"In Deutschland muss ein Mensch immer ein konkretes Leid haben, um Hilfe zu erhalten", sagt Gabriele Kimmel. Sie ist die Vorsitzende des Fördervereins Rückenwind, der die Caritas unterstützt. Die kirchliche Sozialorganisation bietet auch Menschen Beratung, die kein spezielles Problem haben. Doch diese bislang kostenlosen Dienste der Caritas sind in Gefahr.
Hintergrund ist, dass die Einnahmen der Organisation sinken, die Ausgaben aber steigen. Früher kam aus den Haus- und Straßensammlungen auf den Dörfern durch die Wohlfahrtsverbände regelmäßig ein großer Betrag zusammen. "Heute geht kaum noch jemand mit der Spendendose durch die Straßen", sagt Kimmel. Um 56 Prozent seien diese Einnahmen in den vergangenen 15 Jahren zurückgegangen. Hinzu kommt, dass durch die vielen Austritte aus der Kirche auch die Zuwendungen aus der Kirchensteuer deutlich gesunken sind.
Demgegenüber stehen gestiegene Kosten, mit denen fast alle Organisationen und Unternehmen zurzeit zu kämpfen haben: Die Energiekosten gehen durch die Decke, die Lohnkosten sind gestiegen und es kommen immer mehr Pflichtaufgaben wie zum Beispiel der Datenschutz hinzu. "Es ist die Summe der Faktoren, die uns in Schwierigkeiten bringt", fasst Florian Schüßler, Geschäftsführer des Caritas-Kreisverbandes Main-Spessart, zusammen.
Förderverein hat bislang 52 Mitglieder
Um gegenzusteuern, hat die Caritas im Juli dieses Jahres einen Förderverein gegründet. Der "Rückenwind e.V." hat bislang 52 Mitglieder, die die Arbeit der Caritas mit einem monatlichen Mitgliedsbeitrag von zwei Euro unterstützen. Einige Mitglieder zahlen freiwillig deutlich mehr, sagt Gabriele Kimmel. Die Einnahmen aus dem Förderverein sind für die Caritas eine verlässliche Einnahmequelle sein, im Gegensatz zu Spenden, die sich nur schwer kalkulieren lassen.
Für Geschäftsführer Florian Schüßler ist der Förderverein auch eine Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel. "Die Zeiten der großen Sammlungen sind vorbei", sagt er. Der Verband müsse andere Möglichkeiten ausschöpfen. "Der Förderverein kann nicht der einzige Weg sein, aber er ist einer davon", so Schüßler.
Allgemeiner Beratungsdienst hilft denen, die keinen Coach bezahlen können
Ein Angebot der Caritas, das konkret in Gefahr ist, ist der Allgemeine soziale Beratungsdienst (ASBD). Leiterin Gerlinde Smutny ist für Menschen da, die auf ihrem Weg zurück ins Leben Hilfe brauchen und das nicht immer in der Zeit schaffen, in der sie eine Therapie von der Krankenkasse finanziert bekommen. Oder Menschen, die überhaupt keine Unterstützung bekommen, da sie nicht in ein bestimmtes Raster passen. "Der ASBD ist für Menschen da, die keine professionelle Hilfe oder Coaches bezahlen können", fasst Kimmel zusammen.
Konkret unterstützt die Beratung bei finanziellen Schwierigkeiten, bei Amtsangelegenheiten, familiären Problemen, aber vermittelt auch zu Fachdiensten. Finanziert wird die Beratung ausschließlich aus der Kirchensteuer und den Eigenmitteln der Caritas. "Von staatlicher Seite wird hier überhaupt nicht gegenfinanziert", erklärt Kimmel.
Viele Fachberatungsstellen haben Vorgaben, wie lange sie Klienten beraten dürfen. Bei der Schwangerenberatung werden Familien zum Beispiel begleitet, bis das Kind drei Jahre alt ist. Wenn die Familie danach aber immer noch Unterstützung braucht, bekommt sie diese beim ASBD. "Bei der Flüchtlingsberatung haben wir das gleiche Problem, da gibt die Regierung drei Jahre nach der Einreise vor", erklärt Smutny.
"Wir wollen mit der Beratung verhindern, dass Menschen finanzielle Unterstützung brauchen und es schaffen, dass sie der Gesellschaft erhalten bleiben", betont Smutny. Die Arbeit sei deshalb wichtig für alle – beispielsweise auch für Unternehmen, denen so vielleicht eine Arbeitskraft erhalten bleibt, weil sie durch die Beratung weiter ihrer Arbeit nachgehen kann. Auch der Staat könne durch die präventive Hilfe viele Kosten sparen, weil die Menschen so seltener in die Sozialhilfe rutschen.
ASBD unterstützt die Sucht-Selbsthilfegruppen vor Ort
Auch Manfred Marold ist vom Caritas-Prinzip der "Hilfe zur Selbsthilfe" überzeugt. Er leitet die Kreuzbundgruppe in Lohr und erhält von der Caritas Unterstützung über die psychosoziale Beratungsstelle, die den Selbsthilfegruppen bei der Organisation und mit Fachwissen zur Seite steht. "Viele Leute sind auch einfach nicht mehr in der Verfassung, dass sie einen Antrag selbst ausfüllen können", erklärt Marold. Das könnten die Selbsthilfegruppen nicht leisten, hier springe wieder der ASBD ein.
Besonders wichtig findet er auch, dass es Angebote vor Ort gibt: "Ich kann einem Suchtkranken nicht sagen, dass er nach Würzburg fahren soll." Erst kürzlich wurde in Gemünden eine neue Selbsthilfegruppe gegründet. "Der Bedarf ist da", ist Marold überzeugt. Das betont auch Florian Schüßler: "In Zeiten von Energiekrise, Ukraine-Krieg und Preissteigerungen werden unsere Dienste mehr nachgefragt denn je."