
Die erschütterndste Szene beim Auftakt des Prozesses um einen tödlichen Brückensprung am Landgericht Aschaffenburg ist ein Handy-Video. Es dauert kaum fünf Sekunden: Zitternd hängt das Opfer am Rand der Brücke bei Wörth im Landkreis Miltenberg, zwölf Meter hoch über dem eiskalten Wasser. Die Finger des 30-jährigen Mannes sind verzweifelt ans Geländer geklammert. Der Filmende zählt drohend: "Eins, zwei, drei los." Das Opfer resigniert. Lässt los. Und stürzt in den Main.
Im Gerichtssaal in Aschaffenburg herrscht an diesem Donnerstag betretenes Schweigen. Auf der Videosequenz ist zu hören, wie der Körper im sieben Grad kalten Wasser aufschlägt. Dann treibt er in die Dunkelheit davon. Der Mann stirbt. Er war nicht angefasst oder direkt angegangen worden - deshalb spricht die Anklage von Mord in mittelbarer Täterschaft.
Es ist der erste Verhandlungstag in diesem Mordprozess. Der Würzburger Rechtsmediziner Thomas Tatschner erklärt, wie es zum so genannten Reflextod kommt. Der Körper schaltee auf Sparflamme, das Opfer wird bewusstlos und stirbt.
Ein Mord - vom Mordverdächtigen gefilmt?
Nicht oft ist der Moment eines Verbrechens per Film so direkt und unmittelbar dokumentiert. In diesem Fall sogar vom mutmaßlichen Mörder selbst, heißt es in der Anklage von Oberstaatsanwalt Jürgen Bundschuh. Der Angeklagte hatte das Handy-Video einer Freundin geschickt, die es zwar samt verräterischen Whatsapp-Dialogen von ihrem Handy löschte. Doch ein Ermittler konnte den Film wiederherstellen, als die Polizei im Bekanntenkreis nach dem verschwundenen Opfer suchte.

Laut Anklage hatte der 35-Jährige in jener Februarnacht dem Opfer ein Treffen vorgeschlagen, das rasch in Aggression umschlug: Der 30-Jährige wurde demnach gezwungen, Geld von seinem Konto abheben, was durch Bilder einer Überwachungskamera belegt ist. Dann soll der Angeklagte ihn zum Main getrieben haben. Dort zwang er das Opfer laut Staatsanwaltschaft, vom Ufer aus bis zu den Hüften ins eiskalte Wasser zu waten. Offenbar aus Rache, um einer Freundin des Angeklagten zu imponieren und für die angebliche Misshandlung einer gemeinsamen Freundin.
In der Zelle schikaniert und mit Schlägen und Tritten gequält
Dieser Moment ist ebenfalls auf einem Handybild festgehalten. Dann soll das Opfer - durchnässt und frierend - gezwungen worden sein, zu der Brücke zu laufen. Mit Schlägen und Tritten soll der mutmaßliche Täter den 30-Jährigen gefügig gemacht haben, über die Brüstung zu klettern und hinabzuspringen. Für das Brechen des Widerstandes ist ein weiteres Video Beleg.
Die beiden Männer, die den Ermittlern zufolge früher Freunde gewesen waren, hatten sich offenbar entzweit, als sie beide vor Jahren in der gleichen Zelle der JVA Aschaffenburg saßen. Vor Gericht wurden am Donnerstag Akten verlesen, demnach der Angeklagte und andere Zelleninsassen das damals 16 Jahre alte Opfer so lange schikanierten, bis es das Gefängnispersonal rief. Der Angeklagte, so erinnerte sich jetzt die Mutter des Opfers im Zeugenstand, soll damals gedroht haben: "Irgendwann bringe ich ihn um."
Schon einmal bei einer Mutprobe von der Brücke gesprungen
Besonders perfide ist: Als früheres Mitglied der Freundesclique wusste der Angeklagte offenbar, dass der 30-Jährige in seiner Jugend bei einer Mutprobe schon einmal mit sechs anderen von jener Brücke gesprungen war. Doch bei sommerlichen Temperaturen, wie der Bruder des Getöteten jetzt vor Gericht aussagte. Schon damals sei er fast ums Leben gekommen. Ein Freund musste ihn retten und wiederbeleben. "Da springe ich nie wieder runter", habe er damals erklärt.
Ungerührt schaute der Angeklagte am ersten Prozesstag zu, als Bilder und Filme gezeigt werden. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Karsten Krebs nach einem Geständnis antwortete Verteidiger Norman Jacob junior: "Heute wird mein Mandant noch keine Angaben machen." Am nächsten Verhandlungstag wolle er aussagen.
Vermutung des Bruders: ein Drogendeal?
Mutter und Bruder des Opfer konnten sich vor Gericht nicht erklären, warum der 30-Jährige dem Treffen zugestimmt hatte. Er habe sich vor dem Angeklagten gefürchtet. "Ich nehme an, er wollte von dem Drogen", so die Vermutung des Bruders. Und dann eskalierte am Landgericht die Situation fast, als er den Angeklagten anschrie: "Der gehört auf den elektrischen Stuhl."
Ein Zeuge, bei dem der Angeklagte nach dem Vorfall übernachtete, berichtete laut einem Ermittler: Der Mann sei "feiernd" zu ihm gekommen und habe ihm das Video gezeigt. Die Leiche des zunächst Vermissten war erst drei Wochen später bei einer Schleuse zwölf Kilometer flussabwärts gefunden worden. Da war der Verdächtige bereits in Untersuchungshaft, nachdem er auf der Flucht in Rheinland-Pfalz gefasst worden war.
Der Prozess wird am Freitag, 18. November, fortgesetzt. Mit einem Urteil ist erst am 22. Dezember zu rechnen.