zurück
Billingshausen
Handwerk in MSP: Warum nicht alle Betriebe von der guten Auftragslage profitieren
Handwerker sind stark nachgefragt – warum das nur teilweise stimmt und warum Klimaschutz nicht ohne sie geht, berichtet Walter Heußlein, Ex-Präsident der Handwerkskammer.
Walter Heußlein aus Billingshausen am Schreibtisch in der Familien-Schreinerei. 2016 hat er die Präsidentschaft der Handwerkskammer übernommen, Ende Januar hat er an seinen Nachfolger Michael Bissert übergeben.
Foto: Katrin Amling | Walter Heußlein aus Billingshausen am Schreibtisch in der Familien-Schreinerei. 2016 hat er die Präsidentschaft der Handwerkskammer übernommen, Ende Januar hat er an seinen Nachfolger Michael Bissert übergeben.
Katrin Amling
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:57 Uhr

Seit 2016 war Walter Heußlein Präsident der Handwerkskammer Unterfranken, Ende Januar hat der Billingshäuser das Ehrenamt an Michael Bissert aus Iphofen übergeben. Die Schreinerei in Billingshausen führt inzwischen Heußleins Sohn Thomas, der Seniorchef ist aber immer noch für Stammkunden und "besondere" Einsätze an Bord. Im Gespräch erzählt er von einschneidenden Erlebnissen in seiner Präsidentschaft, warum er beim Nachwuchsproblem im Handwerk eine leichte Kehrtwende sieht und was er an der Politik des Landkreises kritisiert.

Frage: Was bleibt Ihnen aus ihrer Zeit bei der Handwerkskammer in Erinnerung?

Walter Heußlein: In meiner Amtszeit waren zwei Dinge einschneidend, einmal die Banken-Krise und die daraus folgende Weltwirtschaftskrise, die habe ich als Vize-Präsident der Handwerkskammer erlebt. Das ist natürlich auch nicht schadlos an unseren Betrieben vorbeigegangen in Unterfranken. Das hat sich natürlich auf die Auftragslage ausgewirkt, niemand hat zu dieser Zeit investiert. Das hat auch den kleinsten Betrieb getroffen. Und das andere ist Corona – das hätte ich nicht gebraucht.

Heute ist die Auftragslage ja trotz Corona zum Glück eine andere als zur Wirtschaftskrise, die Auftragsbücher sind voll, hört man immer wieder. Oder stimmt das nur auf den ersten Blick?

Heußlein: Ja, das ist das, was man oberflächlich hört. Ein Präsident der Handwerkskammer ist ja der Ansprechpartner für viele Betriebe. Circa 50 Prozent der Betriebe haben wenig Sorgen, bei manchen geht es sogar sehr gut. Aber es gibt auch die anderen 50 Prozent, die große Probleme haben. Da war für mich immer ganz wichtig, auch wenn nur einer betroffen ist, müssen wir den wahrnehmen. Wir haben ja im Handwerk auch die Gesundheitsberufe, Friseure, Kosmetiker, die schließen mussten, dann haben wir Betriebe im Messebau. Die haben absolut keine Aufträge. Auch im Kfz-Bereich haben wir sehr viele Zulieferbetriebe für die Autoindustrie, und durch Schließungen und Kurzarbeit gab es erstmal keine Aufträge.

Welchen Branchen innerhalb des Handwerks geht es denn gut?

Heußlein: Viele Menschen konnten nicht mehr in den Urlaub fahren und haben sich statt der Fernreise etwas für ihre Wohnung geleistet. Gerade wir im Innenausbaubereich haben richtig profitiert. Energetische Sanierungen, Elektro, Maler – die haben richtig von Sanierungen und Wärmedämmungen profitiert und konnten die Auftragsflut fast nicht abdecken, da gibt es heute noch lange Wartezeiten.

Walter Heußlein aus Billingshausen war sechs Jahre lang Präsident der Handwerkskammer Unterfranken.
Foto: Anand Anders | Walter Heußlein aus Billingshausen war sechs Jahre lang Präsident der Handwerkskammer Unterfranken.
Da herrscht ja oft Unverständnis bei den Kunden, wenn sie auf einen Handwerker-Termin sehr lang warten müssen.

Heußlein: Ja, aber auch vor Corona gab es zum Beispiel Wartezeiten für ein neues Auto von einem halben Jahr. Wenn es aber beim Handwerker mal länger gedauert hat, gab es nicht ganz so viel Verständnis. Das hat sich mittlerweile durchaus geändert. Da gab es ja auch Zulieferprobleme, diese Rohstoffverknappung, die gerade im letzten Jahr für große Unruhe bei den Betrieben gesorgt hat. Aber hier hat sich auch bewahrheitet: Wenn man mit seinen Zulieferern einen guten Kontakt gepflegt hat, hat man auch in Krisenzeiten Material bekommen.

Geradesteigen die Preise in fast allen Bereichen. Müssen sich die Kunden auch im Handwerk auf weiter steigende Preise einstellen?

