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Karlstadt
Gemeindegebietsreform in Main-Spessart in den 70er Jahren: Eine Liebesheirat war es selten
Aus der Geschichte Main-Spessarts (142): Wer passt mit wem am besten zusammen? Viele kleine Orte mussten in den 70er Jahren ihre Selbstständigkeit aufgeben. Manche taten es freiwillig, mache wehrten sich mit aller Kraft. Die Städte warben um ihre Gunst.
So wie Karlburg ging es vielen damals noch selbstständigen Gemeinden in den 70er Jahren.  Karlburg ging bei der Gemeindegebietsreform in der Stadt Karlstadt auf.
Foto: Björn Kohlhepp | So wie Karlburg ging es vielen damals noch selbstständigen Gemeinden in den 70er Jahren.  Karlburg ging bei der Gemeindegebietsreform in der Stadt Karlstadt auf.
Björn Kohlhepp
 und  Klaus Gimmler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:16 Uhr

Ende des Jahres 1970 gab es auf der Fläche des heutigen Landkreises Main-Spessart noch 120 selbstständige Städte, Märkte und Gemeinden. Nach Abschluss der Gemeindegebietsreform verringerte sich diese Zahl auf 40.  Die Kommunen sollten effizienter werden. Das Ziel war Kostenersparnis bei gleichzeitiger Steigerung der Leistungsfähigkeit, denn die Aufgaben der Verwaltung waren in allen Bereichen gewachsen.

Die naheliegende Antwort war die Zusammenlegung der Gemeinden zu größeren Einheiten. Die Diskussionen darüber zogen sich über ein Jahrzehnt hin. Das Prinzip der Staatsregierung - damals unter dem Innenminister Bruno Merk - war die Freiwilligkeit. Die Gemeinden sollten selber zueinander finden. Erst wenn dies bis Ende 1975 nicht gelingt, hätte es eine Entscheidung von Amtswegen gegeben.

Gemeindegebietsreform in Main-Spessart in den 70er Jahren: Eine Liebesheirat war es selten

Die Probleme lagen im Detail. Karlstadts Altbürgermeister Karl-Heinz Keller und der ehemalige stellvertretende Bürgermeister Manfred Goldkuhle erinnern sich und zeigen dies am Beispiel von Karlstadt auf. Denn es taten sich manche Gemeinden schwer mit einer Entscheidung. Beispiel Karlburg: "Das war keine Liebesheirat", so Keller, da Karlburg viel älter als Karlstadt ist. "Die 1250-jährige Geschichte von Karlburg ist in die 800-jährige von Karlstadt aufgegangen."

Es habe damals Bürgermeister gegeben, die selbstbewusst ihre Eigenständigkeit vertreten hätten. Eine Schlüsselrolle sei Wiesenfeld zugekommen, das mit einem Zusammenschluss mit der Gemeinde Steinfeld geliebäugelt hatte. "Doch die konnten sich nicht einigen, wo dann das Rathaus ist", so Keller. Dies habe schließlich zum Anschluss an Karlstadt geführt mit der Folge, dass auch Karlburg der Partner fehlte und man sich Karlstadt anschließen musste.

Auch die Laudenbacher entschieden sich auf einer Bürgerversammlung 1975 für Karlstadt. Es war auch ein Zusammenschluss von Himmelstadt, Mühlbach und Karlburg diskutiert worden, doch auch da scheiterte der Plan an der Frage, wohin mit dem Rathaus? Die Laudenbacher seien aber so raffiniert gewesen, dass sie kurz vor dem Zusammenschluss noch schnell eine Mehrzweckhalle gebaut hätten, meint Goldkuhle (dazu erhielt die Redaktion einen Leserbrief).

Mühlbach war reichste Gemeinde des Altlandkreises

Mühlbach sei damals die reichste Gemeinde des Altlandkreises Karlstadt gewesen, so Goldkuhle weiter. Aufgrund des Steinbruchs und der daraus resultierenden Gewerbesteuereinnahmen hätten die Bürger keine Gebühren bezahlt. Entsprechend gering war die Bereitschaft, diese Einnahmen in einer großen Einheit aufgehen zu lassen, doch schließlich habe es keinen anderen Weg als die Eingemeindung gegeben.

