
Der Architekt und passionierte Hobby-Historiker Alfred Wiener ist begeistert: "Das Haus ist der Knüller!" Er spricht vom Gebäude in der Karlstadter Hauptstraße 9, das das Büro Wiener & Partner im Auftrag der Stadt saniert und zu einem Museum umgestaltet. Bei den Arbeiten ergaben sich Funde und Entdeckungen, die Wiener faszinieren. Er spricht von "Sensationen" und davon, dass das fertiggestellte Baudenkmal als Museum sicher "nationale Bedeutung" erlangen werde.

An die drei Millionen Euro wird die Sanierung am Ende wohl kosten. Das Gebäude wird mit dem nebenstehenden Gebäude in der Hauptstraße 11 gewissermaßen "vereinigt" und künftig die Karlstadter Touristinfo, das Museum der Stadt Karlstadt mit den Abteilungen Stadtgeschichte und "Zeitbrüche" beherbergen. Alfred Wiener weiß, dass die "Zeitbrüche"-Ausstellung aus dem Fundus des früheren Würzburger Domkapitulars Jürgen Lenssen bedeutsame Kunstwerke enthält, aber er ist davon überzeugt, dass im Grunde das Gebäude "der Star" des dreigliedrigen Konzepts sei. Dass neben dem Freistaat Bayern auch der Bund, die Deutsche Stiftung für Denkmalschutz, die Städtebauförderung, das Landesamt für Denkmalpflege und die Landesstelle nichtstaatlicher Museen die baulichen Maßnahmen fördern, mag belegen, dass der Architekt mit seiner Einschätzung nicht alleine steht.
Rund 800 Jahre alte Gebäudeteile
Wiener betont, dass die Vergabe zweier Hausnummern für Hauptstraße 9 und 11 aus den unterschiedlichen, früheren Eigentumsverhältnissen stammt. "Im Grunde war das von Anfang an ein Gebäudekomplex." Allerdings seien bauliche Veränderungen erfolgt, die sich nach den bei der Sanierung erfolgten Untersuchungen deutlich belegen und datieren ließen. "Wir haben hier Gebäudeteile, die aus der Zeit der Stadtgründung um das Jahr 1200 stammen müssen, ebenso wie den Ausbau des vorderen Gebäudeteils mit Erhöhung um ein Stockwerk von 1376 sowie eine Überbauung aus dem 16. Jahrhundert. Es gibt darin Wandgemälde, die sich auf 1531 und 1563 datieren lassen." Das alles soll erhalten und im Museum sichtbar gemacht werden. "Und es soll dann mit den Veränderungen, die wir im 21. Jahrhundert unternehmen, eine harmonische Einheit bilden", so Wiener.

Ende 2007 erstand die Stadt den Gebäudeteil Hauptstraße 9 aus Privatbesitz. Nach dem Erwerb wurden die Räume, einige Wandgemälde und Sinnsprüche an den Wänden im ersten und zweiten Stock erfasst und untersucht. Aber erst die Funde bei der jetzigen Sanierung helfen, die Geschichte des Gebäudes aufzuschlüsseln. Zunächst wurde das im Fachwerk und im vorderen Gebäudeteil verwendete Holz auf 1376 datiert – deutlich älter als erwartet. Eine weitere Überraschung ergab sich bei der Farbuntersuchung der Balken. "Zuvor waren in Karlstadt hauptsächlich rote, ockerfarbene oder graue Fachwerke bekannt. Bei diesem älteren Holz wurde durch Pigmentanalyse eindeutig schwarze Farbe bestimmt", so Wiener.
Die Aufwertung des hinteren Turms
Also gingen sämtliche Experten bisher davon aus, dass der vordere Gebäudeteil mit den Holzfunden der älteste sei. Alfred Wiener sagt: "Der rückwärtige Turm stand immer im Schatten des vorderen und wurde bisher meist als 'wehrhafter Turm' bezeichnet. Nun gehen wir davon aus, dass dieser hintere Turm womöglich der älteste Teil des Gebäudes ist." Wahrscheinlich gehe dieser Turm auf die Zeit nach der Stadtgründung um 1200 zurück und sei damit ähnlich alt wie die am südlichen Stadteingang rund 300 Meter entfernte Hohe Kemenate, in der die Stadtbücherei beheimatet ist.

