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Dorfprozelten
Leben auf dem Main: Warum nicht nur Niedrigwasser für Binnenschiffer Jürgen Firmbach immer mehr zum Problem wird
Schiffer auf dem Main - für ihn ein Traumjob. Und ein Knochenjob: Wie marode Schleusen, viele Ausflugsdampfer und niedrige Pegelstände Jürgen Firmbach die Arbeit schwer machen.
Mainschiffer - für wen ist das heute noch ein Traumberuf? Jürgen Firmbach ist als Schulkind schon bei seinem Vater mitgefahren und kennt nach 40 Jahren als Binnenschiffer jeden Felsen am Main. 
Foto: Thomas Obermeier | Mainschiffer - für wen ist das heute noch ein Traumberuf? Jürgen Firmbach ist als Schulkind schon bei seinem Vater mitgefahren und kennt nach 40 Jahren als Binnenschiffer jeden Felsen am Main. 
Henrik Rampe
Henrik Rampe
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:14 Uhr

Die Sandsteinbrüche im Rücken, läuft Jürgen Firmbach einmal die Reling vor bis zur Schiffsspitze. Nachschauen, ob alles noch passt. Vielleicht ein bisschen werkeln auf seinem Schiff, Baujahr 1981.  Normalerweise ist das anders: Die MS Anna Firmbach bewegt sich und Jürgen Firmbach steht im Steuerhaus. 365 Tage im Jahr ist das hier sein Arbeitsplatz. Sein Frachtschiff: 110 Meter lang, Leergewicht 750 Tonnen, benannt nach seiner Großmutter. Nur heute ist ausnahmsweise ein Ruhetag und Firmbach hat "frei".

In Dorfprozelten (Lkr. Miltenberg) hat Firmbach angelegt. Der 60-Jährige nutzt die Zeit, um in seinem Schiff eine Kraftstoff-Wasser-Emulsionsanlage einzubauen. Die Anlage soll CO2 einsparen, Nachhaltigkeit ist ein großes Themen in der Branche. Der Schiffer bekommt Fördergelder für die Umrüstung. Firmbach ist wichtig zu betonen, dass er sich ohne klimaschädliches Schweröl fortbewegt. Seine MS Anna Firmbach tankt Diesel, mit Schweröl würden nur noch schwere Tanker und Kreuzfahrtschiffe fahren. 

Sein Vater hat Firmbach gewarnt: "Du kannst beruflich alles machen, aber gehe nicht auf's Schiff"

Gemeinden wie Dorfprozelten im Landkreis Miltenberg, Hasloch oder Marktheidenfeld im Landkreis Main-Spessart leben seit jeher vom Main. In Dorfprozelten schmücken Mainwellen das Gemeindewappen. Fischer und Schiffer waren über Jahrhunderte die meistgelernten Berufe. Firmbach ist in Schweinfurt geboren, am Main großgeworden und hat schon seine Schulferien auf dem Schiff seiner Eltern verbracht.

Sein Vater habe ihn früh gewarnt: "Du kannst beruflich alles machen, aber gehe nicht auf's Schiff". Doch das Wasser hat den Sohn nicht losgelassen. Dieses Gefühl überall zu Hause zu sein, draußen zu arbeiten, anzupacken und immer neue Leute zu treffen.

Damals konnte Jürgen Firmbach nicht ahnen, dass jedes Jahr Liegeplätze für Binnenschiffe verschwinden, weil am Wasser teure Penthouse-Wohnungen gebaut werden. Er wusste damals,  Anfang der 1980er Jahre, als er erstmals ein Schiff über den Main steuerte, nicht, dass er bald immer mehr Freizeitdampfern die Vorfahrt gewähren muss. In den Augen vieler Freizeitsportler ist er der große, schmutzige Riese, eine Spaßbremse auf dem Wasser.

Ein seltener Anblick:  Die MS Anna Firmbach liegt in Dorfprozelten (Lkr. Miltenberg) vor Anker.  
Foto: Thomas Obermeier | Ein seltener Anblick:  Die MS Anna Firmbach liegt in Dorfprozelten (Lkr. Miltenberg) vor Anker.  

Nach mehr als 40 Jahren an Bord kennt Firmbach jeden Fels zwischen Rotterdam und Linz, die Schleusenführer auf Mainkilometer 283 in Kitzingen und auch sonst alle 34 Staustufen auf dem Main. Andere bezahlen viel Geld, um die vielen Burgen im Mittelrheintal oder den Würzburger Stein einmal aus dieser Perspektive sehen zu können.

