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Lohr
Frank Nätscher: Ein Rockmusiker bei der Lohrer Karfreitagsprozession
Bei der Schweigeprozession am Karfreitag spielt die Stadtkapelle acht Choräle. Nur einer ist permanent konzentriert: Frank Nätscher an der Pauke, eigentlich Rockmusiker.
Die Stadtkapelle hat Pause, spielt bei der knapp einstündigen Schweigeprozession am Karfreitag nur acht Choräle. Nur einer ist permanent konzentriert: Frank Nätscher an der Pauke.
Foto: Roland Pleier | Die Stadtkapelle hat Pause, spielt bei der knapp einstündigen Schweigeprozession am Karfreitag nur acht Choräle. Nur einer ist permanent konzentriert: Frank Nätscher an der Pauke.
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:36 Uhr
Von Anfang an mit dabei: Frank Nätscher, Schlagzeuger bei 'Locker und ungeübt'.
Foto: Ernst Huber | Von Anfang an mit dabei: Frank Nätscher, Schlagzeuger bei "Locker und ungeübt".

Mit "Locker & ungeübt" trommelt er Cream-Klassiker wie "Sunshine of your love", mit den Mammut Bones "Fool for your stockings" von ZZ Top, mit Rollin' Deepa "Dani California" von den Red Hot Chili Peppers, mit Babao Boogie "Oh Baby Love" von Mother's Finest, bei Art of Emotion ist er "so was wie ein Dauergast" an der Kistentrommel, für die Lohrer Stadtkapelle legt er den Rhythmusteppich für "Pirates of  the Caribbean".

Der Platz hinterm Schlagwerk ist quasi das zweite Zuhause für Frank Nätscher. Dabei sitzt er meist im Hintergrund. Am Karfreitag aber spielt er eine der Hauptrollen bei der traditionellen Prozession durch die Stadt. "Bumm ... bumm ... bumm ..." - das lange Haar zu einem ordentlichen Zopf gebündelt, im bordeauxroten Frack der Stadtkapelle, schlägt Nätscher die Pauke. So einfach es klingt: Für den 50-jährigen Wombacher ist das eine Herausforderung. Denn alle anderen schweigen, murmeln allenfalls, flüstern. Er aber gibt den Takt an für den Gleichschritt der Prozession. Alle hören auf sein "Bumm ... bumm ...". 

Meist im Hintergrund: Frank Nätscher als Schlagzeuger der Kultband Jukebox bei der Lohrer Festwoche 1999. 
Foto: Roland Pleier  | Meist im Hintergrund: Frank Nätscher als Schlagzeuger der Kultband Jukebox bei der Lohrer Festwoche 1999. 

Die Prozession ist eigen

"Ich weiß, es sind viel Leut' da und ich weiß, ich muss mich konzentrier'", verrät Nätscher. Zwar hat er mit der Kultband Jukebox (1981-2002) das mit Tausenden von Besuchern prall gefüllte Festzelt schon zum Kochen gebracht. Doch die Prozession, das ist ein Kapitel für sich.

Hier ein filmischer Eindruck von der Prozession aus dem Jahr 2016 ohne Kommentierung.

Den Takt halten auf dem Kopfsteinpflaster der Fischergasse, seitliche Windböen abfangen und kontinuierlich weiterschlagen, wenn einer der beiden Choräle im Dreivierteltakt beendet ist. "Wenn ich alles richtig gemacht hab, sind wir danach wieder auf links".

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Frank Nätschers Vater, Walter Nätscher, war Schlagzeuger der Tanzband Tornados.
Foto: Roland Pleier | Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Frank Nätschers Vater, Walter Nätscher, war Schlagzeuger der Tanzband Tornados.

Frank Nätscher ist musikalisch vorbelastet. Sein Vater Walter Nätscher war Ende der 1960er und in den 1970ern Schlagzeuger der damals angesagten Tanzband Tornados. Der kleine Frank bekam als Zweikäsehoch die erste Trommel, mit vier ein Kinderschlagzeug – bis der Vater eines Tages sagte: "Jetzt hab ich Dich angemeld't, damit's mal nach Schlagzeug klingt." 

