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Otto Bernard: Die Explosion wirkt noch immer nach
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:48 Uhr

Otto Bernard hatte das Eckhaus in der Rathausgasse 2, das am 26. Juni 1978 bei einer Gasexplosion in die Luft flog, drei Jahre vorher von Margarete Schecher gekauft – zum Teil auf Rentenbasis. Sie wohnte in diesem Haus, Bernard stellte sie in seinem Ratsgrill als Putzfrau ein. Sie war jene Frau, die fünf Stunden nach der Explosion im Krankenhaus starb.

Nach der Explosion stand der damals 48-Jährige nicht nur vor den Trümmern seines Hauses. Er sah sich auch Vorwürfen ausgesetzt, die sich als unwahr herausstellten. Sein offener Gashahn habe die Explosion verursacht, hieß es. Wegen der Bauarbeiten war sein Ratsgrill, den er seit 1970 betrieb, schon eine Woche lang unzugänglich und deshalb geschlossen gewesen, erzählt Bernard.

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Er sei auf dem Heimweg von Höchberg gewesen, wo er vor einem Einkaufsmarkt Bratwürste verkauft hatte. Als er den Wiesenfelder Berg hinunterfuhr, „hat's einen Schlag getan, dass das Auto gezittert hat“. Auf der neuen Mainbrücke sei er gestoppt worden. Dort erfuhr er: „Otto, Dei' Haus ist in die Luft g'floge'.“ Bernard war nicht zu bremsen. Er lieh sich einen Helm vom THW aus: „Lasst mich hin, ich bin der einzige, der sich auskennt. Dann bin ich hin, bin erstmal in das Loch gekrabbelt, hab das Wasser abgedreht. Da hat das Gas noch voll rausgeblasen, weil kein Schieber an der Hauptleitung war.“

„Stellt Euch vor, ich hätte im Keller einen Gully gehabt, einen Abfluss“, malt er sich ein noch viel schlimmeres Szenario aus: Dann hätte sich Gas über die Abwasserrohre in der halben Stadt ausgebreitet ...

Schuldzuweisungen musste er sich anhören – zu Unrecht, wie es bewiesen ist. Unbürokratische Hilfe wurde versprochen. Bernard: „Ein Flop ersten Grades.“ Ein Brief an den damaligen Ministerpräsidenten Franz-Josef-Strauß sei unbeantwortet geblieben.

Sein Haus baute Bernard dann parallel mit der Familie Weis/Schneebacher wieder auf. 600 000 Mark geliehenes Geld und viel Eigenleistung habe er hineingesteckt, sagt er, vom Staat, habe er keine einzige Mark erhalten: „Gar nix!“ Nur vom Spendenkonto hat er etwas abbekommen. Von Hilfsangeboten der Stadt habe er nichts mitbekommen, es habe sich aber auch keiner bei ihm gemeldet, der ihm mit Rat zur Seite gestanden habe.

Der Rechtsstreit mit der Versicherung habe sich sechs Jahre hingezogen. Laut Bernard endete er mit einem Vergleich: „Die haben nur einen Teil von den 600 000 Mark gezahlt, 160 000 Mark.“ In der Zwischenzeit habe er aber 400 000 Mark an seine Rechtsanwälte bezahlt. Bernard grollt noch heute: „Nach sechs Jahren hat der Richter in Bamberg gesagt: Herr Bernard, und wenn Sie noch ein paar Jahre gegen die Allianz klagen, Sie kommen gegen die nie an. Sie können von uns ein Urteil kriegen, aber nie Gerechtigkeit.“ Er sei auf einer Million Mark Schaden sitzen geblieben – die Zinsen nicht mitgerechnet.

Was ihn bis heute schmerzt: „Die Herren haben mir das Haus unterm Arsch weggekauft.“ Um einen Imbiss einzurichten, hätte er noch einmal 200 000 Mark gebraucht – doch die Bank habe ihm diesen Kredit verwehrt. So habe er 100 000 Mark investiert, um Geschäftsräume tauglich für einen Teppichhändler zu machen. Das Schicksal meinte es erneut nicht gut mit ihm: Nach einem halben Jahr habe sein Mieter Konkurs anmelden müssen. Überschuldet durch den Hausbau (bei einem Zins von 18 Prozent) habe die Bank als Gläubiger sein Haus schließlich unter Wert verkauft. Als er eines Tages nach Hause kam, so erzählt er, lag ein Zettel von seiner Schwiegermutter vor ihm: Er solle umgehend seinen Banker anrufen. „Du musst morgen um neun Uhr in Gemünden sein beim Notar“, sagte ihm dieser. Ein Makler werde sein Haus kaufen. Er habe der Bank dafür 500 000 Mark bezahlt.

1984 erwarb Bernard, der zehn Jahre Binnenschiffer war und dann Heizungsbauer sowie Installateur gelernt hatte, bevor er den Ratsgrill eröffnete, das Kapitänspatent auch für die See und kreuzte vier Jahre auf dem Mittelmeer. Nach einem Unfall stieg er auf Bratwürste um.

Bis heute trägt er an der Last, die ihm die Explosion bescherte. Das, was er erzählt hat, sei nur die Spitze des Eisbergs, sagt er. Seit er damals einen städtischen Beamten verantwortlich für das Unglück gemacht hatte, mache ihm die Stadt das Leben schwer. Seine schmale Rente bessert der 78-Jährige bis heute auf, indem er Bratwürste verkauft. Dass er dies am liebsten auf dem Marktplatz täte, was ihm die Stadt verwehrt, ist eine andere Geschichte.

Anm. der Red.: Dieser Beitrag beleuchtet nur einen, sehr persönlichen Aspekt der Explosion. Er basiert ausschließlich auf Aussagen Bernards, die nur mit großem Aufwand oder überhaupt nicht zu überprüfen sind, und soll hauptsächlich die subjektive Betroffenheit deutlich machen.

 
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