Seit 2016 war Walter Heußlein Präsident der Handwerkskammer Unterfranken, Ende Januar hat der Billingshäuser das Ehrenamt an Michael Bissert aus Iphofen übergeben. Die Schreinerei in Billingshausen führt inzwischen Heußleins Sohn Thomas, der Seniorchef ist aber immer noch für Stammkunden und "besondere" Einsätze an Bord. Im Gespräch erzählt er von einschneidenden Erlebnissen in seiner Präsidentschaft, warum er beim Nachwuchsproblem im Handwerk eine leichte Kehrtwende sieht und was er an der Politik des Landkreises kritisiert.
Walter Heußlein: In meiner Amtszeit waren zwei Dinge einschneidend, einmal die Banken-Krise und die daraus folgende Weltwirtschaftskrise, die habe ich als Vize-Präsident der Handwerkskammer erlebt. Das ist natürlich auch nicht schadlos an unseren Betrieben vorbeigegangen in Unterfranken. Das hat sich natürlich auf die Auftragslage ausgewirkt, niemand hat zu dieser Zeit investiert. Das hat auch den kleinsten Betrieb getroffen. Und das andere ist Corona – das hätte ich nicht gebraucht.
Heußlein: Ja, das ist das, was man oberflächlich hört. Ein Präsident der Handwerkskammer ist ja der Ansprechpartner für viele Betriebe. Circa 50 Prozent der Betriebe haben wenig Sorgen, bei manchen geht es sogar sehr gut. Aber es gibt auch die anderen 50 Prozent, die große Probleme haben. Da war für mich immer ganz wichtig, auch wenn nur einer betroffen ist, müssen wir den wahrnehmen. Wir haben ja im Handwerk auch die Gesundheitsberufe, Friseure, Kosmetiker, die schließen mussten, dann haben wir Betriebe im Messebau. Die haben absolut keine Aufträge. Auch im Kfz-Bereich haben wir sehr viele Zulieferbetriebe für die Autoindustrie, und durch Schließungen und Kurzarbeit gab es erstmal keine Aufträge.
Heußlein: Viele Menschen konnten nicht mehr in den Urlaub fahren und haben sich statt der Fernreise etwas für ihre Wohnung geleistet. Gerade wir im Innenausbaubereich haben richtig profitiert. Energetische Sanierungen, Elektro, Maler – die haben richtig von Sanierungen und Wärmedämmungen profitiert und konnten die Auftragsflut fast nicht abdecken, da gibt es heute noch lange Wartezeiten.
Heußlein: Ja, aber auch vor Corona gab es zum Beispiel Wartezeiten für ein neues Auto von einem halben Jahr. Wenn es aber beim Handwerker mal länger gedauert hat, gab es nicht ganz so viel Verständnis. Das hat sich mittlerweile durchaus geändert. Da gab es ja auch Zulieferprobleme, diese Rohstoffverknappung, die gerade im letzten Jahr für große Unruhe bei den Betrieben gesorgt hat. Aber hier hat sich auch bewahrheitet: Wenn man mit seinen Zulieferern einen guten Kontakt gepflegt hat, hat man auch in Krisenzeiten Material bekommen.
Heußlein: Wir sind abhängig von den globalen Entwicklungen. Die Corona-Krise wurde genutzt, um durch die Verknappung der Rohstoffe Preiserhöhungen durchzusetzen. Ich denke aber, das wird sich wieder ein Stück weit harmonisieren in der nächsten Zeit.
Heußlein: In meiner Amtszeit war mir die Zukunftsausrichtung für das Handwerk überaus wichtig, dazu zählen vor allem die Digitalisierung und Technisierung. CNC-Maschinen oder CAD-Software sind heute in einer Schreinerei Standard, ohne die könnten wir nicht mehr arbeiten, wir wären nicht mehr bezahlbar. Aber wir sind kein Versandhandel, bei uns gehört der Kundenkontakt zum Tagesgeschäft. Ohne die Menschen geht es im Handwerk nicht. Das ist auch ein Unterschied zur industriellen Fertigung. Der Mensch spielt im Handwerk eine tragende Rolle.
Heußlein: Wir haben eigentlich das Gefühl, dass sich junge Menschen wieder stärker für das Handwerk interessieren. Allerdings fand durch Corona so gut wie keine Berufsorientierung statt, die ganzen Betriebspraktika sind ausgefallen. Und durch die Talsohle der geburtenschwachen Jahrgänge sind wir auch noch nicht durch. Der demografische Wandel ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft, für jeden Einzelnen, aber auch für unsere Handwerksbetriebe in der Region.
Heußlein: Das Handwerk muss zeigen, wie attraktiv wir eigentlich sind. Viele werden erstaunt sein, wie hoch die Technisierung, Digitalisierung und der Einsatz von Robotik im Handwerk schon fortgeschritten sind. Wie kreativ man seinen Arbeitsalltag gestalten kann. Jeder junge Mensch sollte vier Praktika machen: Im sozialen Bereich, in der Industrie, im Kaufmännischen und im Handwerk. Und dann sollte er entscheiden, was ihn interessiert. Die Studienabbrecher-Zahl ist enorm hoch und da sieht man doch, dass irgendwas nicht passt.
Heußlein: Mir ist wichtig, dass wir in Main-Spessart unseren regionalen Kreislauf besser fördern. Wir sind ja sehr ländlich geprägt, das hat auch Vorteile. Wohnen und Arbeiten stehen hier in einem guten Verhältnis. Wenn ich hier meine Einkäufe erledigen kann, arbeiten und mir ein Haus leisten kann, ist das meines Erachtens ein unschätzbarer Vorteil. Wir haben einen hohen Freizeitwert, eine wunderschöne Region – eigentlich müsste man nicht in die Ferne schweifen. Wir brauchen aber einen guten ÖPNV, attraktive Schulen, gute ärztliche Versorgung und attraktive Betriebe. Und wir konzentrieren uns viel zu häufig auf die Kernstädte des Landkreises. Auch drumherum gibt es vielversprechende Orte.
Heußlein: Ich sehe, dass es da durchaus noch Entwicklungspotenzial gibt. Wir sprechen immer nur von den Global Player der Industrie. Wir müssen aber auch auf die kleinen Firmen schauen und brauchen eine gesunde Mischung. Wenn man zu stark auf eine Monokultur baut, ist man für wirtschaftliche Schwankungen extrem anfällig. Mittlere und kleine Betriebe halten ihre Mitarbeiter viel länger, wenn es mal wirtschaftliche Probleme gibt. Wir brauchen aber natürlich auch die großen Betriebe.
Heußlein: Die Klimaziele umzusetzen. Wer wird denn die ganzen Sanierungen umsetzen, wenn wir da nicht die Arbeit unserer Handwerker nutzen. Unverzichtbar wird der Einsatz erneuerbarer Energien auf Werkstatt-Dachflächen von Handwerksbetrieben sein, das ist als clevere Zukunftsinvestition die perfekte Lösung für viele.