Ohne Noten geht nichts – die Prozession ausgenommen

Peter "Bädo" Wirth war sein Lehrer an der städtischen Sing- und Musikschule. Bei ihm lernte er in drei Jahren auch grundlegende Notenkenntnisse. "In der Stadtkapelle geht nix ohne Noten", zeigt sich der Wombacher in gewisser Weise dankbar – "außer Karfreitag", relativiert er. Ob Wolfgang Riedmann "Deutsches Gebet", "Welch ein Trauern" oder "In jener letzten der Nächte" dirigiert – "für mich heißt jedes Lied Bumm ...", vereinfacht Nätscher. 

Die Route der Karfreitagsprozession 2019
Foto: Grafik Heike Grigull | Die Route der Karfreitagsprozession 2019

Auf sein kleines, persönliches Highlight muss er heuer verzichten. "In der Grabengasse, da hau ich ein bissle fester rein." Da vibrieren nämlich die Schaufenster. "Bumm ... drrr ... Bumm ... drrr ..." Doch wegen der Baustelle in der Alfred-Stumpf-Straße geht die Prozession heuer andersrum: Von der Kirche aus nicht rechts die Lohrtorstraße, sondern links die Turmstraße runter und dann links um den Kirchberg herum, die Haaggasse hoch.

Zwar hat der Fliesenleger-Meister, der mit seinem Bruder Christian den elterlichen Betrieb für Grabmale, Natursteine und Fliesen übernommen hat, beruflich des öfteren auf Friedhöfen zu tun. Einen treuen Kirchgänger aber nennt er sich nicht. Die Prozession sei für ihn "so was wie die Absolution, weil ich nicht so oft in die Kirche geh", sagt er. "Das ist ja anstrengend. Das ist mein Kreuzweg." 

An der Spitze der Karfreitagsprozession: Die Stadtkapelle Lohr und mittendrin Frank Nätscher mit der Pauke. 
Foto: Roland Pleier | An der Spitze der Karfreitagsprozession: Die Stadtkapelle Lohr und mittendrin Frank Nätscher mit der Pauke. 

Die Stadtkapelle führt die Prozession an. Seit über 30 Jahren schon, nur selten abgelöst, schlägt Nätscher die Pauke. Ebenso gut hätte sich er, der Wombacher, auch bei der Wombacher Blasmusik am Ende des Zuges einreihen können. Doch dies verhinderte der Zufall. Denn Peter Häring, damals Dirigent der Stadtkapelle, war es, der sich bei Peter Wirth nach einem Schlagzeug-Schüler erkundigte. "Der war halt schneller als die Wombacher Blasmusik", lächelt Nätscher verschmitzt. Heute ist er mit Härings Schwester Barbara verheiratet und hat mit ihr zwei Töchter. 

Mehr als nur "Bumm ... bumm ..."

Wer mehr von dem Schlagzeuger hören will als das "Bumm ... bumm ..." der Karfreitagsprozession, begleitet vom Tripp-Trapp der Absätze und Schuhsohlen, der muss nicht lange warten: Wenn die Pfarrgemeinde am Ostersonntag um 10.15 Uhr in der Stadtpfarrkirche St. Michael ihr Hochamt feiert, begleitet Nätscher den Chor und das Kammerorchester von Dekanatskantor Alfons Meusert auf den Kesselpauken. Dann muss sich der Schlagzeuger auf Johann David Heinichens Missa Nr. 11 einstellen. "Das macht immer total Spaß, weil es doch etwas ganz anderes ist." 

Dann aber ist vorerst wieder Schluss mit "Bumm ... bumm ..." und Kesselpauken. Am 30. April spielt er dann mit seiner jüngsten Formation, Babao Boogie, im Lohrer Café Bajazzo auf. Dann stehen funky angehauchte Rockklassiker auf der Playlist, zupft und schlägt sein Bruder Christian den Bass, triumphiert sein Cousin Luca Nätscher auf der Sologitarre. "Mein Hauptdings", so sagt Frank Nätscher über sich, "ist eigentlich Rockmusik." 

