
Andrea Lindholz ist es gewohnt, sich mit Terrorismus zu beschäftigen. Die CSU- Abgeordnete aus Goldbach (Lkr. Aschaffenburg) ist seit 2017 Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags. Und sie gehört auch dem Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz an. Trotzdem: Der tödliche Anschlag von Hanau hat auch für die 49-Jährige eine neue Dimension. Der Tatort liegt unweit ihrer Heimat am bayerischen Untermain.
Andrea Lindholz: Die Nachricht von diesem feigen Anschlag auf unsere freie Art zu leben, macht mich sehr betroffen, gerade auch in der engen zeitlichen Abfolge, nur wenige Monate nach dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag auf die Synagoge in Halle. Rechtsextremismus beschäftigt mich als Innenpolitikerin schon seit Jahren, aber so fühlt er sich sehr geballt und sehr nahe an. Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer.
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Lindholz: Die Behörden haben nun erst einmal Zeit, um einen soliden Ermittlungsstand aufzubauen. Wir wollen möglichst viel über die Hintergründe der Tat erfahren. Nachdem ich erste Details über den Täter in Hanau gelesen habe, sah ich mich an Halle erinnert. Beide haben den Nährboden für ihr krudes Gedankengut im Internet gefunden und sich dort offenbar nach und nach radikalisiert. Diese gegenseitige Aufstachelung über das Internet, die kennen wir schon vom islamistischen Terror. Die Beschleunigung nimmt aber immer weiter zu, da müssen die Behörden noch genauer hinsehen.
Lindholz: Schauen Sie, was über den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke so langsam ans Tageslicht kommt. Man sollte ihn nicht als verrückten Einzeltäter verharmlosen. Beim Attentäter von Halle ist es ähnlich. Wir müssen den Begriff der Vernetzung neu definieren. Die findet heute über das Internet eher lose und oft anonym statt. Da äußert jemand im Netz ausländerfeindliche Thesen und stößt auf Resonanz, das motiviert ihn dann möglicherweise zu Gewalttaten. Auch die "Gruppe S", die erst vor einer Woche aufgeflogen ist, hat sich über soziale Netzwerke kennengelernt, dort Hassbotschaften verbreitet und dann beschlossen, sich zu treffen und konkrete Attentate zu planen.
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Lindholz: Ich verstehe Herrn Schuster, wenn er sagt, man hätte die Synagoge in Halle besser schützen müssen. Aber was den Kampf gegen Rechtsextremismus betrifft, hat sich seit dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie doch einiges getan. Schon 2016 hieß es im Verfassungsschutzbericht, die Gefahr durch neue rechtsterroristische Strukturen wachse besorgniserregend. 2017 warnte der Verfassungsschutz ausdrücklich von dem schwer kalkulierbarem Risiko durch rechte Einzeltäter, die außerhalb fester Organisationen zuschlagen – als "einsame Wölfe". Man kann also nicht sagen, die Behörden seien auf dem rechten Auge blind.
Lindholz: Wir haben viele hundert zusätzliche Stellen in den Behörden geschaffen, die sich mit Extremismus beschäftigen. Auch für die Netz-Beobachtung gibt es heute viel mehr Personal, denn das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Wichtig ist, dass sich die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern bei der Terrorabwehr noch besser vernetzen und sie mit BKA und Landeskriminalämtern noch systematischer Erkenntnisse und Daten über Rechtsextremisten austauschen. Aber wir brauchen auch mehr Sensibilität in der Gesellschaft, um jede Form von Extremismus und ganz besonders Rechtsextremismus frühzeitig zu erkennen.
Lindholz: Wie müssen die gesellschaftlichen Abwehrkräfte stärken. Schon in der Schule sollten Kinder sensibilisiert werden für die verschiedenen Formen des Extremismus. Jeder sollte wissen, wann es geboten ist, notfalls die Sicherheitsbehörden einzuschalten. Dafür gibt es auch ein anonymes Hinweistelefon. Extremismusprävention braucht es aber auch in staatlichen Bereichen wie der Polizei oder der Bundeswehr. Letztlich sind wir alle gefragt, genau hinzuschauen, zu widersprechen, wenn Minderheiten beleidigt oder bedroht werden. Politischer Extremismus kennt viele gesellschaftliche Vorstufen.
Lindholz: Die AfD trägt zur Verrohung bei. Wenn Björn Höcke und seine Kollegen immer wieder die gleichen menschen- und demokratiefeindlichen Phrasen dreschen, dann fühlen sich manche Menschen in ihren Vorurteilen bestärkt und fangen selbst an, Dinge zu äußern, die bislang tabu waren. Langsam wird so der demokratische Grundkonsens aufgeweicht. Da stehen wir als Demokraten alle in der Pflicht, nicht mitzumachen und gegebenenfalls mit deutlichen Worten gegenzuhalten.