Für ihn, sagt Firmbach, sei es nach wie vor ein Traumjob. Und trotzdem sei das immer wieder ein blödes Gefühl, wenn Freunde fragen: "Jürgen, bist du am Samstag im Biergarten dabei?" Aber er muss passen, weil er unterwegs ist, eigentlich immer. Geburtstage und Weihnachtsfeste verbringt er mit seiner Frau und seinen beiden Angestellten auf dem Schiff, 70 Quadratmeter Wohnfläche haben sie hier. 

Die Infrastruktur ist marode - ein Drittel der Schleusen und Wehre sind 100 Jahre oder älter

Was für den Autofahrer der Asphalt, ist für den Binnenschiffer das Wasser. Firmbach braucht breite, tiefe Wasserstraßen, Staustufen sowie Schleusen und Wehre, die funktionieren. Doch die Infrastruktur auf deutschen Flüssen ist so marode, dass Firmbach von Feldwegen statt Wasserstraßen spricht. Etwa ein Drittel der Schleusen und Wehre sind 100 Jahre oder älter.

Was es auch braucht: Wasser. Niedrigwasser nennt Firmbach "Kleinwasserzeiten", der Fachbegriff für Niedrigwasser - und diese Zeiten nehmen zu. Durch die Staufstufen ist der Main künstlich reguliert. Jährlich fließen über 150 Millionen Kubikmeter Wasser durch den Main-Donau-Kanal und versorgen Unterfranken mit zusätzlichem Wasser. Es ist das Wasser aus dem Süden Bayerns, das dazu beiträgt, dass der Main die nötige Wassertiefe hält. 

Firmbach ist von den "Kleinwasserzeiten" auch betroffen, wenn die Pegelstände im Mittelrhein im Sommer bersorgniserregend niedrig sind. Er könnte sich zwar auf seine Reling stellen und sagen: "Mir egal, solange noch eine Bierkiste zwischen Schiffrumpf und Flusssohle passt, fahre ich". Aber ganz so einfach sei es dann doch nicht.

"Wenn wir aufgrund von Niedrigwasser nur noch halb so viel transportieren, dann bringt das den kompletten Ablauf durcheinander."
Jürgen Firmbach, Binnenschiffer aus Dorfprozelten (Lkr. Miltenberg)

Bei Niedrigwasser fährt Firmbach mit weniger Ladung an Bord und mit reduzierter Geschwindigkeit. Um die Verdienstausfälle zu kompensieren, gibt es für Binnenschiffer vertraglich vereinbarte Kleinwasserzuschläge, die je nach Pegelstand bei 100 Prozent und mehr liegen können. Bevor Kunden die Zuschläge bezahlen, würden sie erstmal zögern, abwarten, ob die Pegelstände nicht doch wieder steigen und erst dann ihre Fracht verladen, sagt Firmbach. Oder die Fracht kommt in Lastwagen oder Güterzüge. 

Ein Fahrverbot bei Niedrigwasser gibt es nicht, aber der Transport wird für Binnenschiffer irgendwann unrentabel. Am Ende der Transportkette sind es die Endverbraucher, die für die Mehrkosten aufkommen. Am häufigsten zu beobachten ist das an heißen Sommertagen, wenn an der Zapfsäule die Benzin- und Dieselpreise sprunghaft ansteigen. Der Krafststoff findet oft über den Wasserweg zur Tankstelle.

Die Schifffahrt und der Sandstein am Mainufer prägen die Region zwischen Miltenberg und Marktheidenfeld. Oder muss man sagen: haben geprägt? Im Frankenlied, zweite Strophe, sind den Binnenschiffern zwei Zeilen gewidmet. 

Der Wald steht grün, die Jagd geht gut,
schwer ist das Korn geraten.
Sie können auf des Maines Flut
die Schiffe kaum verladen.
Frankenlied, zweite Stophe (1859)

Ein schönes Lied, findet Firmbach, nur den Text hält er für überholt. Er weiß nicht genau, wo er anfangen soll bei seiner Kritik. Schweres Korn, ja das habe er oft geladen. Soja oder Getreide zum Beispiel, knapp 1000 Tonnen kann er transportieren. Nur geben immer mehr Landwirte auf, Aufträge und langjährige Kunden gehen verloren. Von der Politik würden die Wasserstraßen gerne gepriesen als deutlich klimafreundlicher als der Transport auf der Straße, sagt der Binnenschiffer. Im Alltag würden er und seine Kollegen oft im Stich gelassen: "Wir sind eine kleine Branche mit verhältnismäßig wenig Arbeitsplätzen und Lobby." 

