RIENECK
Jetzt darf an Kriegsverbrechen erinnert werden

Nach zweimaliger Ablehnung hat der Stadtrat von Rieneck (Lkr. Main-Spessart) am Montagabend die Aufstellung der umstrittenen Gedenktafel zur Erinnerung an ein Kriegsverbrechen am 29. März 1945 im 2000-Einwohner-Ort beschlossen. Wohl die Mehrheit der Ratsmitglieder entschied sich weniger aus Überzeugung, sondern damit „Frieden im Ort“ einkehren könne, wie einige Redner äußerten. „Was wir wollen, ist ganz einfach unsere Ruhe“, sagte stellvertretender Bürgermeister Hubert Nickel.
Leicht machte es sich der Stadtrat nicht. Vor etwa 50 Zuhörern, so vielen wie nie – zum Schluss kam noch der Landtagsabgeordnete und vormalige Würzburger Oberbürgermeister Georg Rosenthal nach der Würzburger Anti-Pegida-Demo dazu –, diskutierten die Stadträte knapp eine Stunde im überfüllten Sitzungssaal. Ein Gutteil der Zuhörer war allerdings wegen anderer Tagesordnungspunkte gekommen. Beschlossen wurde schließlich ein Kompromissvorschlag von Gertrud Herrmann (Fraktion „Allianz für Rieneck“): Die Gedenktafel wird aufgestellt (zwölf gegen eine Stimme); der Gedenkort wird nicht direkt an der Straße des Tatorts sein, sondern etwa 50 Meter entfernt im Wald an einem noch anzulegenden Fußweg zum Rienecker Friedwald (gegen zwei Stimmen); den Text soll die Stadtverwaltung zusammen mit dem Kreisheimatpfleger und der Antragstellerin und Stifterin Elfriede Krutsch formulieren (gegen zwei Stimmen).
Ratsmitglied Josef Walter (Bürger-Forum) hatte auf der bisherigen Ablehnung beharrt: „Die Mehrheit hat entschieden. Das ist doch demokratisch!“ Der Antragstellerin unterstellte er eine Profilneurose. Keinesfalls dürfe die Erschießung von fünf sowjetischen Kriegsgefangenen vor 70 Jahren ohne Gerichtsverfahren auf Befehl des Würzburger SA-Chefs Hans Olpp durch fünf Rienecker Hitler-Jungen und zwei Soldaten als „Ermordung“ bezeichnet werden, sagte er unter Beifall etwa eines Drittels der Zuhörer.
Nötig geworden war die erneute Beratung im Stadtrat, da das Gremium voriges Jahr mit dem Beschluss zu einer nichtöffentlichen Sitzung gegen den Demokratie-Grundsatz der Öffentlichkeit verstoßen hatte. Das Landratsamt Main-Spessart hatte auf den Verstoß hingewiesen. Sechs Stadträte hatten daraufhin die erneute Beratung und Zustimmung zur Gedenktafel beantragt.
In den Diskussionsbeiträgen am Montagabend bestritten Stadträte, die Geschichte vertuschen zu wollen. Sie bezogen sich auf das Schwurgerichtsurteil von 1950 gegen Hans Olpp. Der war wegen Totschlags verurteilt und anschließend auch noch begnadigt worden, „ohne Mörder zu sein“, wie das Gericht damals urteilte. Folglich könne bei dem „schlimmen Geschehen“ von Mord und Nazi-Terror, wie es Elfriede Krutsch und diese Zeitung werten, keine Rede sein. Durch die einseitige Berichterstattung sei der Stadtrat skandalisiert worden.
