
"Ich mache heute ein Praktikum bei Ihnen", sagt Judith Gerlach. Die 91-jährige Seniorin fängt an, herzlich zu lachen. "Das wird interessant", sagt sie belustigt. Bayerns neue Gesundheitsministerin ist an diesem Montag für drei Stunden zu Besuch im Julius-Echter-Seniorenstift in Hafenlohr (Lkr. Main-Spessart) - und will einen Einblick bekommen in die Pflegepraxis. Die CSU-Politikerin aus Unterfranken begleitet die Bewohnerin auf ihr Zimmer. Und gibt ihr vorsichtig etwas zu trinken aus dem Plastikbecher.
Die Gesundheitsministerin nimmt sich Zeit. Judith Gerlach fragt nach dem Leben der 91-Jährigen, hört ihr zu. Vor 19 Jahren ist ihr Mann gestorben, erzählt die Bewohnerin. Sie wünscht sich, es hätte damals schon ein solches Heim für ihn gegeben. Gerlach hat sich schon zwei Mal von der Frau verabschiedet und kommt doch nicht weg. "Wir sehen uns später, beim Mittagessen!", sagt sie im dritten Anlauf zum Abschied.
Gesundheitsministerin darf Blutdruck messen
Sie sei ins Seniorenstift nach Hafenlohr gekommen, weil die Einrichtung einen guten Ruf habe, sagt Gerlach. Und weil das Heim in ihrer Heimat Unterfranken liegt. Parteifreund Thorsten Schwab, Bürgermeister von Hafenlohr und Landtagsabgeordneter, hat auch seine Finger im Spiel gehabt. Auch er ist beim Pressetermin im Seniorenstift dabei.
Die CSU-Politikerin führt eine weitere Bewohnerin auf ihr Zimmer und lässt sich von der 96-Jährigen die Bilder an der Wand und Familienfotos auf einem kleinen Tisch erklären. Unter den kritischen Augen des Personals darf Gerlach bei der Dame Blutdruck messen. Die Ministerin gibt sich entspannt. Doch das ändert sich schnell, als Pflegedienstleiterin Marie-Jacqueline Seus mit der nächsten Aufgabe kommt: Eine Bewohnerin hat zu wenig getrunken und muss nun eine Infusion bekommen. Gerlach, studierte Juristin, wird sichtlich nervös, auch wenn die Infusion natürlich von der Fachkraft gelegt wird.

Seus ist mit ihrer "Praktikantin" Judith Gerlach zufrieden: "Ich finde, sie ist sehr offen und zugewandt den Bewohnern gegenüber und man muss ihr gar nicht viel erklären." Seus ist verantwortlich für einen der drei Wohnbereiche mit 20 Bewohnerinnen und Bewohnern und 13 Mitarbeiterinnen. Als die Anfrage kam, ob sie die Gesundheitsministerin durch die Einrichtung führen würde, hat sie sofort Ja gesagt. Bei der Dokumentation, all dem Papierkram, der im Laufe des Tages für das Personal anfällt, soll Gerlach ihr heute in jedem Fall über die Schulter schauen – und sehen, wie viel Zeit das in Anspruch nimmt.
Hafenlohrer Seniorenheim soll Gerlach als gutes Beispiel dienen
"Wichtig war mir auch, dass Frau Gerlach sieht, wie viel Zeit wir zum Beispiel für das Mittagessen einplanen müssen. Das dauert teilweise länger, als die Bewohner am Morgen zu waschen", sagt Seus. Zur Mittagszeit spannt sie Gerlach voll ein: Die Ministerin muss zunächst Tabletten verteilen, dann Essen ausgeben. Wer bekommt Lasagne, wer Salat, wer nimmt seine Tabletten selbstständig und wem muss man dabei zusehen?
Die Pflegekräfte wissen es genau, Gerlach lässt sich anleiten. Als alle einen dampfenden Teller vor sich haben, nimmt sich Gerlach einen Hocker. Sie gibt einem Bewohner im Rollstuhl seine Lasagne, Stück für Stück.
"Ich bin beeindruckt davon, wie viel Zeit aufgewendet wird, um den individuellen Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner gerecht zu werden", so Gerlachs Zwischenfazit nach eineinhalb von drei Stunden Praktikum. Der persönliche Kontakt mache den Pflegeberuf besonders wertvoll. Um den Beruf weiter attraktiv zu gestalten, brauche es zum Beispiel neue Arbeitsmodelle.
Das Seniorenstift in Hafenlohr ist personell gut ausgestattet, in dem Heim mit 60 Pflegeplätzen arbeiten 50 Menschen in Voll- und Teilzeit. Plant Gerlach weitere Praktika in Einrichtungen, die vielleicht vor größeren Herausforderungen stehen? Nein, sie habe sich das Hafenlohrer Stift ansehen wollen, um gute Beispiele mitzunehmen, sagt Gerlach auf Nachfrage.