zurück
UNTERFRANKEN
Synagogen: Weit mehr als nur Steine
Jüdisches Leben: Über hundert Synagogen gab es 1930 in Unterfranken. Ein Gedenkband stellt die Architektur vor und erinnert auch an die Menschen.
Die alte Synagoge in Kitzingen.
Foto: Frank Weichhan | Die alte Synagoge in Kitzingen.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 22.07.2015 20:18 Uhr

Architektur sei mehr als das Hochziehen von Mauern. Architektur sage immer etwas über die kulturelle Identität aus. Diese Worte des jüdischen Stararchitekten Daniel Libeskind bezieht Professor Wolfgang Kraus auf die Synagogen Unterfrankens. Sie symbolisieren jüdische Identität, vermitteln ein Lebensgefühl.

„Sie sind mehr als Steine“, sagt Kraus, Professor am Lehrstuhl für Neues Testament an der Universität Saarbrücken. Synagogen erzählen etwas über die Geschichten der Menschen und Gemeinden. Und deshalb wurde „Mehr als Steine . . .“ als Titel der Gedenkband-Reihe über die Synagogen in Bayern gewählt. Wolfgang Kraus, aufgewachsen in Mainbernheim im Landkreis Kitzingen, ist einer der Herausgeber und leitet die Forschergruppe des Projekts „Synagogengedenkband Bayern“.

Aktuell ist der dritte Band im Kunstverlag Josef Fink (Lindenberg/Allgäu) erschienen und wurde kürzlich im jüdischen Gemeindezentrum für Würzburg und Unterfranken, Shalom Europa, vorgestellt. Es ist ein gewichtiges Buch im doppelten Sinn. Vier Kilo schwer und fast 900 Seiten dick. Dabei sind darin gar nicht alle Synagogen Unterfrankens beschrieben, sondern zunächst die aus dem westlichen Bereich.

Glücksbringer: An der Synagoge von Urspringen (Lkr. Main-Spessart) hat sich der Chuppa- beziehungsweise Hochzeitsstein erhalten. An ihm wurden rituell Gläser zerschmettert und dazu „Mazel tov“ gewünscht – „viel Glück“.
Foto: Martin Harth | Glücksbringer: An der Synagoge von Urspringen (Lkr. Main-Spessart) hat sich der Chuppa- beziehungsweise Hochzeitsstein erhalten.

Aber nicht nur. Die Forschergruppe liefert eben mehr als einen geschichtlichen Abriss, sie dokumentiert mehr als Steine. Sie erinnert in ihren Beiträgen an die Menschen, die sich in den Synagogen versammelten, beteten, diskutierten, lernten, heirateten – und ab 1933 vergeblich hofften, dass der Nationalsozialismus bald wieder aus ihrem Leben verschwindet.

Band zwei über die östliche Hälfte Unterfrankens wird in etwa drei Jahren fertig sein. Der Grund: Weltweit gab es nirgendwo so viele jüdische Gemeinden und Synagogen, insbesondere auf dem Land, wie in Unterfranken. Im Jahr 1930 wurden mindestens 112 Synagogen noch regelmäßig gottesdienstlich genutzt. Deshalb war die Region in zwei Bereiche unterteilt worden, weil es so viel zu erforschen und zu berichten gab – und gibt.

Immer donnerstags sitzt Hans Schlumberger im Staatsarchiv Würzburg und nutzt die lange Öffnungszeit von 8 bis 20 Uhr. Seit vier Jahren arbeitet er am Synagogengedenkband-Projekt mit. Aktuell erforscht er den Bereich Kitzingen. Für Band eins war er im Landkreis Main-Spessart unterwegs. Schlumberger ist Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Weißenbronn, ein Ortsteil von Heilsbronn (Lkr.