Ein Zuhörer, dem der Stadtrat Rederecht einräumte, wandte sich direkt an die 65-jährige Antragstellerin Elfriede Krutsch: Die Angehörigen der (sämtlich verstorbenen) Täter hätten so viel mitgemacht wegen der „Jugendsünde“, da sollte Krutsch nach 70 Jahren zu der Einsicht gelangen, „den Rieneckern nicht auch noch eine Gedenktafel zuzumuten“. Er wünsche nicht, dass der 65-Jährigen das zustoße, was ihr Angehörige der Täter wünschen. Stadtrat Peter Elzenbeck (Allianz für Rieneck), der die Gedenktafel befürwortet, versuchte die Diskussion zu versachlichen: „Es geht nur um ein Täfelchen. Es soll an Unrecht – und es war unbestritten Unrecht – erinnern.“ Das sei die Aufgabe seiner Generation, denn, so Elzenbeck: „Wenn wir uns nicht erinnern, macht's keiner mehr.“ Es gehe nicht darum, warum wer die fünf Männer erschossen hat.
Der stellvertretende Bürgermeister Hubert Nickel (Allianz für Rieneck) formulierte letztlich die Mehrheitsmeinung: Wenn die Aufstellung der Gedenktafel für Ruhe sorge, solle man zustimmen: „Wir müssen endlich wieder aus den Negativschlagzeilen der Presse kommen.“ Allerdings dürften auf der Tafel nicht die Worte Nazi-Terror und Mord stehen. Elfriede Krutsch hat sich als Inschrift gewünscht: „Hier wurden fünf russische Männer durch Naziterror ermordet. Wir gedenken der Opfer.“
Bürgermeister Wolfgang Küber (Rienecker Junge Wähler-Union), der schon 2012 als einziger und auch voriges Jahr für die Tafel gestimmt hatte, enthielt sich einer Stellungnahme.
ONLINE-TIPP
„Fünf verdrängte Morde von Rieneck“ – Nachdenkliches und Bewegendes:
www.mainpost.de/online-tipp
Leicht machte es sich der Stadtrat nicht. Vor etwa 50 Zuhörern, so vielen wie nie – zum Schluss kam noch der Landtagsabgeordnete und vormalige Würzburger Oberbürgermeister Georg Rosenthal nach der Würzburger Anti-Pegida-Demo dazu –, diskutierten die Stadträte knapp eine Stunde im überfüllten Sitzungssaal. Ein Gutteil der Zuhörer war allerdings wegen anderer Tagesordnungspunkte gekommen. Beschlossen wurde schließlich ein Kompromissvorschlag von Gertrud Herrmann (Fraktion „Allianz für Rieneck“): Die Gedenktafel wird aufgestellt (zwölf gegen eine Stimme); der Gedenkort wird nicht direkt an der Straße des Tatorts sein, sondern etwa 50 Meter entfernt im Wald an einem noch anzulegenden Fußweg zum Rienecker Friedwald (gegen zwei Stimmen); den Text soll die Stadtverwaltung zusammen mit dem Kreisheimatpfleger und der Antragstellerin und Stifterin Elfriede Krutsch formulieren (gegen zwei Stimmen).
Ratsmitglied Josef Walter (Bürger-Forum) hatte auf der bisherigen Ablehnung beharrt: „Die Mehrheit hat entschieden. Das ist doch demokratisch!“ Der Antragstellerin unterstellte er eine Profilneurose. Keinesfalls dürfe die Erschießung von fünf sowjetischen Kriegsgefangenen vor 70 Jahren ohne Gerichtsverfahren auf Befehl des Würzburger SA-Chefs Hans Olpp durch fünf Rienecker Hitler-Jungen und zwei Soldaten als „Ermordung“ bezeichnet werden, sagte er unter Beifall etwa eines Drittels der Zuhörer.
Nötig geworden war die erneute Beratung im Stadtrat, da das Gremium voriges Jahr mit dem Beschluss zu einer nichtöffentlichen Sitzung gegen den Demokratie-Grundsatz der Öffentlichkeit verstoßen hatte. Das Landratsamt Main-Spessart hatte auf den Verstoß hingewiesen. Sechs Stadträte hatten daraufhin die erneute Beratung und Zustimmung zur Gedenktafel beantragt.
