sarg. Den hat mir ein Schreiner so angefertigt, dass ich ihn für meine Bücher nutzen kann. Und ich habe meine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Darin stehen nicht nur die schönen Geschichten, sondern auch die schmerzlichen.
Standhardt: Wichtig ist, dass die Menschen spüren, dass das Thema keine todernste Angelegenheit ist. Es darf auch gelacht werden. Wenn ich dann merke: Es zieht ein Stück Normalität ein, jenseits von Verdrängen, dann kann man schauen: Was ist für den Einzelnen hilfreich?
Standhardt: Die meisten Menschen sind in ihrer zweiten Lebenshälfte, also 55 Jahre plus, stehen am Ende ihres Berufslebens oder haben es schon hinter sich. Die denken oft: "Man sollte sich mal mit dem Thema beschäftigen." Defacto ist es aber ein Thema, das alle betrifft.
Standhardt: Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob Selbstbestimmt-Sein nicht nur in guten Tagen etwas ist, was mir wichtig ist, sondern auch, wenn ich schwächer werde und vielleicht sogar in den Prozess des Sterbens übertrete. Über 80 Prozent der Menschen wollen beispielsweise zu Hause sterben. Aber nur 20 Prozent tun das am Ende. Woran das liegt? Meine Antwort lautet: Menschen haben zwar Wünsche, aber nicht gelernt, für ihre Wünsche aktiv etwas zu tun.
Standhardt: Da gibt es zwei Möglichkeiten. Ein Ansatz wäre, zu überlegen: Wo bin ich in meinem Leben mit dem Thema Sterben und Tod in Kontakt gekommen? Vielen fällt dazu erstmal nichts ein. Aber wenn sie näher drüber nachdenken, kommen doch einige Sachen: Da gab es eine Abtreibung, einen Suizid oder etwas anderes. Plötzlich entfaltet sich das Thema und sie merken: Das Thema Tod ist schon längst Bestandteil meines Lebens.
Standhardt: Ein andere Herangehensweise wäre zu überlegen, was ist mir in meinem Leben wirklich wichtig und gebe ich dem ausreichend Raum und Zeit? Oder verliere ich mich in den alltäglichen Nebensächlichkeiten? Viele Menschen müssen erstmal einen schweren Schlag vor den Bug bekommen, eine Erkrankung zum Beispiel, um zu merken: Mein Leben hängt am seidenen Faden. Da hängt meines auch. Und Ihres auch. Auch ohne Erkrankung, aber wir verdrängen es.

Standhardt: Darin geht es um die praktische Erstellung der wichtigsten Vorsorgedokumente. Aber nicht nur. Wer möchte, kann aus dem Vorsorge-Handbuch ein Lebensbuch machen, in dem ich meine persönlichen Gedanken festhalte, über meine Biographie, zu den Themen Verlust, Sterben, Tod. Ich persönlich mache es zum Beispiel so: Ich setze mich immer zum Jahreswechsel hin und bringe das Buch auf den neuesten Stand. Mache vielleicht auch eine Jahresreflektion und frage, was in dem Jahr war. Bin ich noch auf Kurs? Habe ich mich irgendwo verlaufen? Sollten meine Kinder das Buch dann in die Hand nehmen, dann wissen sie: Das ist aktuell. Der Vater hat es zwischen den Jahren noch in den Händen gehalten.
Standhardt: Da kann ich nur raten, der Situation möglichst bewusst zu begegnen und den Verlust anzuerkennen. Trauercafés, Trauergruppen können da helfen. Man darf nicht vergessen: Trauer ist Liebe. Das heißt, es geht jetzt darum, dass der Mensch, der gestorben ist, in meinem Herzen einen guten Platz bekommt, damit ich mich wieder neu auf das Leben einlassen kann, mit allem, was dann passiert. Das dauert unterschiedlich lang und kann nicht bewusst beschleunigt werden. Wer diesen Prozess verkürzen will, tut sich keinen Dienst.
Standhardt: Einerseits wollen sich viele Menschen nicht damit befassen. Andererseits wollen immer mehr Menschen einen lebendigeren Umgang mit dem Thema, als gäbe es da so etwas wie eine stille Sehnsucht. Das merkt man auch daran, dass Trauerfeiern immer öfter zu bunten Lebensabschiedsfeiern werden. Da ist Trauer mit drin, aber es wird nicht darauf reduziert.
Standhardt: Dass wir uns entspannen und sagen: Diese Themen gehören wie selbstverständlich zum Leben dazu und sie nehmen uns nichts weg.