
Bei der Gebietsreform stellte sich vor 50 Jahren vielen Dörfern die Frage, wem sie sich angliedern oder mit wem sie sich zusammentun sollen. Oft war es eine hochemotionale Angelegenheit. In Wernfeld war es zwar nicht sonderlich emotional, aber es stellte sich doch die Frage: Sollte man nach Gemünden oder doch lieber nach Karlstadt? Im Januar 1974 hieß es im Gemündener Stadtrat, die Gemeinde Wernfeld habe schon oft beteuert, der Weg führe nur nach Gemünden. Aber konkrete Zeitangaben habe sie noch nicht gemacht.
Im September 1974 dann meinte der Karlstadter Stadtrat Oskar Leckert in einer Sitzung des Karlstadter Gremiums, in der es um die Gemeindereform ging, "man sollte unbedingt versuchen, Wernfeld nach Karlstadt zu holen". Die Tendenz der Wernfelder gehe nach Karlstadt. MdL Walter Zeißner warnte in der Sitzung jedoch, "über den Nahbereich der Stadt bezüglich Eingemeindungsbestrebungen tätig zu werden".
Zweiter Wernfelder Bürgermeister Josef Reusch wunderte sich über Karlstadter Begehrlichkeiten
Stadtrat Karl Schneider meinte daraufhin zu Zeißner: "Wir werden mit Wernfeld ein Gespräch führen, ob es Ihnen passt oder nicht. Die Bürger sollen dann entscheiden." Im Übrigen tendiere die "Führungsseite" in Wernfeld eher nach Karlstadt als nach Gemünden. War dem so? Dem widersprach der zweite Bürgermeister der Gemeinde Wernfeld, Josef Reusch, in einer am 30. September, fünf Tage nach dem Stadtratsbericht aus Karlstadt, in der Main-Post abgedruckten Stellungnahme.
"Dazu möchte ich feststellen, daß Bürgermeister Dittmeier, Wernfeld, ebenso wie Bürgermeister Völker, Gemünden, und ich auf der CSU-Versammlung in Zusammenhang mit der Frage der Eingemeindung nach Gemünden besonders die bereits bestehenden und gewachsenen Bindungen Wernfelds mit der Stadt Gemünden hervorhob." Das seien vor allem der Schulverband, die Klärgemeinschaft, der Pfarrverband und nicht zuletzt die gemeinsame Beteiligung am Gewerbesteueraufkommen des Mähwerkherstellers Mörtl. "Wer ist denn, Herr Schneider, die 'Führungsseite' von Wernfeld? Wenn nicht die beiden Bürgermeister und der Gemeinderat, dann vielleicht, wenn überhaupt, etwa der Gemeindeschreiber?"
Der Gemeinderat Wernfeld habe sich, so Reusch, "in sachlicher Diskussion einstimmig dafür ausgesprochen", mit Vertretern des Stadtrats Karlstadt bezüglich einer möglichen Eingemeindung Kontakt aufzunehmen. Anlass dafür sei ein Schreiben des Karlstadter Bürgermeisters Hofmann an den Wernfelder Bürgermeister gewesen. "Das gleiche wird sicher in absehbarer Zeit mit den Vertretern des Stadtrates Gemünden geschehen", so Reusch.
Reusch: Gemünden hat Hausaufgaben gemacht, Karlstadt nicht
Für die betroffenen Gemeinden sei die Eingemeindung ein tiefgreifender und für die Zukunft schicksalhafter Schritt, so Reusch. Nach Vollzug der Eingemeindung werde es sicher manch kleinere und größere Enttäuschung geben, auch für vorherige Befürworter. "Das ist nach meinen Kenntnissen", schrieb Reusch, "in Gambach, als bisher einziger neuer Karlstadter Stadtteil, genauso zutreffend wie für die sieben neuen Stadtteile Gemündens. Aber eines möchte ich hervorheben, der Stadtrat Gemünden mit seinem agilen Bürgermeister Völker hat in der Frage der Eingemeindung bereits seit Jahren mutige Schritte unternommen. Wo aber bleibt da im Vergleich Karlstadt?"
Reusch fragt sich, woher auf einmal das Karlstadter Interesse an Wernfeld komme. "Warum ist Gambach bis heute die einzige Gemeinde, die in Karlstadt eingemeindet wurde? Hat sich der Bürgermeister von Karlstadt denn schon mit den unmittelbaren Nachbargemeinden Mühlbach, Laudenbach, Karlburg usw. so intensiv bemüht wie nun plötzlich um die weit entfernte Gemeinde Wernfeld? Wenn ja, was sind die konkreten Ergebnisse?" Reusch war es ein Anliegen, dass Wernfeld nicht anhand der meisten und scheinbar attraktivsten Versprechungen verhökert wird.
Bei der Gebietsreform geschah manch Verwunderliches, wie der Fall Ruppertshütten zeigte
Am 5. Dezember 1974 dann hieß es in der Main-Post: "Für Karlstadt ist der Reformzug abgefahren". Im Bericht geht es um einen Besuch von Gemündenern Vertretern um den Bürgermeister Kurt Völker bei einer Gemeinderatssitzung in Wernfeld. Für die Gemündener sei es eine "wohlwollende Atmosphäre" gewesen, hieß es. Völker zeigte die engen Verflechtungen der beiden Gemeinden auf. Bei einer Eingemeindung würde auch das Personal übernommen werden, hieß es. Offenbar spielte auch die Regierung von Unterfranken eine Rolle, die dem Wernfelder Bürgermeister erklärt habe, dass eine "sachgerechte Neuordnung in diesem Raum nur mit Gemünden zustande kommen könnte". Gemündens Stadtrat Wolfgang Fechner warnte aber: "Man sollte nicht zu sehr auf die Regierung bauen, es wurde z.B. auch Ruppertshütten Lohr zugesprochen."
Am 1. Januar 1976 ging Wernfeld unter Bürgermeister Rudi Dittmeier schließlich zu Gemünden. Ausschlaggebend war unter anderem, dass die beiden Gemeinden beim Teilen der Gewerbesteuer des von Mörtl schon gute Erfahrungen gemacht hatten, dessen Werksgelände zu zwei Dritteln auf Wernfelder Flur und zu einem Drittel auf Gemündener lag. Der aus Wernfeld stammende Gemündener Stadtrat Robert Lampert erinnert sich auf Anfrage, dass bei einer Bürgerversammlung im Gasthaus Pfister über die Frage Gemünden oder Karlstadt abgestimmt worden war. Die Wernfelder hätten sich seinerzeit in Anwesenheit des Karlstadter Bürgermeisters klar für Gemünden ausgesprochen.
Karlstadt und Arnstein bemühten sich um Obersfeld
Dass die Gemeindegebietsreform eine komplizierte Sache und 1974 noch vieles offen war, zeigt die Karlstadter Stadtratssitzung, in der es um Wernfeld ging. In der Sitzung sagte Stadtrat Emil Schäfer, dass sich zwar Arnstein um Hundsbach und Obersfeld bemühe, dass die Obersfelder aber nach Karlstadt tendieren würden. Man solle noch vor einer dortigen Bürgerversammlung Gespräche führen. Letztlich schlossen sich sowohl Hundsbach als auch Obersfeld weder Karlstadt noch Arnstein, sondern Eußenheim an.