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Karlstadt
Raus aus der Tabuzone: Warum es Rüdiger Standhardt leicht fällt, über den Tod zu sprechen
Eine Hochzeit planen viele Menschen Monate im Voraus. Mit der Abschlussfeier des Lebens, dem Tod, beschäftigen sich die Wenigsten. Rüdiger Standhardt will dazu ermutigen, sich einzulassen.
Rüdiger Standhardt mit seiner von ihm gestalteten Urne.
Foto: Rolf K. Wegst | Rüdiger Standhardt mit seiner von ihm gestalteten Urne.
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:23 Uhr

Was zählt im Leben wirklich und wie ist es möglich, sich auf das Wesentliche auszurichten? Rüdiger Standhardt ist Diplom-Pädagoge, Achtsamkeitstrainer, Trauerredner und Buchautor aus Königswinter-Thomasberg. Ende November kommt er nach Karlstadt und Binsfeld, um in einer Lesung und einem Workshop über die Tabuthemen Sterben und Tod zu sprechen. Im Interview erzählt er, warum es sich lohnt, sich mit der eigenen Endlichkeit zu beschäftigen, wie man sein ganz persönliches Vorsorge-Handbuch anlegen kann und warum bei dem Thema trotz allem gelacht werden darf.

Herr Standhardt, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die Kunst, den Tod ins Leben einzuladen". Sprich, auf das Sterben bereitet man sich also am besten vor, wenn man lebt?

Rüdiger Standhardt: Natürlich, es geht um das Leben. Aber nicht, indem wir Themen ausgrenzen. Sondern indem wir auch alles anschauen, was nicht so angenehm ist, also das Schmerzliche, Vergängliche, Endliche. All das, was uns auch ratlos macht. 

Was gehört aus Ihrer Sicht dazu, um für den eigenen Tod gut vorzusorgen?

Standhardt: Das Thema hat sachliche, emotionale und spirituelle Aspekte: Es geht um die wichtigsten Vorsorgedokumente wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und, wenn man Kinder hat, Sorgerechtsverfügung. Es geht um die letzten Wünsche, zum Beispiel die gewünschte Bestattungsform. Aber es geht auch um die zentrale Frage: Bin ich eigentlich abflugbereit? 

Womit sollte ich mich denn beschäftigt haben, um abflugbereit zu sein? 

Standhardt: Das weiß ich nicht. Aber die Frage könnte ein erster Anstoß sein, sich mit dem Thema zu beschäftigten. Ich persönlich fühle mich abflugbereit, nachdem ich drei Sachen erledigt habe: Ich habe mir meine Urne selbst getöpfert, die steht im Wohnzimmer. Im Esszimmer steht mein Krematoriums-Sarg. Den hat mir ein Schreiner so angefertigt, dass ich ihn für meine Bücher nutzen kann. Und ich habe meine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Darin stehen nicht nur die schönen Geschichten, sondern auch die schmerzlichen.

Ich kann mir vorstellen, wenn Sie das auf einem Workshop erzählen, schrecken viele zurück. Wie nähern Sie sich da an? 

Standhardt: Wichtig ist, dass die Menschen spüren, dass das Thema keine todernste Angelegenheit ist. Es darf auch gelacht werden. Wenn ich dann merke: Es zieht ein Stück Normalität ein, jenseits von Verdrängen, dann kann man schauen: Was ist für den Einzelnen hilfreich?

Welche Menschen buchen einen Workshop bei Ihnen?

Standhardt: Die meisten Menschen sind in ihrer zweiten Lebenshälfte, also 55 Jahre plus, stehen am Ende ihres Berufslebens oder haben es schon hinter sich. Die denken oft: "Man sollte sich mal mit dem Thema beschäftigen." Defacto ist es aber ein Thema, das alle betrifft. 

Ist der Satz "Man sollte sich mal mit dem Thema beschäftigen" eine gute Ausgangsbasis?  

Standhardt: Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob Selbstbestimmt-Sein nicht nur in guten Tagen etwas ist, was mir wichtig ist, sondern auch, wenn ich schwächer werde und vielleicht sogar in den Prozess des Sterbens übertrete. Über 80 Prozent der Menschen wollen beispielsweise zu Hause sterben. Aber nur 20 Prozent tun das am Ende. Woran das liegt? Meine Antwort lautet: Menschen haben zwar Wünsche, aber nicht gelernt, für ihre Wünsche aktiv etwas zu tun.

Wenn Sie mich jetzt anleiten würden: Wie würden Sie das tun? 