Ansbach). Bereits in seiner Geburtsstadt Marktbreit (Lkr. Kitzingen) hat er sich mit der einst dort existierenden großen jüdischen Gemeinde beschäftigt. Einmal im Jahr besucht Schlumberger ehemalige Marktbreiter in Israel, sammelt deren Lebensgeschichten – im direkten Gespräch oder auch schriftlich. Viele intensive Kontakte seien dabei entstanden, erzählt Schlumberger. Das „über Jahre unausgesprochene Stillhalteabkommen“ über den persönlichen Holocaust bröckelt immer mehr, vor allem bei den Nachfahren. „Meine israelischen Freunde haben den Wunsch, ihre Erfahrungen nun weiterzugeben.“

Hans Schlumberger lassen sie nicht kalt. Aber auch über das, was in alten Akten steht, gerät der engagierte Forscher immer wieder in Zorn. „Ab und an muss ich den Lesesaal des Archivs verlassen“ – um durchzuatmen. In den Aufsätzen im Gedenkband ist davon jedoch nichts zu spüren. „Wir schlucken unsere Empörung hinunter und stellen die Fakten in den Vordergrund“, sagt Schlumberger, „es ist ja ein wissenschaftliches Werk“.

Und wenn es doch mal passiert, „dann korrigieren wir uns gegenseitig“. „Wir“, das sind neben Hans Schlumberger die Kunsthistorikerin Cornelia Berger-Dittscheid, die evangelischen Pfarrer Gerhard Gronauer und Axel Töllner sowie der Architekt und Denkmalpfleger Hans-Christof Haas – das Mitarbeiterteam des Projekts.

Hans Schlumberger hat zum Beispiel über die jüdische Gemeinde in Adelsberg, einem Stadtteil von Gemünden (Lkr. Main-Spessart), geforscht – und darüber hinaus. Schon unter dem Stauferkaiser Friedrich II. seien Juden als „servi camerae nostrae“ bezeichnet worden, als „Sklaven des kaiserlichen Finanzwesens“, übersetzt Schlumberger. Ihnen wurde Schutz gegen Geld zugesichert. So war es laut Schlumberger auch in Adelsberg, wo nicht gesicherte Hinweise über jüdische Mitbürger bis ins 14. Jahrhundert zurückgehen. Der erste verbürgte Nachweis stammt aus dem Jahr 1626. Laut Schlumberger waren Juden „Teil des Gutsinventars“, des Adelssitzes Adolphsbühl. „Bei Besitzerwechsel wurden sie einfach mitverkauft – wie Renditeobjekte“, so Schlumberger. „Und durch die lange Bindung an den Ortsadel hat man in der Gemeinde nie gelernt zusammenzugehören.

“ Juden und Adelsberger lebten in verschiedene Welten. Was den Pfarrer wundert, ist, „dass die jüdische Kultur keine Neugierde bei der Bevölkerung erzeugt hat“. Es habe vielmehr eine Ignoranz, ein „Nicht-Wissen-Wollen“ gegeben – nicht nur in Adelsberg.

Axel Töllner, bis vor wenigen Monaten der einzige hauptamtliche Mitarbeiter des Synagogenprojekts, hat sich unter anderem mit der jüdischen Geschichte von Hörstein (Ortsteil von Alzenau/Lkr. Aschaffenburg) beschäftigt. Dort stieß er auf das Schicksal der Familie Wahler. Israel Wahler war in der Gemeinde ab 1894 Lehrer und Kantor. 1931 wurde er von der Regierung von Unterfranken an die jüdische Schule nach Bad Neustadt an der Saale versetzt. Es gab nur noch wenige Schüler. Von dort aus wurde das Ehepaar Israel und Bella Wahler am 25. April 1942 mit der dritten Deportation von Würzburg ins Vernichtungslager Sobibor in den Tod geschickt. Ihr Sohn Isaac Eddie Wahler entging diesem Schicksal. Er war bereits 1934 nach New York emigriert und lebte bei seiner Großtante.

1947 kam er als US-Soldat ins hessische Oberursel und fand dort in einem Lagerhaus die Unterlagen der Würzburger Geheimen Staatspolizei – darunter über 100 Fotografien und die minutiös dokumentierte Deportation der mainfränkischen Juden. „Diese in ihrer Art einzigartigen Akten und das Fotoalbum dienten in verschiedenen Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg bis zum Eichmann-Prozess in Jerusalem als wichtige Quelle für den Nachweis, wie die Nationalsozialisten ihr Vernichtungswerk organisierten und durchführten“, schreibt Töllner und berichtet, dass sich der Sohn des Kantors nach dem Fund beim Hörsteiner Bürgermeister bitter beklagte. Keiner der Einwohner „will dabei gewesen sein“ als man die Juden Hörsteins aus dem Dorf gejagt habe, und keiner habe einem Hörsteiner Juden je ein Haar gekrümmt.

