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Lohr
Kriegsende in Main-Spessart: Die Nazis sprengten Brücken und erschossen einen Arzt aus Lohr
Aus der Geschichte Main-Spessarts (126): In Lohr und Marktheidenfeld war der Krieg bereits in den ersten Apriltagen zu Ende. Dr. Karl Brand, der Lohr friedlich an die Amerikaner übergeben wollte, wurde von den Nazis erschossen.
Ein amerikanischer M4-Sherman-Panzer wurde von einem Hitlerjungen mit einer Panzerfaust abgeschossen und fuhr ins Schaufenster der Metzgerei Mayer in Lohr. Hinter ihm sucht ein US-Infanterist während der Kämpfe am 3. April 1945 Schutz. Auf der linken Straßenseite ist ein weiterer abgeschossener Sherman neben dem Göpfert-Haus zu erkennen. 
Foto: Amerikanisches Nationalarchiv | Ein amerikanischer M4-Sherman-Panzer wurde von einem Hitlerjungen mit einer Panzerfaust abgeschossen und fuhr ins Schaufenster der Metzgerei Mayer in Lohr. Hinter ihm sucht ein US-Infanterist während der Kämpfe am 3.
Klaus Gimmler
 und  Wolfgang Dehm
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:44 Uhr

Das Heranrücken der Alliierten in unserer Region kündigten Tiefflieger an. Sie flogen Angriffe auf Züge und Bahnanlagen. Bei einem derartigen Angriff am 18. März auf Lohr gab es 18 Tote. Am 25. März nahmen die Tiefflieger die Eisenbahnbrücke in Sackenbach unter Beschuss, allerdings trafen die Bomben nicht die Brücke, sondern den Ortskern, der völlig zerstört wurde. Neun Menschen kamen dabei ums Leben. Der letzte Luftangriff im Raum Lohr fand am 27. März statt. Er galt vermutlich der Staustufe Steinbach, die aber unbeschädigt blieb. Auch Personen kamen dabei nicht zu Schaden.

Im Steinbacher Schloss kam es zu Fenster- und Dachschäden, hervorgerufen durch Bordwaffenbeschuss, zugleich mit den Bombenabwürfen. Abgebrannt ist das Steinbacher Schloss erst am 3. April 1945, als die Amerikaner Lohr eingenommen hatten und Ort um Ort besetzten. Um den Vormarsch der Amerikaner zu stoppen, hatten deutsche Einheiten schon am 27. März einen Flusspfeiler der Lohrer Mainbrücke (heute: Alte Mainbrücke) gesprengt.

Dr. Karl Brand wurde erschossen, weil er Lohr an die Amerikaner friedlich übergeben wollte.
Foto: Wikipedia | Dr. Karl Brand wurde erschossen, weil er Lohr an die Amerikaner friedlich übergeben wollte.

Die Menschen, die ihren Ort den Amerikanern friedlich übergeben wollten, riskierten ihr Leben, denn darauf stand die Todesstrafe. Einer von diesen mutigen Menschen war der Lohrer Arzt Dr. Karl Brand. Er hatte am Abend des 1. April (Ostersonntag) erfahren, dass sein Heimatort Rothenbuch in die Hände der Amerikaner gefallen war. Er war für das Lohrer Krankenhaus dienstverpflichtet worden, wohnte im nahegelegenen Hotel „Post“ und gab der Besitzerin der „Post“ den Auftrag, eine weiße Fahne herzurichten. 

Weil Brands Vorhaben jedoch bekannt wurde, wurde der Arzt noch in der gleichen Nacht verhaftet. Am frühen Morgen des 2. April trat im ersten Stock des Schlosses das Standgericht zu einer Verhandlung zusammen, die nach Recherchen von Karl Anderlohr, dem ehemaligen Vorsitzenden des Lohrer Geschichtsvereins, unter Vorsitz von Josef Koob nur eine Halbe- bis Dreiviertelstunde gedauert hat. Im Anschluss wurde das Todesurteil wegen "Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ verkündet. Brand hatte sein Vorhaben nicht geleugnet.

Die Akten gingen dann an den Lohrer Kampfkommandanten Wilhelm Trenk, der das Todesurteil sofort bestätigen und die Vollstreckung durch Erschießung befehlen konnte. Trenk unterschrieb, wurde aber zunächst nicht weiter aktiv, wohl auch deshalb, weil er wegen der sich überstürzenden militärischen Ereignisse anderweitig beansprucht war, so Anderlohr. Die Amerikaner standen schon vor der Stadt.

Vielleicht hätte diese Verzögerung dem Arzt das Leben retten können, war doch der Kampf um Lohr bereits am 3. April zu Ende und die Stadt von den Amerikaner befreit. Doch der fanatische Feldgendarm Maternus ließ den nach dem Standgericht ins Gefängnis gebrachten Brand wieder in den Schlosshof führen und setzte Trenk unter Druck: Er drohte mit dem Eingreifen der Gestapo, sollte die Vollstreckung des Todesurteils nicht sofort erfolgen.