Standhardt: Da gibt es zwei Möglichkeiten. Ein Ansatz wäre, zu überlegen: Wo bin ich in meinem Leben mit dem Thema Sterben und Tod in Kontakt gekommen? Vielen fällt dazu erstmal nichts ein. Aber wenn sie näher drüber nachdenken, kommen doch einige Sachen: Da gab es eine Abtreibung, einen Suizid oder etwas anderes. Plötzlich entfaltet sich das Thema und sie merken: Das Thema Tod ist schon längst Bestandteil meines Lebens.

Was wäre der zweite Ansatz?

Standhardt: Ein andere Herangehensweise wäre zu überlegen, was ist mir in meinem Leben wirklich wichtig und gebe ich dem ausreichend Raum und Zeit? Oder verliere ich mich in den alltäglichen Nebensächlichkeiten? Viele Menschen müssen erstmal einen schweren Schlag vor den Bug bekommen, eine Erkrankung zum Beispiel, um zu merken: Mein Leben hängt am seidenen Faden. Da hängt meines auch. Und Ihres auch. Auch ohne Erkrankung, aber wir verdrängen es.

Tod und Sterben: Diese Themen gehören für den Buchautor und Achtsamkeitstrainer  Rüdiger Standhardt wie selbstverständlich zum Leben dazu. 
Foto: Hendrik Schmidt | Tod und Sterben: Diese Themen gehören für den Buchautor und Achtsamkeitstrainer  Rüdiger Standhardt wie selbstverständlich zum Leben dazu. 
Was ist ein ganzheitliches Vorsorge-Handbuch, wie sie es empfehlen?

Standhardt: Darin geht es um die praktische Erstellung der wichtigsten Vorsorgedokumente. Aber nicht nur. Wer möchte, kann aus dem Vorsorge-Handbuch ein Lebensbuch machen, in dem ich meine persönlichen Gedanken festhalte, über meine Biographie, zu den Themen Verlust, Sterben, Tod. Ich persönlich mache es zum Beispiel so: Ich setze mich immer zum Jahreswechsel hin und bringe das Buch auf den neuesten Stand. Mache vielleicht auch eine Jahresreflektion und frage, was in dem Jahr war. Bin ich noch auf Kurs? Habe ich mich irgendwo verlaufen? Sollten meine Kinder das Buch dann in die Hand nehmen, dann wissen sie: Das ist aktuell. Der Vater hat es zwischen den Jahren noch in den Händen gehalten. 

Was passiert, wenn andere gehen und ich noch nicht abflugbereit für deren Abschied war?

Standhardt: Da kann ich nur raten, der Situation möglichst bewusst zu begegnen und den Verlust anzuerkennen. Trauercafés, Trauergruppen können da helfen. Man darf nicht vergessen: Trauer ist Liebe. Das heißt, es geht jetzt darum, dass der Mensch, der gestorben ist, in meinem Herzen einen guten Platz bekommt, damit ich mich wieder neu auf das Leben einlassen kann, mit allem, was dann passiert. Das dauert unterschiedlich lang und kann nicht bewusst beschleunigt werden. Wer diesen Prozess verkürzen will, tut sich keinen Dienst.

Wie gehen wir als Gesellschaft aus Ihrer Sicht mit dem Thema Tod um?

Standhardt: Einerseits wollen sich viele Menschen nicht damit befassen. Andererseits wollen immer mehr Menschen einen lebendigeren Umgang mit dem Thema, als gäbe es da so etwas wie eine stille Sehnsucht. Das merkt man auch daran, dass Trauerfeiern immer öfter zu bunten Lebensabschiedsfeiern werden. Da ist Trauer mit drin, aber es wird nicht darauf reduziert. 

Was würden Sie sich wünschen?

Standhardt: Dass wir uns entspannen und sagen: Diese Themen gehören wie selbstverständlich zum Leben dazu und sie nehmen uns nichts weg.

Veranstaltungen zum Thema Tod und Vorsorge

Rüdiger Standhardt, geboren 1962 in Bonn, ist Diplom-Pädagoge und hat evangelische Theologie studiert. Seit 1988 ist er selbstständig tätig in der Erwachsenbildung, leitet seit 2017 das Institut Forum Achtsamkeit, ist Ausbilder für achtsamkeitsbasierte Verfahren (MBSR, TAO) und  Autor verschiedener Buchveröffentlichungen.
Veranstaltungen mit Rüdiger Standhardt in MSP am Donnerstag, 30. November:
Workshop Vorsorge aktiv gestalten: 10 bis 13 Uhr,  Karlstadt, Historisches Rathaus Uhrenstube
Lesung und Diskussion zum Buch "Die Kunst, den Tod ins Leben einzuladen":  15 Uhr Binsfeld, Mehrgenerationenhaus
Anmeldung Vhs Karlstadt, Langgasse 17, Karlstadt, Telefon 09353-8612 E-Mail: info@vhs-karlstadt.de
Quelle: luc
 
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