Zahlen und Fakten zur Karfreitagsprozession in Lohr
Die Wurzeln der Lohrer Prozession reichen bis mindestens ins Jahr 1656 zurück. Ähnliche Prozessionen wurden in vielen süddeutschen Städten im Zuge der Aufklärung abgeschafft - nicht so in Lohr. Vor rund 200 Jahren wollten die königlich-bayerischen Behörden sie verbieten. Stadtpfarrer Joseph Anton Schmitt verhinderte dies mit wirtschaftlichen Argumenten: Bäcker, Schuhmacher, Metzger und Wirte hätten durch das herbeiströmende Volk einen guten Absatz, die Abschaffung würde "unangenehme Auftritte bei dem Volk verursachen". Karfreitag war damals noch kein Feiertag.
 
 
Start ist seit den 1950er Jahren um 10.30 Uhr. Vor 100 Jahren begann die Prozession noch um 13 Uhr. Start- und Zielpunkt ist die Stadtpfarrkirche St. Michael. Der Schweigemarsch mit abschließendem Segen dauert etwa eine Stunde.
Die Route durch die Innenstadt ist 1,5 Kilometer lang. Wegen einer Baustelle führt sie heuer jedoch nicht die Lohrtorstraße hinunter, sondern in entgegengesetzte Richtung zum Bayersturm hinab. Nach Umrundung des Fischerviertels geht es an der westlichen Stadtmauer entlang, über die Haaggasse ums Schloss herum und schließlich wie gewohnt die Hauptstraße hinunter. Graben- und Anlagestraße sind demnach heuer ausgeklammert.
Die Prozession ist ein Schweigemarsch, akkustisch geprägt durch dumpfe Paukenschläge und dem Gleichschritt der Träger. Nur sporadisch setzen die Stadtkapelle Lohr an der Spitze und die Wombacher Blasmusik am Ende mit Passionschorälen und Trauermärschen ein.
Mit der Prozession wird des Leidens und des Todes Jesu gedacht. 13 lebensgroße Figuren symbolisieren den Weg Jesu vom letzten Abendmahl bis zum toten Christus im Grab.
Betreut und getragen werden die Figuren von Angehörigen verschiedener Berufsgruppen, früher der Zünfte. Die "Kleiderberaubung" beispielsweise trugen einst die Schneider, heute Vertreter des Textilgewerbes. Die Träger wechseln sich ab. Überwiegend sind es Männer, hie und da inzwischen aber auch Frauen – nicht nur bei der Pieta, die traditionell schon immer von Frauen getragen wurde. Die Figur "Gefangennahme" tragen Männer aus der Metallbranche (früher Schmiede), das "letzte Abendmahl" – da es keine Küfer mehr gibt – die Altherren-Fußballer des TSV Lohr.
Die "Kleiderberaubung" ist eine Vollholzschnitzerei des Lohrer Bildhauers Hermann Amrhein. Sie dürfte vom Gewicht her die schwerste Figur sein. Die letzte Figur, die des Propheten Jona im Maul eines Walfisches, ist die einzige aus dem Alten Testament. Sie symbolisiert die Auferstehung Jesu.
Die drei ältesten Darstellungen dürften "Jesus trägt das Kreuz", "Die Geißelung" und "Ecce Homo" sein. Diese drei Holzfiguren stammen vermutlich aus dem 17. oder 18. Jahrhundert.
Figuren aus Holzgestellen und mit Gewändern nennt man bis heute "Mannequins" – ein Begriff, der früher für Glieder- und Modellpuppen benutzt wurde. Nur die Köpfe und Hände sind holzgeschnitzt.
Das Wetter: "Hauptsache ist: Es bleibt trocken", ist die große Hoffnung aller Beteiligten. Die Metereologen verheißen Gutes: Am Karfreitag sollen Hochdruck und trockene Luftmassen für ungetrübten Sonnenschein sorgen. Mitunter soll es windig sein, morgens noch frisch, die Tageshöchstwerte dann aber um die 20 Grad herum.
 
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