Brand brach unter den Kugeln zusammen

Nach einem Augenzeugenbericht waren zuvor zwei unbekannte Gestapo-Offiziere im Schloss aufgetreten und hatten die Mitglieder des Standgerichts und den Kreisleiter zur sofortigen Erschießung Brands aufgefordert. Maternus war ihr pflichteifriger Handlanger. Trenk gab schließlich den Befehl zur Exekution. Aus einer Gruppe Soldaten, die im Schlosshof auf ihren Kampfeinsatz wartete, griff Maternus zehn Mann heraus. Einigen anderen war es zuvor gelungen, sich noch „abzusetzen“. Zivile Zuschauer wurden abgeschirmt und Dr. Brand an die Stadtmauer rechts vom Schloss gestellt. Er soll - möglicherweise unter dem Einfluss von Morphium - einen ruhigen und gefassten Eindruck gemacht haben. Nach Maternus’ Feuerbefehl brach er unter den Kugeln des Erschießungskommandos zusammen.

Zum Zeitpunkt seiner Erschießung waren bereits die ersten Stoßtrupps der 14. US-Panzerdivision in die Stadt eingedrungen. Panzer folgten. Die Verteidiger der Stadt schossen am 3. April zehn Panzer ab oder machten sie kampfunfähig. Am frühen Nachmittag wurden im oberen Teil der Hauptstraße zwei amerikanische Panzer abgeschossen, einer davon von einem Hitlerjungen. In der Turmstraße wurden das Weigand-Haus (Stadtmühlgasse 1) und das Haus des Messerschmieds Friedel von einem Panzer in Brand geschossen.

Am späteren Nachmittag erhielten die Amerikaner von Süden her Verstärkung durch das 7. US-Infanterieregiment, das zunächst Rodenbach und dann Wombach einnahm, das von einer kleinen SS-Einheit verteidigt wurde. Dabei gab es zwei Tote, möglicherweise durch Artilleriefeuer, mit dem deutsche Einheiten von der anderen Mainseite aus den Vormarsch der Amerikaner aufhalten wollten. Ein Wohnhaus und mehrere Scheunen brannten nieder.

Die letzten Lohrer Einwohner, die die Innenstadt noch nicht verlassen hatten, waren zu ihrem eigenen Schutz von den Amerikanern außerhalb der Stadt in Sicherheit gebracht worden – denn noch gab es Artilleriefeuer, diesmal von der deutschen Wehrmacht, die von Sackenbach her die Amerikaner beschoss. Zu den Sammellagern gehörten das Aloysianum, die Knabenschule und die Villa Gillardon, die am Brunnenwiesenweg stand, sowie die Räume der Glashütte, damals an der Partensteiner Straße. Nach dem Ende der Kämpfe wagten sich die Leute in die Stadt zurück, um nachzuschauen, was aus dem eigenen Haus geworden war. Zwar war Lohr im Vergleich zu anderen Städten kaum zerstört, aber immerhin 23 Häuser lagen im Schutt und Asche, sechs allein im Eckbereich Oberen Brückenstraße/Fischergasse.

Die Amerikaner hatten ihr Lager auf den so genannten Stumpf-Wiesen, dort, wo heute das Autohaus Grampp steht. Weil die Lohrbrücke gesprengt war, rollten die amerikanischen Panzer, die in Richtung Sackenbach und Neuendorf fuhren, durch das Rexroth-Gelände. Ernsthaften Widerstand von Seiten der Wehrmacht gab es nicht mehr. Für die Lohrer war der Krieg zu Ende. Schon am nächsten Tag, Mittwoch, 4. April, gab es dann auch das erste Anzeichen für einen Neubeginn: Malermeister Anton Franz wurde von den Amerikanern als kommissarischer Bürgermeister eingesetzt.

Völlig sinnlose Brückensprengung in Marktheidenfeld

Auch Marktheidenfeld wurde am 2. April 1945, dem Ostermontag, von den Amerikanern eingenommen. In aller Frühe gegen 4 Uhr waren zwei Bogen der alten Marktheidenfelder Mainbrücke gesprengt worden, um die vermeintlich aus dem Spessart heranrückenden Amerikaner aufzuhalten. Nach Recherchen von Michael Deubert, dem ehemaligen Vorsitzenden des Historischen Vereins Marktheidenfeld und Umgebung, hatten die Nazis tags zuvor entschieden, die "Verteidigungsstellung" Wertheim - Marktheidenfeld - Lohr zu räumen und sie auf die Linie Gemünden - Karlstadt - Veitshöchheim zu verlegen. Befehle zum Sprengen der Brücke waren schon für den Palmsonntag, 25. März, und in der Karwoche ergangen, aber nicht ausgeführt worden.

Diese historische Aufnahme zeigt die zu Kriegsende gesprengte Brücke von Marktheidenfeld. 
Foto: Jerry Hubert Pinkowski | Diese historische Aufnahme zeigt die zu Kriegsende gesprengte Brücke von Marktheidenfeld. 

