
Rad fahren ist Trendsport und wenn es in wenigen Wochen wärmer wird, sind die Straßen wieder voll mit Pedalritterinnen und -rittern – alleine, zu zweit oder in Gruppen. Das wohl außergewöhnlichste Radlergespann im Landkreis Main-Spessart besteht aus einem Rad und zwei Jungsenioren aus Retzbach. Man erkennt sie am Tandem und am Gamsbart auf dem Fahrradhelm. Auf ihrem Rad haben Karlheinz Babinsky und Michael Kuhnt nicht nur die nähere Heimat erkundet, sondern nahezu ganz Südbayern. Kuhnt muss sich dabei voll auf seinen Kameraden verlassen, denn er ist blind.
Rechter Fuß aufs Pedal und Karlheinz Babinsky beginnt zu zählen: eins, zwei, drei! Dann schwingen sich beide synchron hintereinander in den Sattel. Babinsky sitzt vorne, gibt die Richtung vor und sorgt für das Gleichgewicht. Der Co-Pilot Michael Kuhnt hinter ihm strampelt kräftig mit. Er hat ein Handicap: bis auf einen kleinen Lichtschimmer kann Kuhnt nichts sehen. Mit seinem Freund Karlheinz genießt er trotzdem die Freude am Radeln. Kuhnt ist der einzige blinde Teilnehmer der jährlich stattfindenden Radl-Tour des Bayerischen Rundfunks (BR). Wie haben die beiden zusammengefunden?
Nur mit Muskelkraft, ganz ohne elektrischen Antrieb
Vor gut 15 Jahren war Babinsky Patient in der Praxis für Physiotherapie, die Micheal Kuhnt in Zellingen betreibt. Während der Behandlungen kam das Gespräch auch auf die Freude am Radfahren und Kuhnt erwähnte: "Ich hab' daheim ein Tandem und kann es nicht nutzen." Da reifte bei den beiden Männern die Idee, am Wochenende einen gemeinsamen "Ausritt" rund um Zellingen zu unternehmen.

Die ersten Runden seien zunächst völlig entspannt gewesen, doch im Lauf der Zeit erweiterte sich der Radius der beiden. "Wir machten Ausflüge bis nach Gemünden, zum Badesee in Arnstein und auch nach Würzburg", erzählt Babinsky. Später wurden die Touren ausgedehnter, die Radien umfassten gut 50 Kilometer und gelegentlich war auch Brigitte Babinsky mit dabei. Schließlich wagte man sich sogar an die anspruchsvolle Strecke bis hoch auf den Kreuzberg. Nur mit Muskelkraft und ohne Hilfsmotor selbstverständlich.
Technisches Hilfswerk unterstützte Babinsky und Kuhnt bei Panne
Heute hat sich die Zweiradleidenschaft der Freunde verfestigt, es gibt feste Termine im Jahr. Immer am Mittwochnachmittag ist ein Ausflug in die Region angesagt, dann kommt die Vatertagstour mit gut 100 Kilometern und einmal in der Saison geht es auf den "Berg der Franken". Höhepunkt ist aber die jährliche "BR-Radltour", auf der die beiden mittlerweile bestens bekannt sind. Viele tausend Kilometer bei neun Veranstaltungen haben sie dort gemeinsam unter die Pedale genommen.

Auf einer dieser ereignisreichen Fahrten wären sie beinahe "unter die Räder gekommen". Mitten auf einer Tagesetappe hatten sie plötzlich einen Bruch am Tretlager – es ging nicht mehr weiter. Michael Kuhnt erinnert sich: "Es war natürlich ein Wochenende und keine Werkstatt hatte offen. Wir waren am Boden zerstört."
Ein Team des Technischen Hilfswerks habe dann aber zum Glück herausgefunden, dass in Augsburg ein Fachgeschäft Tandems verlieh. Die Helfer brachten die Havarierten mit Drahtesel zur Reparatur dorthin und fuhren sie mit einem Leihrad zur Radltour zurück.
Michael Kuhnt: Wir lachen viel, denn Griesgrame gibt es genug
Was bringt einen blinden Menschen dazu, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein? Wie funktioniert das und welche Eindrücke empfindet Kuhnt während der gemeinsamen Fahrten? Da ist natürlich der Freund und Begleiter, der nicht nur als Pilot die Richtung vorgibt und weitgehend für das Gleichgewicht sorgt.

Dann sind da die Sinneseindrücke, die ein Blinder während der Fahrt empfindet – oder eben auch nicht empfindet. "Ich bekomme auf Tour wesentlich mehr mit, als sich so mancher vorstellen kann", sagt Kuhnt. Da sind die Gespräche mit Karlheinz Babinsky – es werde viel gelacht, denn Griesgrame gebe es genug.
Geräusche bekommen für Kuhnt eine andere Wertigkeit, ebenso der Fahrtwind und die Gerüche. Sein Kamerad setzt hier noch eins drauf: "Bei den Gerüchen ist der Michael unschlagbar. Einen Biergarten in der Nähe muss man ihm nicht ansagen, Bratwurstduft und ein Weißbier erkennt er hunderte von Metern zuvor!"
Wie der blinde Michael Kuhnt seinem Kameraden hilft
Nachdem sie in Franken und Südbayern so viele Wege bereist haben und an so vielen Flüssen entlanggefahren sind, glaubt Kuhnt, eine Donaulandschaft von der des Mains unterscheiden zu können. Ganz besonders aber die unterschiedlichen Abschnitte der heimischen Flüsse wie Saale und Sinn. Die Pisten rund um Retzbach könne er sicher definieren, sagt Kuhnt.

Seinen Freund Karlheinz braucht der 62-Jährige nicht nur während der Fahrt. Sondern auch, wenn sie auf der Radltour in einer Halle mit 400 Feldbetten untergebracht sind und nachts zur Toilette müssen. Da muss zuvor das Terrain erkundet werden und man geht eben einmal mehr, wenn der andere muss. Tatsächlich hilft der Blinde dem Sehenden auch gelegentlich, erzählen die beiden schmunzelnd. Wenn bei der Essensausgabe die Warteschlange gar zu lang ist, packt Michael Kuhnt seinen Blindenstock aus und die Menschen machen gerne Platz. Babinsky muss dann als Betreuer halt auch mit nach vorne.