
Dass in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts am linken Mainufer bei Lengfurt flussabwärts wegen des Schleusenbaus ein "Dampfzüchle" durch die Flussauen schnaufte, ist vermutlich nur wenigen Zeitgenossen bekannt. Personenwagen waren nicht am Haken der Lok, dafür unzählige Kipploren. Beladen waren diese unter anderem mit "wahnsinnigen Mengen" Bauaushub. So berichtet es Holger Mehling in der Ortschronik des "Schiffer- und Winzerdorfes" Lengfurt.
Ein Großteil des beim Bau der Mainschleuse Lengfurt angefallenen Erdaushubs wurde in die Nähe der Mainbrücke dorthin befördert, wo sich heute eine Siedlung beiderseits der Kurt-Schuhmacher-Straße befindet. Wegen der Kipploren wird diese Siedlung im Lengfurter Volksmund "Kipp" genannt. Die Schuttbahn musste aber nicht nur 167.000 Tonnen Bauaushub transportieren. Als Fracht werden ferner 47.000 Kubikmeter Beton, 66.400 Tonnen Kies, 36.900 Tonnen Sand und viel Feinsand genannt. Hätte man diese Güter über die Straße an die Baustelle transportieren müssen, dann wären 410 Lastwagen notwendig gewesen, schreibt Chronist Mehling weiter.
Schleusenmeister waren in Lengfurt einst rund um die Uhr präsent
Seit der Öffnung der Schleusen und der Inbetriebnahme des Rhein-Main-Donau-Kanals wurden eine Menge technische Verbesserungen für einen wirtschaftlichen Schifffahrtsbetrieb auf den Weg gebracht. Quasi als personelle "Schützenhilfe" begleiteten die im Steuerhaus tätigen Schleusenmeister diese Entwicklung. Sie waren rund um die Uhr präsent und wurden im Volksmund gelegentlich als "Türöffner der Mainschifffahrt" bezeichnet.
Helmut Kunkel gehörte zu den letzten Männern dieser ehrbaren Zunft. Er musste Jahrzehnte lang am Flusskilometer 174 die Ampeln auf "Grün" stellten und dafür sorgen, dass die Fracht- und Personenschiffe berg- und talwärts eine "Fallhöhe" von vier Metern überwinden konnten. Kunkel war Bundesbeamter und ging mit dem Dienstgrad eines Regierungshauptsekretärs in den Ruhestand , den er im Marktheidenfelder Stadtteil Marienbrunn verbringt. Wir trafen den stets freundlichen Pensionär in seinem schmucken "Märchebrunner" Wohnhaus.
Auch Frauen steuerten die Mainschiffe
Der gelernte Wasserbauer denkt oft an seine "Lengfurter Jahre" zurück. Er verhehlt nicht, dass mit seinem Ausscheiden auch ein Stück Menschlichkeit verloren ging. Konkret meint er damit die freundschaftlichen Kontakte zu den "Schiffsleuten". Immer wieder waren dies auch "Steuerfrauen", die, mit dem Radarpatent ausgestattet, kostensparend im Tag- und Nachteinsatz ihren Partnern, den Partikulieren, unter die Arme griffen.

Während des rund zwanzig Minuten dauernden Schleusenvorgangs werden in der Kammer nicht nur 15.000 Kubikmeter Wasser bewegt. Immer wieder machte auch ein persönliches Wort die Runde. Während Kunkel im Steuerhaus Dienst tat, konnten die Partikuliere gelegentlich zum Nulltarif auch ihren Trinkwasserbestand auffüllen. Gratislieferant war stets der Markt Triefenstein mit seinem kommunalen Versorgungsnetz. Heute gibt es diesen Service nicht mehr.
Der Main darf gratis befahren werden
Trinkwasser gehört zu den wichtigsten Gütern, die in den Wohnungen an Bord während der tagelangen Reise notwendig sind. Eine Reise über den Rhein-Main-Donau-Kanal von Holland zum Schwarzen Meer dauert immerhin rund zehn Tage. Während das Wasser heute nicht mehr gratis gebunkert werden kann, kommt der Bund als Eigentümer der Bundeswasserstraße Main den Schiffseignern in anderer Form entgegen, indem er auf die sogenannten Befahrungsgebühren verzichtet. Das heißt: Der Main darf gratis benutzt beziehungsweise befahren werden.
Auch in die Schleuse Lengfurt hat das heutige "Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Main" als zuständige Bundesbehörde in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld in Form einer sicheren und modernen Schleusentechnik investiert. Der gesamte Schleusenvorgang wird längst von der von der super-modernen Leitstelle des "Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Main" in Aschaffenburg erledigt. Das Steuerhaus in Lengfurt mit seinen zwei Bildschirmen wird künftig nur noch in Notfällen oder dann aktiviert, wenn zum Beispiel Reparaturen anfallen.
Die Lengfurter Schleuse wird heute von Aschaffenburg aus gesteuert
Wir trafen im Lengfurter Steuerhaus Regierungsamtsinspektor Patrick Zöller, den Betriebsstellenleiter und Chef der mit 36 Mitarbeitern besetzten Leitstelle in Aschaffenburg. In der Stadt am Untermain befindet sich die modernste Leitstelle einer deutschen Bundeswasserstraße. Tag und Nacht sorgen die Mitarbeiter dafür, dass in zehn Schleusen mit Hilfe von Glasfasertechnik ein reibungsloser Schiffsverkehr möglich ist. Tagsüber werden in Aschaffenburg die Schleusen Lengfurt und Eichel von einem Mitarbeiter "bedient". Nachts, so erfahren wir von Zöller, bedient ein Schichtleiter die Schleusen in Freudenberg, Faulbach, Eichel und Lengfurt.
Zöller bezeichnet die aktuelle Fernsteuerung als ein notwendiges "Kind der Zeit". Die Glasfaserkabel seien das Bindeglied, über das die komplette Übertragungstechnik von Telefon über Videoübertragungen bis zu den Steuerbefehlen an die Schleusen laufen, betont der Chef der Aschaffenburger Leitstelle.