Die Brückensprengung erwies sich allerdings als unnötig und sinnlos, so Deubert, denn die amerikanischen Truppen, die am Nachmittag des 2. April Marktheidenfeld besetzten, kamen aus Richtung Erlenbach und Lengfurt. Die damalige Marktgemeinde wurde vom amtierenden Bürgermeister Haider und vom bereits seit 1943 amtierenden stellvertretenden Landrat Dr. Schmidt den Amerikanern im Rathaus übergeben. Damit war auch der Zweite Weltkrieg für Marktheidenfeld zu Ende - fünf Wochen vor dem offiziellen Kriegsende in Deutschland am 8. Mai 1945.

Der US-Soldat Jerry Hubert Pinkowski hat laut Deubert dafür gesorgt, dass es von der gesprengten Brücke ein fotografisches Zeugnis gibt. Pinkowski machte privat Aufnahmen von zerstörten deutschen Städten und Gebäuden, namentlich auch von Brücken. Die Amerikaner begannen sofort, die hiesige Brücke behelfsmäßig herzurichten. An den zerstörten Bogen wurde der Grund mit Kies und Sand aufgefüllt sowie mit Beton befestigt. Darauf stellte man Holzgerüste mit Eisenträgern. Quer darüber kamen Eisenträger und Holzbretter und seitlich Holzgitter als Abschluss und Sicherung.

Bis auf Weiteres war es grundsätzlich den Amerikanern vorbehalten, die Brücke zu benutzen. An beiden Brückenköpfen standen Wachen, die die Passanten kontrollierten. Wer als Deutscher den Main überqueren wollte, musste meistens mit der Fähre vorliebnehmen, die auf Höhe der Fahrgasse die Mainufer miteinander verband.

Das Bild zeigt den Wiederaufbau der alten Mainbrücke in Marktheidenfeld nach dem Zweiten Weltkrieg.
Foto: Eugen de la Motte | Das Bild zeigt den Wiederaufbau der alten Mainbrücke in Marktheidenfeld nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es normalisierte sich nach Ende des Krieges das Leben. Zu den ersten und schwierigsten Aufgaben des kommissarisch eingesetzten Bürgermeisters Anton Franz in Lohr gehörte es, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen und die obdachlos gewordenen Familien unterzubringen. Franz blieb bis zum 29. Juli 1945 im Amt. Dann bat er um seine Ablösung „zwecks Ausübung seines Berufes“.  

Von amerikanischer Seite her war ab 1. September Captain Edward E. Kelly zuständig. Zwar blieb Kelly nur ein knappes Jahr in Lohr – bis 15. August 1946 – doch diese kurze Zeit genügte, ihm einen Platz in der Stadtgeschichte zu sichern: Denn Kelly war nicht nur mit großem Einsatz darum bemüht, die materielle Lage der Bevölkerung zu verbessern, er förderte auch das kulturelle Leben mit Theateraufführungen, Konzerten und anderen Veranstaltungen.

Milde Haftstrafe für Täter

Nach dem Krieg wurde versucht, die Erschießung von Dr. Karl Brand juristisch aufzuarbeiten. Die Ankläger und Beisitzer des Standgerichts wurden bereits im ersten Verfahren 1948 vor dem Landgericht Aschaffenburg freigesprochen. Der Kampfkommandant Trenk bekam 1948 vier Monate Gefängnis für fahrlässige Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger unzulässiger Vollstreckung der vom Standgericht verhängten Strafe.

Der Standgerichtsvorsitzende Koob, der, wie seine Richter feststellten, „kein Wort der Reue“ äußerte, erhielt nach Verhandlungen in mehreren Instanzen 1950 eine milde Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten wegen fahrlässiger Tötung. Feldgendarm Maternus hatte sich nach einer im Kampf um Lohr erlittenen Verletzung aus der Stadt wegbringen lassen. Seine Spur hatte sich damit verloren.

Gedenktafel an Dr. Karl Brand an der Schlossmauer in Lohr.
Foto: Roland Pleier | Gedenktafel an Dr. Karl Brand an der Schlossmauer in Lohr.

1979 ließ der Geschichts- und Museumsverein Lohr am Schloss einen Stein mit einer Tafel zum Gedenken an Brand errichten. Da der Standort jedoch wegen mangelnder Sicht ungünstig gewählt war, wurde die Tafel im Mai 2000 an der Schlossmauer angebracht, ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo Brand erschossen wurde. 

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/

 
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Kommentare
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    Sehr interessant, besonders für Lohrer.
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  • D. K.
    Die juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen hat nicht wirklich gut funktioniert.

    Richtig erschreckend ist aber wie glimpflich selbst überführte Verbrecher mit Urteilen davonkamen oder später völlig grundlos begnadigt wurden.
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  • L. W.
    Ein Richter,

    der nachweislich Unrechtsurteile gesprochen hatte, wurde später in BaWü sogar Ministerpräsident.

    Und Kiesinger bekam seine Ohrfeigen von Beate Klarsfeld auch völlig zu Recht.
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  • E. S.
    Das wäre doch ein guter Name als Ersatz für den Nikolaus-Fey-Weg.
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  • E. B.
    Sehr bewegend, das zu lesen. Welche Ehre wurde denn Dr. Karl Brand zuteil?
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