Scheinwerfer leuchten noch keine. Stattdessen knallt die heiße Sonne auf die Bühne der Scherenburg. Mit ihren aufgeschlagenen Textbüchern sitzen Mathias Weis, Petra Zakrzewski und Lisa Rubenbauer an diesem Juniabend dort oben in Gemünden und sprechen den Dialog der Szene durch, die sie heute proben wollen. Noch ist es eine Trockenübung. Doch gleich müssen sie die Zeilen aus dem Gedächtnis vortragen und den Worten dabei Leben einhauchen. So verbringen die Scherenbürger derzeit viele Abende. Täglich proben sie in unterschiedlichen Konstellationen für "Der Raub der Sabinerinnen" von Frank und Paul von Schonthan. Für den Fall, dass jemand kurzfristig ausfällt, gibt es gleich zwei Besetzungen für die Komödie.
Später Probenstart für Scherenbürger
Der Intendant der Scherenburgfestspiele, Peter Cahn, leitet die Hobby-Schaupieler an. "Der Raub der Sabinerinnen" soll am kommenden Freitag in Gemünden Premiere feiern und ist eines von zwei Stücken, bei denen Cahn dieses Jahr Regie führt. Lange konnten die Scherenbürger wegen der Pandemie nicht dafür proben, berichtet er. Erst seit Ende Mai ist das Amateur-Theatergruppen wieder erlaubt. Deshalb müssen er und seine Darsteller bis zum Start der Festspiele in kurzer Zeit viel nachholen. "Das ist für alle Beteiligten eine ganz schöne Herausforderung", so Cahn.
Petra Zakrzewski erhält vor Beginn der Szene vom Regisseur noch einen kleinen Tipp für ihre Rolle: "Sie ist jetzt ganz verliebt in ihren Mann. So als ob sie sofort mit ihm ins Bett will." Dann begeben sich die Schauspieler auf ihre Positionen. Mathias Weis hält einen Monolog als Gymnasiallehrer Martin Gollwitz: Viele Jahre habe er als angesehener Mann in Ruhe und Frieden gelebt. Nun befürchtet er, sich mit seiner theatralischen Jugendsünde zum Gespött der ganzen Stadt zu machen. Das Werk, für das er sich schämt, trägt den Titel "Raub der Sabinerinnen" – es ist sozusagen das Stück im Stück.
Unbeschwertheit fehlte zu Beginn der Proben
Der Lehrer ist aufgebracht, weil Emanuel Striese, der Direktor einer Wanderbühne, seine Römertragödie aufführen will. Für den Geschmack von Regisseur Peter Cahn ist er aber noch nicht aufgebracht genug. „Du kannst das Feuer höher kochen lassen“, ruft er dem Schauspieler zu. Weis muss die Passage wiederholen. Fordernd und motivierend wie ein Sporttrainer gibt Cahn seinen Darstellern immer wieder konkrete Anweisungen, wie sie sich bewegen und ihren Text sprechen sollen: Er sagt ihnen, wann die Szene eine emotionale Explosion braucht oder erklärt, wann der richtige Zeitpunkt für die Gattin des Lehrers (Petra Zakrzewski) ist, um bei ihrer Rückkehr nach Hause ihren Hut davon zu werfen. "Ich fände es schön, wenn er richtig fliegt."
Zu Beginn der Proben im Mai fehlte nach monatelangem Lockdown die Unbeschwertheit. "Die Leute hatten schon Lust, aber es war auch viel Angst und viel Zweifel dabei, ob das alles geht", sagt Cahn. So musste der Regisseur auch darauf achten, dass die Darsteller die Abstände auf der Bühne einhalten. Das gestaltete die Arbeit nicht leichter.
Theater braucht Nähe
"Theater lebt davon, dass wir uns nahe kommen, dass wir uns anschreien auf der Bühne, uns prügeln oder küssen. Das wollen die Leute sehen. Eine Liebesszene mit 1,50 Meter Abstand ist nicht sehr erotisch." Im Laufe der Zeit sei einiges angenehmer geworden, so der Intendant. Viele der Scherenbürger seien mittlerweile geimpft. "Das ist dann schon etwas einfacher." Auch gebe es die offizielle Regelung, dass Abstände unterlaufen werden dürfen, wenn es künstlerisch notwendig ist.
Körperliche Nähe ist zum Beispiel auch in der Wiedersehens-Szene zwischen Lehrer Martin Gollwitz und seiner Frau Friederike nötig. Die beiden sollen sich jetzt umarmen und dann ihre Hände halten – aber selbst dabei steckt der Teufel im Detail. "Was ihr jetzt mit den Armen macht, sieht Jiu-Jitsu mäßig aus", merkt Cahn an und sorgt damit für Lachen.
Dieses Jahr keine professionellen Schauspieler
Wer welche Rolle übernehmen soll, überlegt sich Cahn selbst. Ein internes Vorsprechen gibt es nicht. Er kennt die rund 30 Scherenbürger mittlerweile seit einigen Jahren und hat ein gutes Gefühl dafür, wer für welchen Part gut geeignet sein könnte. Ein Novum sei, dass es dieses Jahr gelungen ist, dass alle Leute aus dem Verein, die gerne wollen, in einer der drei Produktionen ("Der Raub der Sabinerinnen", "Beatles an Board" und "Emil und die Detektive") mitspielen dürfen. Und es gibt eine weitere Neuerung: Sie kriegen heuer keine Unterstützung von Profischauspielern.
Das hänge auch mit fehlenden finanziellen Mitteln zusammen, so Cahn. Bisher hätten sich die Festspiele von Jahr zu Jahr selbst getragen. Durch Corona sei vergangenes Jahr aber "kulturell alles zusammengebrochen". Dass die Aufführungen in diesem Sommer nur von Laien bestritten werden, sei "qualitativ kein weniger", betont der Intendant. Das müsse mit intensiven Proben aufgefangen werden. "Ich glaube da sind wir auf einem sehr guten Weg." Zudem spielen laut Cahn viele Scherenbürger seit 20 Jahren Theater. "Mancher Profi würde das nicht anders oder besser machen".
Wer selbst einmal bei den Scherenburgfestspielen auf der Bühne stehen will, kann sich beim Festspielbüro in Gemünden melden. Im Herbst soll es auch öffentliche Workshops geben, bei denen sich Kinder und Erwachsene melden können, um bei sich als Neuzugänge zu bewerben.
Karten und Infos gibt es im Internet unter www.scherenburgfestspiele.de, telefonisch unter (09351) 54 24 oder im Festspielbüro in der Scherenbergstraße 2 in Gemünden. Die Ticket-Hotline sowie das Büro sind Montag bis Freitag jeweils von 9.30 bis 17 Uhr besetzt.