
Chronisch krank mit 26 Jahren. Diese Diagnose erhielt Sarah (Name von der Redaktion geändert) vor sechs Jahren. "Sie hatte ständig Bauchschmerzen, fast immer eine Wärmflasche auf dem Bauch", erinnert sich ihre Mutter, die in Main-Spessart lebt. Ein Gastroenterologe stellte 2018 die Diagnose: Morbus Crohn. Die chronisch-entzündliche Darmerkrankung verläuft oft in Schüben und kehrt meist immer wieder. Bauchschmerzen und Durchfall sind häufige Symptome.
Auch wenn Sarah nun wusste, woran sie litt, wirklich wahrhaben wollte sie es nicht, erzählt ihre Mutter. "Sarah war ihre berufliche Karriere das Wichtigste damals. Die Diagnose hat sie verdrängt." Und auch ihre Mutter ist sich unsicher. Was genau müssen wir jetzt tun? Wie gehen wir mit der Erkrankung um? "Im Nachhinein betrachtet waren wir zu wenig aufgeklärt und zu schüchtern, um an den richtigen Stellen genau nachzufragen", sagt ihre Mutter. Heute weiß sie: Um mit Morbus Crohn gut leben zu können, braucht es viel Geduld, Wissen und einen guten Fahrplan. Und es braucht Menschen, mit denen man sich über die Krankheit austauschen kann.
Leben mit Morbus Crohn braucht guten "Fahrplan"

Zum Beispiel in einer Selbsthilfegruppe. Dass es ein regelmäßiges Treffen für an Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa Erkrankte in Main-Spessart gibt, hat die Mutter lange nicht gewusst. Barbara Gillner aus Partenstein leitet die Gruppe. "Mit Morbus Crohn muss man sich arrangieren. Es ist eine chronische Erkrankung, sie ist nicht heilbar", beschreibt sie. Frühzeitig und individuell behandelt können jedoch Symptome und Beschwerden gelindert, der Entzündungsprozess gebremst und krankheitsspezifische Komplikationen behandelt werden. Bei ihr wurde die Krankheit mit 18 festgestellt. "Ich hatte nach dem Essen permanent Bauchschmerzen und Koliken", erinnert sich die heute 61-Jährige an die Anfänge.
Nach einer OP bekommt sie die Diagnose: Ihr Darm ist entzündet. "Das Problem ist, dass sich durch die entzündlichen Prozesse das Gewebe verdickt und es zu Engstellen kommt, im schlimmsten Fall zum Darmverschluss." Zunächst wird sie mit Cortison behandelt. Später dann müssen ihr Teile des Darms entfernt werden.
"Die Erkrankung hat mich zu Beginn sehr eingeschränkt, ich bin zum Beispiel keine längeren Strecken mehr mit dem Bus gefahren, sondern nur noch mit dem eigenen Auto", erzählt Gillner. Trotzdem geht sie mit den Beschwerden auf die Arbeit, weiht ihre Arbeitskolleginnen über ihre Erkrankung ein. "Viele Betroffene möchten nicht, dass ihr Arbeitgeber oder ihre Kollegen Bescheid wissen." Denn die Scham überwiegt: Ständige Durchfälle, Bauchschmerzen, häufige Toilettengänge bis hin zu Müdigkeit, Depressionen und Angstzuständen sind keine Themen, die zwischen Kantine und Büro Platz haben.
Partnerschaftliche Beziehung sind durch die chronische Krankheit oft eingeschränkt
Erst viele Jahre später, 2005, gründet sie zusammen mit Heidrun Kossack und anderen Betroffenen die Selbsthilfegruppe Morbus Crohn/Colitis Ulcerosa Main-Spessart. "Wir sind mittlerweile ein harter Kern von sechs Betroffenen, Frauen und Männer, die sich alle zwei Monate treffen", erzählt Gillner. Geredet wird über das, was auf der Seele liegt – nicht unbedingt nur über die Erkrankung. Die Gruppe organisiert regelmäßig Vorträge und unternimmt Ausflüge. Eine Besonderheit: "Partnerinnen oder Partner sind willkommen", so Gillner. Angehörige seien immer mit betroffen, die Beziehung oft durch die chronische Krankheit des Partners/der Partnerin eingeschränkt.
Auch Angehörige von Morbus-Crohn-Erkrankten, wie die Mutter von Sarah, seien herzlich willkommen. Auch wenn ihre Tochter nicht dabei sein kann. Nach vielen Rückschlägen, Operationen, schlecht heilenden Wunden und weil die Pflege nicht zu stemmen war, ist sie mittlerweile rund 400 Kilometer entfernt in einem Pflegeheim für junge pflegebedürftige Menschen untergebracht. Dass es so weit weg ist, liege daran, dass es kaum derlei Einrichtungen für junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren gibt. So oft wie möglich fährt die Mutter zu ihrer Tochter, hält ansonsten telefonisch den Kontakt. "Diesmal sind wir voller Hoffnung, dass ein so stabiler Zustand erreicht wird, dass sie auch wieder heimatnah versorgt werden kann." Denn die Betreuung stellt sie immer wieder vor die Zerreißprobe.
Sie würde sich deshalb auch einen anderen Umgang mit Menschen mit komplexen Krankheiten wünschen. "Wenn du einen Herzinfarkt hast, dann ist alles geregelt: Die Notfall-Behandlung im Krankenhaus, die Nachsorge zu Hause, die Folge-Reha", zählt sie auf. "Was aber, wenn du kein Standardpatient bist?" Hier müsse sich ihrer Meinung nach etwas verändern: Es müssten mehr Gespräche geführt, für eine bessere Aufklärung gesorgt und akribischer gearbeitet werden, fordert sie. Sie möchte gern mehr Diskussion anstoßen, um die Situation zu verbessern. Außerdem rät sie allen Betroffenen und ihren Angehörigen, sich parallel bei Erstdiagnose um professionelle psychologische Unterstützung zu kümmern.
Austausch in der Selbsthilfe-Gruppe kann ein guter Anfang sein
Ein Austausch in der Selbsthilfe-Gruppe kann schon einmal ein Anfang sein, meint auch Barbara Gillner. Auch für Angehörige, die teilweise über ihre Kräfte hinaus für ihre betroffenen Familienmitglieder da sind, so wie die Mutter von Sarah. Was diese täglich antreibt: "Mein Respekt für meine Tochter und ihre Hoffnung, ihr Leben wieder so führen und fühlen zu können, wie sie es sich vor der Diagnose vorstellte. Sie ist die stärkste Kämpferin, die ich kenne."