Rohrbach und Stadelhofen waren durch die Entscheidung von Wiesenfeld für Karlstadt im Zugzwang und sind daher auch diesem Weg gegangen. Wiesenfeld hatte der Eingemeindung zugestimmt, aber hat Forderungen gestellt, erinnert sich Keller. Beispielsweise mussten 50 Mark jährlich für das Glockenläuten im Weiler Erlenbach im Haushalt festgeschrieben sein.

Am 1. Mai 1978 traten die ehemals selbstständigen Gemeinden - Heßlar, Karlburg, Laudenbach, Mühlbach, Rohrbach, Stadelhofen, Stetten und Wiesenfeld - der Stadt Karlstadt bei. Gambach hatte sich schon zum 1. April 1971 der Stadt Karlstadt angeschlossen. Die Gemeinde Heßlar habe sich schnell entschieden, so Goldkuhle. "Unsere Tendenz geht nach Karlstadt", hieß es. Das habe auch mit der Neuordnung der Schullandschaft zu tun gehabt. Mit der Einweihung der Konrad-von-Querfurt-Volksschule im Jahre 1977 waren die Heßlarer in Richtung Karlstadt festgelegt.

Stetten hatte dagegen überlegt, mit Thüngen eine Verwaltungsgemeinschaft zu bilden. Dagegen sprach, dass die Thüngener evangelisch waren. Eußenheim wiederum war in Richtung Karlstadt orientiert, allerdings wurde die Gemeinde als Verwaltungssitz für die Bachgrundgemeinden gebraucht. Es war eine bewegte Zeit mit vielen hitzigen Diskussionen im Vorfeld der Gemeindegebietsreform. Die Stadt Karlstadt wurde dadurch zum Mittelzentrum und die Einwohnerzahl stieg von 7000 auf 15 000.

Gemünden wurde deutlich größer

Auch Gemünden vergrößerte durch die Gebietsreform ihre Stadtgrenzen. Bereits am 1. Januar 1972 hatte sich Harrbach freiwillig der Stadt Gemünden angeschlossen und ließ sich eingemeinden. Fast hätte Harrbach damals jedoch den Gemündener Dunstkreis verlassen und sich dem Nachbarn Karlburg angegliedert. Arbeitsplatzbindungen und gut nachbarschaftliche Beziehungen ließen einige von einem Zusammenschluss mit Karlburg träumen. Allerdings zeigten die Verantwortlichen in Karlburg wenig Interesse an einer solchen Verbindung, wie sich Gemündens Altbürgermeister Kurt Völker erinnerte.

Harrbach war aber nicht die erste der einst selbstständigen Gemeinden, die sich Gemünden angeschlossen haben. Schon ein Jahr zuvor, am 1. Januar 1971, hatten sich Adelsberg, Hofstetten, Massenbuch und Seifriedsburg mit Schönau und Reichenbuch in die Stadt Gemünden eingemeindet. Auch Schaippach mit Hohenroth schloss sich damals Gemünden an, was für das Gemündener Rathaus jedoch etwas überraschend kam. Denn sowohl der Rienecker als auch der Gemündener Bürgermeister hatten angesichts der pfarrgemeindlichen Bindung einen Anschluss Schaippachs an Rieneck für wahrscheinlicher gehalten, so Völker.

Zum 1. Juli 1972 dann wurde auch Aschenroth mit Neutzenbrunn Gemündener Stadtteil. Aschenroth hätte sich auch den zu bildenden Einheitsgemeinden Gräfendorf oder Karsbach anschließen können, fand den Anschluss an Gemünden indes offenbar verlockender. Am 1. Januar 1976 ging auch Wernfeld unter Bürgermeister Rudi Dittmeier zu Gemünden. Die beiden Gemeinden hatten beim Teilen der Gewerbesteuer des Schleppergeräteherstellers Mörtl schon gute Erfahrungen gemacht. Denn dessen Werksgelände lag zu zwei Dritteln auf Wernfelder Flur und zu einem Drittel auf Gemündener

