Weil sich das jugendliche Gehirn noch in der Entwicklung befindet, kann der Konsum von Drogen bei jungen Menschen deutlich schwerwiegendere Folgen haben als bei Erwachsenen.
Dies wurde bei einer vom Landratsamt Main-Spessart zusammen mit dem Bezirkskrankenhaus Lohr veranstalteten Fachtagung am Freitagnachmittag im mit rund 120 Teilnehmern besetzten Festsaal des Bezirkskrankenhauses deutlich. Vertreten waren neben Wissenschaft und Klinik unter anderem Schulen, Kindergärten, offene Jugendarbeit, Selbsthilfe, Beratungsstellen, Politik und Polizei. Moderatorin war Brigitte Then vom Gesundheitsamt Main-Spessart.
Im Mittelpunkt der vierstündigen Veranstaltung standen Fragen nach der Art der Substanzen, die Jugendliche heute konsumieren, welche Auswirkungen ein solcher Konsum möglicherweise nach sich zieht und wie man riskantem Konsum entgegenwirken kann. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf den am meisten konsumierten Drogen Alkohol und Cannabis.
In Deutschland wird mehr Alkohol getrunken als in Russland
Das Thema Sucht beschäftige das Bezirkskrankenhaus Lohr "schon lange und intensiv", sagte dessen ärztlicher Direktor und Chefarzt, Dominikus Bönsch. Dies hänge unter anderem damit zusammen, dass wir in einer Gesellschaft lebten, in der Sucht sozusagen zum guten Ton gehöre. In Deutschland liege der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an alkoholischen Getränken bei 131 Litern im Jahr, was deutlich mehr sei als beispielsweise in Russland.
Als "ganz dramatisches Problem", das weitgehend totgeschwiegen werde,bezeichnete Bönsch die Spielsucht. Die beiden Suchtstationen am Bezirkskrankenhaus platzen seinen Worten zufolge "aus allen Nähten".
2500 Jugendliche landen pro Jahr wegen Alkoholvergiftung im Krankenhaus
Jörg Wolstein von der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen in München wertete es als gutes Zeichen, dass es immer mehr Jugendliche gebe, die bis zu ihrem 18. Lebensjahr noch nicht betrunken waren; zudem sei der Konsum sowohl bei Jungs als auch bei Mädchen über die Jahre weniger geworden. Allerdings liege man in Bayern mit über 2500 Jugendlichen im Jahr, die aufgrund einer Alkoholvergiftung in einem Krankenhaus stationär behandelt werden müssen, noch auf einem hohen Niveau.
Bei Cannabisvergiftungen liege man mit rund 200 zwar deutlich niedriger, so Wolstein, "aber die potenziellen Schädigungen durch Cannabis scheinen höher zu sein".
Schüchternheit durch Drogen kompensieren
Laut Wolstein setzen Jugendliche Drogen ein, um bestimmte Effekte zu erzielen, beispielsweise weniger schüchtern zu sein. Da sich das Gehirn in der Zeit zwischen später Kindheit und Erwachsen werden massiv umbaue, sich immer mehr vernetze, könne Drogenkonsum deutlich negative Auswirkungen haben. Genetische Ursachen für Alkoholismus seien eher nicht existent, sagte er mit Blick auf entsprechende Studien.
Wichtig sei, Jugendlichen klar zu machen, dass sie Probleme anders bewältigen könnten als mit Alkohol oder anderen Drogen. Im Rahmen des Hart-am-Limit-Projekts habe man in den vergangenen zwölf Jahren über 10 000 Einzelgespräche mit Jugendlichen geführt.
Cannabiskonsum erhöht das Risiko einer Angststörung, einer Psychose oder einer Depression
Für Menschen mit einem ausgereiften Gehirn werde der Konsum von Cannabis heute gemeinhin als nicht so gravierend angesehen, sagte Tim Pfeiffer-Gerschel, Geschäftsführer der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Allerdings führe ein früher Einstieg sowie regelmäßiger und hochdosierter Konsum mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erhöhten Risiken, sowohl im organischen als auch psychischen Bereich. Unter anderem erhöhe Cannabiskonsum das Risiko eine Angststörung, eine Psychose oder Depression zu bekommen und könne suizidale Neigungen verstärken.
Studien gehen laut Pfeiffer-Gerschel davon aus, dass neun Prozent aller Cannabiskonsumenten eine Abhängigkeit entwickeln. Wenn der Konsum in der Jugend beginne, steige die Rate auf 17 Prozent und wenn Cannabis täglich konsumiert werde auf 25 bis 50 Prozent.
Wirkstoffgehalt von Cannabis in den letzten zehn Jahren verdoppelt
Seinen Worten nach gibt es hierzulande eine relativ niedrige Zahl an Jugendlichen mit intensivem Cannabiskonsum, die dadurch auch ein Problem hätten. Als problematisch wertete Pfeiffer-Gerschel, dass sich der Wirkstoffgehalt von Cannabis in den letzten zehn Jahren verdoppelt habe, während der Preis nur um 20 Prozent gestiegen sei. Prävention sei nur durch das Zusammenspiel verschiedener Bereiche möglich.
Zum Abschluss der Veranstaltung gab es eine kurze Podiumsdiskussion. Daran waren neben Bönsch, Wolstein und Pfeiffer-Gerschel noch folgende Personen beteiligt: Ottmar Braunwarth von der Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder des Landkreises Main-Spessart, Oliver Schneider von der Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten, Silvia Klee (Jugendbeauftragte der Gemeinde Kreuzwertheim), Petra Meißner (Leiterin der staatlichen Schulberatungsstelle für Unterfranken), Wolfgang Remelka (Leiter der Polizeiinspektion Lohr), Kreisjugendpflegerin Andrea Schön sowie Brigitte Then vom Gesundheitsamt Main-Spessart.