In den Diskussionsbeiträgen am Montagabend bestritten Stadträte, die Geschichte vertuschen zu wollen. Sie bezogen sich auf das Schwurgerichtsurteil von 1950 gegen Hans Olpp. Der war wegen Totschlags verurteilt und anschließend auch noch begnadigt worden, „ohne Mörder zu sein“, wie das Gericht damals urteilte. Folglich könne bei dem „schlimmen Geschehen“ von Mord und Nazi-Terror, wie es Elfriede Krutsch und diese Zeitung werten, keine Rede sein. Durch die einseitige Berichterstattung sei der Stadtrat skandalisiert worden.
Ein Zuhörer, dem der Stadtrat Rederecht einräumte, wandte sich direkt an die 65-jährige Antragstellerin Elfriede Krutsch: Die Angehörigen der (sämtlich verstorbenen) Täter hätten so viel mitgemacht wegen der „Jugendsünde“, da sollte Krutsch nach 70 Jahren zu der Einsicht gelangen, „den Rieneckern nicht auch noch eine Gedenktafel zuzumuten“. Er wünsche nicht, dass der 65-Jährigen das zustoße, was ihr Angehörige der Täter wünschen. Stadtrat Peter Elzenbeck (Allianz für Rieneck), der die Gedenktafel befürwortet, versuchte die Diskussion zu versachlichen: „Es geht nur um ein Täfelchen. Es soll an Unrecht – und es war unbestritten Unrecht – erinnern.“ Das sei die Aufgabe seiner Generation, denn, so Elzenbeck: „Wenn wir uns nicht erinnern, macht's keiner mehr.“ Es gehe nicht darum, warum wer die fünf Männer erschossen hat.
Der stellvertretende Bürgermeister Hubert Nickel (Allianz für Rieneck) formulierte letztlich die Mehrheitsmeinung: Wenn die Aufstellung der Gedenktafel für Ruhe sorge, solle man zustimmen: „Wir müssen endlich wieder aus den Negativschlagzeilen der Presse kommen.“ Allerdings dürften auf der Tafel nicht die Worte Nazi-Terror und Mord stehen. Elfriede Krutsch hat sich als Inschrift gewünscht: „Hier wurden fünf russische Männer durch Naziterror ermordet. Wir gedenken der Opfer.“
Bürgermeister Wolfgang Küber (Rienecker Junge Wähler-Union), der schon 2012 als einziger und auch voriges Jahr für die Tafel gestimmt hatte, enthielt sich einer Stellungnahme.
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„Fünf verdrängte Morde von Rieneck“ – Nachdenkliches und Bewegendes:
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Themen & Autoren / Autorinnen
Auf diese notwendigen Unterscheidungen kommt nur, wer sich der Erinnerung stellt. Der Weg zu einer Klarheit, die falsche Vorwürfe zur Ruhe kommen lässt, führt nur über Erinnerung. Genau die will Frau Krutsch anregen.
Erinnerung geht nur ganz. Sich nur an entlastende Umstände erinnern wollen und die Schande ausblenden, geht nicht.
Eine Frau meint, der Öffentlichkeit einen Dienst zu erweisen, übersieht aber, welche Wunden sie in Rieneck wieder aufreißt.
Diese fünf Hitlerjungen haben nach dem Krieg, als sie die Gräueltaten der Kriegszeit im Nachhinein erkannten, zu denen man sie gezwungen hat, genug gelitten!
Man sollte nach 70 Jahren nicht wieder bei "Null" anfangen. Davon wird kein Russe wieder lebendig!
Christoph Lichtenberg, dt. Physiker und Schriftsteller, 1742 - 1799
Die Rienecker Bürger und der Stadtrat sollten die Aufstellung der Gedenktafel zum Anlass nehmen, über die eigene Gedenkkultur zu reflektieren.
Ich gebe nur kurz folgendes zu bedenken.
Wenn einer des Exekutionskommandos den Befehl verweigert hätte zu schießen, wäre die Konsequenz gewesen wegen Befehlsverweigerung selbst erschossen zu werden.
Ich möchte gar nicht wissen, wie wir uns in diesem Gewissenskonflikt entschieden hätten!