Der Würzburger Historiker und Journalist Roland Flade zeigt in der Einleitung zum Gedenkband, dass es auch andere Zeiten im Zusammenleben von Christen und Juden gab. Er stellt „ganz bewusst das Positive in den Mittelpunkt“ und nennt Beispiele „gelungener Integration“: zum Beispiel die Turngemeinde in Höchberg (Lkr. Würzburg). Dort war im frühen 20. Jahrhundert Lazarus Ehrenreich, Leiter der Israelitischen Präparandenschule, Mitglied in der Vorstandschaft. Und in Gaukönigshofen, damals im Landkreis Ochsenfurt gelegen, gehörten laut Roland Flade mehrere jüdische Bürger zu den Gründungsmitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr. „Keiner von ihnen hätte sich vorstellen können, dass jemand ihnen die Heimat, den Besitz, die Freunde und das Leben rauben könnte“, so Flade.

Projekt Synagogengedenkband

Ziel des Projekts ist die die wissenschaftliche und allgemein verständliche Dokumentation aller 1930 genutzten Synagogen in Bayern und ihrer Vorgängerbauten sowie die Geschichte der Gemeinden.

Hauptquellen sind Archivdokumente, besonders des Staatsarchivs Würzburg, der Zentralarchive für die Geschichte des jüdischen Volkes, des Leo-Baeck-Instituts und der Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) sowie von kommunalen Archiven, Adelsarchiven und des Juliusspital-Archivs Würzburg.

Die Initiative für das Projekt, alle Synagogen im früheren Deutschen Reich zu dokumentieren, ging vom dem gebürtigen Nürnberger Meir Schwartz aus, Begründer und Leiter des Synagogue Memorial Institute Jerusalem. Inzwischen haben Projektgruppen für einige Bundesländer Gedenkbände vorgelegt. Die Projektgruppe für Bayern unter Federführung von Wolfgang Kraus veröffentlichte 2007 den ersten Band (Ober- und Niederbayern, Schwaben, Oberpfalz, Oberfranken). Band II erschien 2010 (Mittelfranken). Aktuell liegt Band III/1 von „Mehr als Steine . . .“ über das westliche Unterfranken vor (Kunstverlag Josef Fink, 882 Seiten, 49 Euro). Band III/2 über das östliche Unterfranken wird etwa 2018 erscheinen.

Bis 2011 war das Projekt bei der Uni Erlangen angesiedelt. Seit Band III/1 wird es von der Augustana-Hochschule Neuendettelsau sowie seit 2014 auch vom Institut für christliche-jüdische Studien betreut. Hauptförderer ist die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern.

Herausgeber und Autoren: Das Team des Projekts „Synagogengedenkband Bayern“ besteht aus (von links): Axel Töllner, Hans Schlumberger, Gury Schneider-Ludorff, Gerhard Gronauer, Cornelia Berger-Dittscheid, Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid und Hans-Christof Haas. Axel Töllner (links) hält den gerade erschienenen ersten Teilband über die unterfränkischen Synagogen in den Händen.
Foto: Patty Varasano | Herausgeber und Autoren: Das Team des Projekts „Synagogengedenkband Bayern“ besteht aus (von links): Axel Töllner, Hans Schlumberger, Gury Schneider-Ludorff, Gerhard Gronauer, Cornelia Berger-Dittscheid, ...
Neu geweiht: Blick in die Synagoge von Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). Ursprünglich 1730 errichtet, wurde sie 1940 zum Feuerwehrhaus umgebaut. Heute ist sie wieder ein religiöser Ort.
Foto: Gmd. Veitshöchheim | Neu geweiht: Blick in die Synagoge von Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). Ursprünglich 1730 errichtet, wurde sie 1940 zum Feuerwehrhaus umgebaut. Heute ist sie wieder ein religiöser Ort.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Christine Jeske
Archive
Daniel Libeskind
Deportationen
Evangelische Kirche
Gestapo
Juden
Memorial
Regierung von Unterfranken
Synagogen
Universität des Saarlandes
Unterfranken
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • meinemeinung
    Die einstmalige Synagoge Hammelburgs wurde vergessen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • cjeske
    Die Synagogen im Landkreis Bad Kissingen werden im Teilband 2 des Synagogengedenkbandes über Unterfranken bearbeitet. Er wird voraussichtlich 2018 erscheinen. Mit freundlichen Grüßen Christine Jeske, Redaktion Aktuelles
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten