Was ist denn das? Ein neues Hipster-Bier aus einem Berliner Szeneviertel? "Grüner Anarchist" steht auf den Etiketten der auffälligen Bierflaschen im Wiesenfelder Dorfladen, dazu "Hula King Pils" oder "Heimatschluck Hell". Wenn man genauer hinschaut, steht was von Heßdorf drauf. Heßdorf? Tatsächlich, nach einem Vierteljahrhundert bei Rexroth in Lohr hat sich der Heßdorfer Michael Schneider jetzt als Bierbrauer selbstständig gemacht, und "Grüner Anarchist" heißt seine Marke. Die Flaschen schreien regelrecht nach Aufmerksamkeit. Das sollen sie auch, sagt Schneider. Den Inhalt würde man wohl als "Craft-Biere" bezeichnen.
Schneider habe schon gemerkt, dass seine Biere und der Name "Grüner Anarchist" etwas erklärungsbedürftig sind, sagt er, der nicht wie ein Anarchist wirkt. Auf Märkten, bei denen der 49-Jährige einen Stand hatte, habe er denn auch erklären müssen, dass "Grüner Anarchist" kein politischer Standpunkt sein soll. Der Name solle etwas provokant sein, räumt er ein, und solle einerseits für regionale und Bio-Rohstoffe stehen, andererseits für Kreativität abseits billig produzierter Massenware, die heute oft mit Zuckerzusätzen, Konzentraten und chemischen Filterstoffen hergestellt würde. Er möchte "traditionelle Bierstile neu interpretieren", so drückt er es aus. Und ja, er halte sich an das Reinheitsgebot, was auch groß auf den Flaschen steht. Schneider ist Mitglied im Verein "Deutsche Kreativbrauer".
Punk-Schneewittchen auf der Bierflasche
Das Besondere an seinen Bieren komme unter anderem durch besonderen Hopfen. Der verleiht etwa dem Pils eine leichte Fruchtnote, die an exotische Früchte wie Ananas oder Papaya erinnert. Deshalb mit "Hula" auch der Bezug zu Hawaii, erklärt der Brauer. Die junge Punkerin auf dem "Heimatschluck Hell" ist übrigens eine moderne Interpretation von Schneewittchen, gezeichnet hat sie der Wiesenfelder Grafiker Wolfgang Müller.
Vor zwei Jahren hat sich Schneider selbstständig gemacht, zunächst nur im Nebenerwerb. Dieses Jahr hängte der gebürtige Höllricher seinen Job beim Rexroth an den Nagel und ging volles Risiko. Beides zusammen, Industriejob und Brauerei, wäre auf Dauer schwierig geworden. Schneider ist gelernter Brauer, seine Ausbildung machte er damals bei der Würzburger Hofbräu. Nach zwei Jahren als Brauer und Mälzer heuerte er jedoch bei dem Maschinenbauer an. "Losgelassen hat mich das Ganze nie", sagt er. Aber die ganzen Jahre braute er nur hin und wieder eine kleine Menge für den eigenen Durst. Kurz nach der Jahrtausendwende hatte er für ein paar Jahre nebenbei einen Spezialitätenhandel für Biere aus Bamberg, die er sehr schätze. Vor zwei Jahren dann "hat's mich wieder total angefixt", erzählt er. "Die kreative Arbeit ist der eigentliche Antrieb."
Er entschloss sich zu testen, wie eigene Biere bei anderen ankommen. Aber wie sollte das gehen, ohne eigene Brauanlage? Er fand eine Brauerei in Breitengüßbach (Lkr. Bamberg), wo sich Wanderbrauer wie er einmieten können. Im April 2020 war der erste Termin. Kurz davor ging es mit Corona richtig los. Das Ergebnis war, dass er auf einem Teil seines Biers sitzenblieb. "Es war ein recht holpriger Anfang", blickt er zurück. Aber er ließ es sich nicht verdrießen und machte weiter. Das Problem war jedoch, dass die Brauerei, wo er als Gast brauen durfte, keine Flaschenabfüllung hatte. Also schaute er sich weiter um und landete bei einer Brauerei in Hofheim (Lkr. Haßberge), die für ihn Lagerung, Abfüllung und die Lieferung nach Heßdorf übernimmt.
Wenn er nach Hofheim zum Brauen fährt, dann setzt er immer 30 Hektoliter an, also 3000 Liter. Um den bestmöglichen Zeitpunkt zum Abfüllen zu erwischen, fährt er abermals eine Stunde hin. Dann lässt er etwas Bier aus dem Tank, um zu probieren, ob die Zeit schon reif ist. Neben besonderem Hopfen komme der Geschmack seines Biers durch eine lange Lagerung, fünf bis sechs Wochen gebe er ihm Zeit. Da das Bier unfiltriert ist, muss es nach der Abfüllung gekühlt werden. In einer Halle in Heßdorf neben der Firma Heid Abdichtungen, in der zuvor Autos gewaschen wurden, steht eine eigens angeschaffte Kühlanlage. Die länger leerstehende Halle musste aufwändig gereinigt werden, erzählt Schneiders Frau Christine. Wenn die Erlaubnis vom Landratsamt kommt, wollen sie künftig dort auch Bier verkaufen und Bierverkostungen machen. Unterstützt wird er von seiner Frau, seinem Sohn und den Töchtern.
Aber Schneider hat weiterhin ein großes Problem: zu wenig Leergut. Der Rücklauf bei seinen Flaschen liege bei nur 50 Prozent. Weil ihn ein Leergutkasten zwölf Euro koste, habe er sich schon vom deutschen Pfandsystem entkoppelt und verlange zehn Euro Pfand. Die speziellen Flaschen, die Schneider verwendet, machen zwar was her, aber sie sind schwerer zu bekommen und teurer als normale Bierflaschen. Er habe sie sich jedoch nicht ausgesucht, sondern die Abfüllanlage der Brauerei sei nur für diese Flaschen ausgelegt.
Seine Biere verkauft er direkt ab Hof Am Riegel 3, es gibt sie aber auch schon in diversen Dorfläden, etwa in Wiesenfeld und Schaippach. "Das Sortiment soll sich stetig erweitern", kündigt Schneider an. Eine neue Sorte kommt schon bald: das "Latin Lager". Der Brauer möchte sich auch eine kleine Brauanlage für 200 Liter zu Hause hinstellen, ein paar Mal im Jahr saisonal brauen und dann direkt verkaufen. Als zweites Standbein macht er gerade eine Fortbildung zum Biersommelier.
Am 21. Januar wird es ab 13 Uhr eine Verkostung der neuen Biersorte "Latin Lager" im "Schelch" am Gemündener Marktplatz geben. Auch ein Kastenverkauf ist vorgesehen.