Eigentlich wollte der heute 93-jährige Shimon Schwarzschild nie mehr nach Laudenbach zurückkehren. Seine Mutter Rosalia Birk ist in Laudenbach aufgewachsen, hat nach Wertheim geheiratet und konnte mit ihrem Mann und den zwei Söhnen noch rechtzeitig vor den Nationalsozialisten nach Amerika auswandern. Shimon Schwarzschild hatte als Kind oft mit seiner Mutter Laudenbach besucht und dort im Haus seiner Großeltern in der Mühlbacher Straße gespielt. Über Schwarzschilds Besuch in Laudenbach berichtet Georg Schirmer vom Förderverein ehemalige Synagoge Laudenbach.
Am Schabbat ging Shimon Schwarzschild mit seinem Großvater in die nahe gelegene Synagoge. Als er jedoch anlässlich einer früheren Deutschlandreise die Stätten seiner Kindheitserinnerungen besuchen wollte, kam es zu einer unerfreulichen Begegnung. Schwarzschild fragte, ob er wohl einen Blick in den Hof seiner Großeltern werfen dürfe. Der Besitzer reagierte überaus erregt, er schrie den Besucher aus Amerika an, er solle wieder gehen. Shimon Schwarzschild war schockiert. Zudem war er der irrigen Meinung, dass die Laudenbacher Synagoge im Novemberpogrom 1938 niedergebrannt worden war und dort nur noch ein leerer Platz zu finden sei. Warum also sollte er zurückkehren, nachdem alle Stätten seiner Kindheitserinnerungen in Laudenbach verloren waren?
Shimon Schwarzschild erwähnte diese Laudenbacher Erlebnisse später in einem Interview, das er am 23. April 2017 in Manhattan für das Holocaust Memorial Museum führte. Das Gespräch wurde ins Internet gestellt. Christoph Weber, Mitglied im Förderkreis ehemalige Synagoge Laudenbach, stieß bei seinen Nachforschungen auf dieses Interview und berichtete Georg Schirmer, dem Vorsitzenden des Förderkreises, von den dort geschilderten Eindrücken. Beide waren der Meinung, dass man die negativen Erlebnisse aus Laudenbach nicht auf sich beruhen lassen sollte. Schirmer nahm schließlich mit Shimon Schwarzschild Kontakt auf und lud ihn nach Laudenbach ein.
Überaus berührende Begegnung
Obwohl aufgrund seines hohen Alters die Hoffnungen nicht sehr groß waren, dass es zu einem Besuch kommen würde, meldete sich Shimon Schwarzschild überraschend Anfang Oktober. Er wolle demnächst mit seiner Frau Naomi und seinem Großneffen Benjamin nach Wertheim kommen und würde dabei auch Laudenbach einen Besuch abstatten. Also kehrte er doch noch einmal an den Geburtsort seiner Mutter zurück und es kommt zu einer überaus berührenden Begegnung.
Die Familie wird von Anja Baier, der dritten Bürgermeisterin von Karlstadt, von Georg Schirmer und Christoph Weber begrüßt. „Sie wissen mehr über meine Familie als ich selbst“, sagt Schwarzschild, als ihm die umfangreichen Unterlagen über die Laudenbacher Vorfahren seiner Mutter Rosalia Birk gezeigt werden. „Meine Mutter Rosalia passte als älteste Schwester auf ihre jüngeren Geschwister auf, sie war für ihre Brüder wie eine zweite Mutter“. Die Großeltern Moses und Ida Birk führten einen gut gehenden Metzgerladen in der Mühlbacher Straße, die Kinder halfen im Betrieb ihrer Eltern mit. Noch im Jahr 1932 beantragte Großvater Moses Birk einen Neubau seines Metzgerladens.
„What a beautiful place“
Das Geburtshaus seiner Mutter in der Mühlbacher Straße steht heute nicht mehr, es wurde vor Jahren von der Stadt Karlstadt aufgekauft und für eine mögliche Straßenverbreitung abgerissen, man findet dort nur einen Parkplatz. Und dennoch wollte Shimon Schwarzschild noch einmal an diesen Ort gehen und zumindest den Hang sehen, den er als Kind oft hinaufgeklettert ist.
Das Haus seiner Großeltern steht nicht mehr, aber die Synagoge steht noch und die will Shimon Schwarzschild unbedingt sehen. Viele jüdische Besucher, die zum ersten Mal in die Laudenbacher Synagoge kommen, reagieren irritiert, manche sind über die Zerstörungen im Inneren gar regelrecht schockiert. Als Shimon Schwarzschild mit seiner Frau Naomi Schechter die Synagoge betritt, zeigen sich beide berührt. „What a beautiful place“ (was für ein schöner Ort), sagen beide unabhängig voneinander. Trotz der zerstörten Inneneinrichtung sei die Atmosphäre überaus beeindruckend.
Konkrete Erinnerungen hat Shimon Schwarzschild an diesen Ort nicht mehr, aber er weiß, dass er als Kind mit seinem Großvater oft hier war und den Gottesdienst besuchte. Berührt zeigten sich die Besucher auch über das Engagement des Förderkreises zum Erhalt der anderen jüdischen Einrichtungen im Ort und über die friedvolle Atmosphäre des jüdischen Friedhofes, den die Familie zum Abschluss ihres Besuches sehen will. Georg Schnabel zeigt die Grabsteine der Ur-Großeltern von Shimon Schwarzschild, Lazarus und Hannchen Frank und den Grabstein seines Onkels Meier Birk, dem jüngsten Sohn der Familie, der sich im Jahr 1933 das Leben nahm.
Großneffe Benjamin, ein überaus versierter Filmtechniker und Kameramann, begleitet mit seiner Kamera jeden Schritt seines Großonkels. Beide drehen zusammen einen Film über das schwierige Thema „Wandlung vom Hass zur Versöhnung“.
In diesem Film spielen die biografischen Erlebnisse von Shimon Schwarzschild in Wertheim und in Laudenbach, die Demütigungen und Verfolgungen die seine Familie erlitten hat und seine eigene Entwicklung vom Hass auf alles Deutsche hin zur Versöhnung eine ganz entscheidende Rolle. „Ihr werdet viele Eindrücke von Laudenbach in diesem Film sehen“, sagt Benjamin am Schluss. Shimon Schwarzschild und Naomi Schechter sagen beim Abschied: „Wir hoffen sehr, dass dies nicht der letzte Besuch in Laudenbach war“.
Lebt denn der Hausbesitzer noch, der den alten Herrn Schwarzschild vom Hof jagte, als der sich mal umsehen wollte, wo seine Großeltern gelebt haben ? Hat er mal gesagt, hinterher, dass er sich für sein Verhalten schämt, dass es ihm leid tut oder fühlte er sich vielleicht sogar "im Recht"? War der Zwischenfall damals ein Thema in der Zeitung ? Ich werde künftig an Shimon Schwarzschild denken (müssen), wenn ich durch Laudenbach fahre und mich stellvertretend schämen