Stein lasse sich nicht so einfach datieren wie Holz, das Alter des hinteren Turms sei deshalb nicht genau zu bestimmen. "Aber es ist ziemlich sicher, dass er früher als 1376 errichtet wurde", sagt Wiener. Dieser Schluss ergebe sich aus den vorgefundenen Kaminresten sowie den seltenen doppelten Kleeblattöffnungen. "Im ersten Stock des rückwärtigen Turms befand sich ein offenes kemenatenartiges Saalgeschoss. Diese erst in den letzten Monaten gemachte Entdeckung ist eine Sensation für Historiker", sagt Wiener. Sicher sei auch, dass der Turm früher mal ein Stockwerk höher war. Warum er zurückgebaut wurde, lasse sich nicht sagen.
Die seitliche Ansicht von der Brunnengasse lässt die Entwicklung des Gebäudes erkennen. Der hintere Turm war mit dem vorderen Teil durch eine wehrhafte Mauer mitsamt schwerem Rundbogentor verbunden. Auf diese Mauer kam 1531 ein hölzerner Überbau. Sowohl von außen beim Blick auf die größer und schöner werdenden Fensteröffnungen als auch von innen zeigt sich, dass die Räume von hinten nach vorne an Wertigkeit zunehmen. Eine solche hierarchische Struktur sei bei Gebäuden aus dem Mittelalter nicht selten.

Zufluchtsort für Würzburger Domherren und Bischöfe
Stellt sich noch die Frage, um was für ein Gebäude es sich überhaupt handelt, wozu es genutzt wurde. Die verschiedenen Gebäudeteile, das Saalgeschoss und die sogenannten "Kleeblattfenster" deuten darauf hin, dass es sich um ein "bedeutendes Gebäude" gehandelt haben muss. Alfred Wieners Theorie stimmt mit der Forschung des Karlstadter Historikers Werner Zapotetzky überein. Der fand heraus, dass das Würzburger Domkapitel (ein Gremium von Priestern des Bistums) zeitweise in Karlstadt weilte. Wiener glaubt, dass sie im Gebäudekomplex an der Karlstadter Hauptstraße zusammen kamen.
Der vordere und schönste Raum im zweiten Stock mit großen Fenstern und einer besonders schönen Bohlen-Balken-Decke sei wohl die "gute Stube", womöglich das Bischofszimmer, gewesen; der am weitesten hinten liegende Raum die Küche. Auch die vorgefundenen Reste von Kachelöfen und Backstellen sowie die teilweise erhaltenen Stuckdecken sprechen dafür, dass der Bau von bedeutenden Personen genutzt wurde. Eine Reihe von Wandmalereien lässt sich auf die Jahre 1531 (gelb umrandet) und 1563 (rot eingefasst) datieren.


Die Malereien von 1531 bilden Karlstadter Historie ab, beispielsweise den Büchsenmacher Hans Schmyd, Kanonen, Reiter sowie Landsknechte. Die Bilder von 1563 zeigen christliche Motive sowie die Wappen der Adelsgeschlechter von Lichtenstein, Grumbach, Thüngen. Dies geht wohl auf den Aufenthalt der Domherren aus Würzburg zurück, die damals in Karlstadt weilten, um sich vor der in Würzburg wütenden, pestartigen Seuche zu schützen. Im großen Saal im zweiten Stock mögen sie in "Peremptorialkapitel" genannten Zusammenkünften getagt haben. Außerdem findet sich in vielen Malereien die "Karlstadter Blume", die auch in anderen Gebäuden der Kreisstadt auftaucht.
Am Anfang stand ein Kraftakt
"Hier lässt sich Geschichte wirklich begreifen", schwärmt Alfred Wiener. Im Erdgeschoss wird die Karlstadter Tourist-Info ihren Platz finden. Ein Wanddurchbruch vereinigt die Gebäudeteile 9 und 11 schon im Erdgeschoss. Durch einen Aufzug wird das Gebäude barrierefrei. Der Blick in den kleinen Innenhof bleibt frei.

Am Anfang der Sanierung stand ein Kraftakt im Sommer 2018: Weil der Mittelbau des Gebäudes über die Jahrhunderte abgesackt war, musste er mit großer hydraulischer Gerätschaft angehoben werden – um etwa 30 Zentimeter. Dies gelang, ohne dass Risse entstanden oder die Wandmalereien beschädigt worden wären.

In Kürze ist die Sanierung im engeren Sinne abgeschlossen und es folgt der Feinschliff im Innenausbau. Bürgermeister Michael Hombach geht nach derzeitigem Stand davon aus, dass das Museum im Frühjahr 2022 eröffnet wird. „Dieses Ziel streben wir an." Bereits in diesem Jahr soll die Tourist-Information in das Gebäude ziehen. "Aber ich freue mich schon jetzt auf die Eröffnung des Museums der Stadt Karlstadt", so Hombach.
Als die Stadt Karlstadt im Jahr 2007 den nun sanierten Gebäudeteil erwarb, wurde der damalige Bürgermeister Karl-Heinz Keller dafür barsch kritisiert. "Nun müsste man ihm dafür nachträglich einen Orden geben", sagt Architekt Alfred Wiener. Für ihn gibt's keinen Zweifel daran, dass das künftige Museum der Stadt Karlstadt "ein Glanzlicht im Landkreis, ja, in ganz Unterfranken" sein wird. Bald werden sich Besucher aus ganz Deutschland darüber ein Urteil bilden können.