Heußlein: Wir sind abhängig von den globalen Entwicklungen. Die Corona-Krise wurde genutzt, um durch die Verknappung der Rohstoffe Preiserhöhungen durchzusetzen. Ich denke aber, das wird sich wieder ein Stück weit harmonisieren in der nächsten Zeit.

"Die Studienabbrecher-Zahl ist enorm hoch und da sieht man doch, dass irgendwas nicht passt."
Walter Heußlein, ehemaliger Präsident der Handwerkskammer Unterfranken
Was hat sich in den 30 Jahren, die Sie bei der Handwerkskammer waren, so getan?

Heußlein: In meiner Amtszeit war mir die Zukunftsausrichtung für das Handwerk überaus wichtig, dazu zählen vor allem die Digitalisierung und Technisierung. CNC-Maschinen oder CAD-Software sind heute in einer Schreinerei Standard, ohne die könnten wir nicht mehr arbeiten, wir wären nicht mehr bezahlbar. Aber wir sind kein Versandhandel, bei uns gehört der Kundenkontakt zum Tagesgeschäft. Ohne die Menschen geht es im Handwerk nicht. Das ist auch ein Unterschied zur industriellen Fertigung. Der Mensch spielt im Handwerk eine tragende Rolle.

Das Nachwuchsproblem beschäftigt das Handwerk schon sehr lange. Sehen Sie bei dem Thema eine Kehrtwende oder wird es sich weiter verschärfen?

Heußlein: Wir haben eigentlich das Gefühl, dass sich junge Menschen wieder stärker für das Handwerk interessieren. Allerdings fand durch Corona so gut wie keine Berufsorientierung statt, die ganzen Betriebspraktika sind ausgefallen. Und durch die Talsohle der geburtenschwachen Jahrgänge sind wir auch noch nicht durch. Der demografische Wandel ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft, für jeden Einzelnen, aber auch für unsere Handwerksbetriebe in der Region.

Die Einschränkungen durch Corona werden hoffentlich bald nachlassen. Aber was kann oder muss man noch gegen den Nachwuchsmangel tun?

Heußlein: Das Handwerk muss zeigen, wie attraktiv wir eigentlich sind. Viele werden erstaunt sein, wie hoch die Technisierung, Digitalisierung und der Einsatz von Robotik im Handwerk schon fortgeschritten sind. Wie kreativ man seinen Arbeitsalltag gestalten kann. Jeder junge Mensch sollte vier Praktika machen: Im sozialen Bereich, in der Industrie, im Kaufmännischen und im Handwerk. Und dann sollte er entscheiden, was ihn interessiert. Die Studienabbrecher-Zahl ist enorm hoch und da sieht man doch, dass irgendwas nicht passt.

"Wir sprechen immer nur von den Global Player der Industrie. Wir müssen aber auch auf die kleinen Firmen schauen."
Walter Heußlein über die Attraktivität des Landkreis Main-Spessart
Für wie attraktiv halten Sie den Landkreis Main-Spessart in Bezug auf das Handwerk?

Heußlein: Mir ist wichtig, dass wir in Main-Spessart unseren regionalen Kreislauf besser fördern. Wir sind ja sehr ländlich geprägt, das hat auch Vorteile. Wohnen und Arbeiten stehen hier in einem guten Verhältnis. Wenn ich hier meine Einkäufe erledigen kann, arbeiten und mir ein Haus leisten kann, ist das meines Erachtens ein unschätzbarer Vorteil. Wir haben einen hohen Freizeitwert, eine wunderschöne Region – eigentlich müsste man nicht in die Ferne schweifen. Wir brauchen aber einen guten ÖPNV, attraktive Schulen, gute ärztliche Versorgung und attraktive Betriebe. Und wir konzentrieren uns viel zu häufig auf die Kernstädte des Landkreises. Auch drumherum gibt es vielversprechende Orte.

Sehen Sie den Landkreis auf einem guten Weg, seine Vorzüge zu zeigen?

Heußlein: Ich sehe, dass es da durchaus noch Entwicklungspotenzial gibt. Wir sprechen immer nur von den Global Player der Industrie. Wir müssen aber auch auf die kleinen Firmen schauen und brauchen eine gesunde Mischung. Wenn man zu stark auf eine Monokultur baut, ist man für wirtschaftliche Schwankungen extrem anfällig. Mittlere und kleine Betriebe halten ihre Mitarbeiter viel länger, wenn es mal wirtschaftliche Probleme gibt. Wir brauchen aber natürlich auch die großen Betriebe.

Ein Thema, das das Handwerk in Zukunft stark beschäftigen wird – was würden Sie da nennen?

Heußlein: Die Klimaziele umzusetzen. Wer wird denn die ganzen Sanierungen umsetzen, wenn wir da nicht die Arbeit unserer Handwerker nutzen. Unverzichtbar wird der Einsatz erneuerbarer Energien auf Werkstatt-Dachflächen von Handwerksbetrieben sein, das ist als clevere Zukunftsinvestition die perfekte Lösung für viele.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Billingshausen
Katrin Amling
Betriebspraktika
Covid-19-Pandemie
Handwerker
Handwerkskammern
Schreinereien
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top