Den Main im Blick, die Sandsteine im Rücken. Mit seinem Schiff liegt Jürgen Firmbach vor Dorfprozelten (Lkr. Miltenberg). Zuhause ist der Binnenschiffer auf dem Wasser zwischen Rotterdam und Budapest. 
Foto: Thomas Obermeier | Den Main im Blick, die Sandsteine im Rücken. Mit seinem Schiff liegt Jürgen Firmbach vor Dorfprozelten (Lkr. Miltenberg). Zuhause ist der Binnenschiffer auf dem Wasser zwischen Rotterdam und Budapest. 

Der typische Binnenschiffer ist männlich und kann seine Rente bereits ohne Fernrohr sehen. Knapp ein Drittel der Schiffer ist über 55 Jahre alt. Es fehlt der Nachwuchs und oft auch eine Perspektive, dass sich mit Fracht auf dem Wasser zukünftig noch Geld verdienen lässt. Aktuell fährt Firmbach wieder mehr Importkohle durch Deutschland. Er hätte selbst nicht gedacht, dass er nochmal so viel Kohle auflädt, sagt der 60-Jährige. Aber das sei ja der Energiekrise geschuldet und kein Geschäft mit Zukunft.

Beim Güterverkehr sind LKW und Zug dem Schiff längst enteilt 

Zwar werden insgesamt immer mehr Waren transportiert, nur immer seltener mit dem Schiff. In den zurückliegenden zehn Jahren wurden 20 Prozent weniger Gütermengen über die Wasserstraßen Deutschlands verschifft. Das Schiff hat einen Marktanteil im Güterverkehr von 7 Prozent. Die Kräfteverhältnisse verschieben sich weiter auf asphaltierte Straßen (75 Prozent) und Schienen (18 Prozent). 

Wenn Hauptstraßen Schlaglöcher haben oder Züge zu spät sind, dann ist der Aufschrei groß. Aber bei Wasserstraßen? Firmbach zuckt mit den Schultern, er könne sich ja nicht jedes Mal aufregen, wenn wieder Schleusen zu eng sind oder er baufällige Brücken passiert, sonst komme er ja gar nicht mehr zum Arbeiten. Die Mainbrücken in Marktheidenfeld und Lohr (beide Lkr. Main-Spessart) sind für Binnenschiffer solch ein Ärgernis, altbekannte Verkehrshindernisse. Er soll so schnell liefern wie ein Sportwagen, aber fahre auf Feldwegen, sagt Firmbach über den Main.

Wen kümmert es, wenn die Wasserstraßen im schlechten Zustand sind? 

Es sei nur eine Frage der Zeit, bis wieder in der Zeitung stehe: "Schiff rammt Brückenpfeiler". Auch für ihn, der schon hunderte Mal diese Engstellen durchfahren hat, bliebe das Maßarbeit. Seit zehn Jahren plant die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, den mittleren Pfeiler der Marktheidenfelder Brücke zu entfernen. Passiert ist bisher nichts. Firmbach hat so seine Zweifel, dass vor seinem Ruhestand der Pfeiler verschwindet. 

Leben auf dem Main: Warum nicht nur Niedrigwasser für Binnenschiffer Jürgen Firmbach immer mehr zum Problem wird

Wenn Firmbach in Ruhestand geht, wird er sein Schiff verkaufen. Er hat keine Kinder und keinen Nachfolger. Seit 1980 hat sich die Zahl der Binnenschiffer in Deutschland mehr als halbiert. Es geht in der Branche oft darum, mit weniger Personal größere Mengen zu transportieren. In Norwegen wurden bereits Teststrecken für selbstfahrende Schiffe ohne Crew freigegeben. Seit 2018 fahren die ersten E-Binnenschiffe in den Niederlanden. Doch Branchenkenner gehen davon aus, dass es noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, dauern wird bis diese kleineren Binnenschiffe mit vollelektrischem Antrieb auch in Deutschland zu einem gewohnten Anblick werden. 

Wer wissen will, wie Firmbach sich seinen Ruhestand vorstellt, muss einmal um sein Schiff laufen, wenn es in Dorfprozelten liegt. Hier am Anleger hat er sein Wohnmobil abgestellt. Mit seiner Frau will er dann endlich die Städte sehen, von denen er bisher vor allem die Häfen und Schleusen kennt. Und wenn dann seine Freunde fragen, ob er mit in den Biergarten kommt, wird er sagen können: "Ich bin dabei."

 
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