Soll man doch die Tafel aufstellen. Das ist halt Zeitgeschichte, auch wenn sie manchen nicht paßt!
Es geht hier um die Erinnerung an ermordete Menschen (tatsächlich durch Naziterror Herr Nickel auch wenn sie das vertuschen wollen!), die Rückgabe ihrer Menschenwürde und damit verbunden die Mahnung, es nie wieder soweit kommen zu lassen!
Sie sollten sich (@simonhard) mal den Standpunkt von Redakteur Michael Fillies in Ruhe zu Gemüte führen, dann merken sie wahrscheinlich selbst, das eine Gewissensentscheidung zum damaligen Exekutionsbefehl hier überhaupt nicht thematisiert wurde, da keine Personen direkt benannt sind.
MfG
Deswegen finde ich die Tafel vollkommen richtig, und ich finde es schade, dass offensichtlich so viele Menschen ein Problem damit haben. Ich verstehe auch nicht, warum.
Dies hat zwar das Leben der russischen Kriegsgefangenen nicht gerettet, zeigt aber, dass es möglich war, sich diesem Mordbefehl auch in Rieneck zu verweigern.
Dass ein Vater seinen Sohn davor bewahrt haben soll zu schießen, davon steht in den Akten zum Gerichtsverfahren gegen Befehlgeber Olpp nichts. Auch sonst habe ich das noch nicht gehört. Im Gegenteil musste sogar der Sohn des Ortsgruppenleiters schießen, welcher Junge nach unseren Erkenntnissen gesagt haben soll, dass er doch niemanden töten könne. Es soll aber wenigstens einer der Hitlerjungen daneben geschossen haben. Angeblich hätten Eltern ihre Söhne auch schnell weggezogen, als sie gesehen haben, wohin der Hase läuft.
Zu bedenken gilt es noch, dass auch zwei verwundete Soldaten aus dem Rienecker Lazarett freiwillig geschossen haben.
B. Kohlhepp
Redaktion Gemünden
Und, falls Sie es nicht wissen - man sagt auch nicht mehr "umgekommen", das hat man nach dem Krieg so unreflektiert verwendet.
Dann nehmt eben das Wort "Nationalsozialismus".
Die Formulierung lautet "sollen ... auf bedauerliche Weise umgekommen sein". Das kann auch bedeuten, dass das "Umkommen" zwar feststeht, nicht aber, ob die "Weise" wirklich "bedauerlich" war.
Ich wiederum bedaure zwar die Haarspalterei, aber ich finde judy4's Beitrag gut. Zu hoffen bleibt, dass das Rienecker Beispiel keine Schule macht - zähneknirschendes Angedenken an willkürliche Terrormorde, nur um aus den Schlagzeilen zu kommen, aber insgeheim der Meinung, "den fünf Russen sei Recht geschehen", oder wie? Pfui Deibel...
Seien wir froh, dass diese Zeiten vorbei sind und tun wir alles dafür, dass sie nie wiederkehren.
Es geht nicht darum, damals Halbwüchsige im Nachhinein an den Pranger zu stellen, es geht schlicht um die Erinnerung an Menschen, die man ohne Grund widerrechtlich erschossen hat und sie anschliessend wie Vieh im Dreck verbuddeld hat. Wer heute noch zu diesem Entschluß steht, vertritt ein verbrecherisches Menschenbild, Und wer es heute dafür verantwortlich ist, daß Schmähschriften im öffentlichen Raum nicht entfernt werden, gehört leider genau zu jenen Ewig-Gestrigen.
Die Rienecker sollten sich endlich der Vergangenheit stellen, anstatt die mit geschmeidigenden und nichtssagenden Formuliereungen zu jonglieren. Der halbherzigen Entschluß, die Tafel an einer möglichst unsichtbaren Stelle zu befestigen, ist feige und bringt die Russen quasi noch ein zweites mal mental um. Pfui!.
Würde wahrscheinlich genau dem Wunsch der Gegner entsprechen - bloß kein Klartext, bitte schön weiter verschleiern.