Langenprozelten, einst eine der größten Gemeinden des Landkreises Lohr, hatte schon in den 30er Jahren versucht, sich vom Landkreis Lohr zu lösen und in den Landkreis Gemünden eingemeindet zu werden. Bemühungen versandeten angesichts des nahenden Krieges jedoch. Erst die Gebietsreform brachte neuen Schwung in die Sache. Allerdings wollten die Langenprozeltener zwar in den Landkreis Gemünden, nicht aber zur Stadt Gemünden und strebten an, mit den Gemeinden Neuendorf und Ruppertshütten eine Verwaltungsgemeinschaft zu gründen. Aber Ruppertshütten sprach sich für Lohr aus und Neuendorf schloss sich mit Neustadt, Rechtenbach und Steinfeld zu einer Verwaltungsgemeinschaft zusammen. Erst als der Verlust von Sonderschlüsselzuweisungen drohte, stimmte der Langenprozeltener Gemeinderat für eine Eingemeindung am 1. Januar 1978. 

Schon zum Jahresanfang 1972 bekam die Stadt Lohr den größten Wachstumsschub ihrer Geschichte. Sie dehnte sich im Talkessel und darüber hinaus aus. Die Umlandgemeinden Halsbach, Rodenbach, Ruppertshütten, Sackenbach, Steinbach und Wombach wurden Stadtteile. Pflochsbach folgte 1978. Sendelbach gehört bereits seit 1939 zu Lohr.

Marktheidenfeld holte sich Körbe

Für die Stadt Marktheidenfeld war mit der Eingliederung der Gemeinde Altfeld, bestehend aus den Ortsteilen Altfeld, Michelrieth und Oberwittbach, zum 1. Januar 1976 die Gemeindegebietsreform abgeschlossen. Bereits seit dem 1. Januar 1972 gehört Glasofen mit dem Weiler Eichenfürst zu Marktheidenfeld; es folgten Zimmern (1. Juli 1974) und Marienbrunn (1. Januar 1975). Den Zusammenschluss der bis dahin selbstständigen Gemeinden Altfeld, Michelrieth und Oberwittbach zum 1. Juli 1972 zur neuen Gemeinde mit dem Namen Altfeld war daher nur ein Zwischenschritt.

Armin Grein, der zu dieser Zeit Marktheidenfelder Bürgermeister war, erinnerte sich auf einer Festveranstaltung an die Versuche, die Gemeinden rund um Marktheidenfeld in die Stadt einzugemeinden. In Lengfurt, Hafenlohr, Karbach und Erlenbach habe er sich Körbe geholt, sagte er. Im Nachhinein sei er froh, denn die anderen großen Städte im Landkreis, die mehr Stadtteile eingemeindet hätten, seien kaum mit dem Ausbau der Infrastruktur nachgekommen. 

Stattdessen gründeten Birkenfeld, Erlenbach, Esselbach, Hafenlohr, Karbach und Rothenfels die Verwaltungsgemeinschaft (VG) Marktheidenfeld, die am 2. Januar 1976 ihren Dienst aufnahm. Im Juli 1976 folgte Roden und im Mai 1978 komplettierten Bischbrunn und Urspringen die Neunergruppe. Die VG Marktheidenfeld ist damit die größte in Unterfranken. Um ein Übergewicht zu vermeiden, wollte man die Stadt Marktheidenfeld von dem Bündnis ausschließen. Mit dem ehemaligen Landratsamt fand man aber in der Stadt ein Zuhause.

Auch die Stadt Arnstein wuchs kräftig: Am 1. Januar 1972 wurde die Gemeinde Binsbach und am 1. Juli 1972 die Gemeinde Büchold eingegliedert. Altbessingen, Binsfeld, Halsheim, Heugrumbach, Müdesheim, Neubessingen und Reuchelheim folgten am 1. Juli 1974. Die Reihe der Eingemeindungen wurde am 1. Mai 1978 durch die Eingliederung von Gänheim und Schwebenried abgeschlossen.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/

 
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