
Was muss Kirche heute bieten, um Menschen zu gewinnen und zu binden? Wie muss sie sich verändern? Diese Fragen stellen sich Kirchenvertreter und Verantwortliche angesichts von schrumpfenden Mitgliederzahlen und schwindendem Personal mehr denn je. Rudi Rupp ist Dekan im evangelisch-lutherischen Dekanat Aschaffenburg, das unter anderem auch für die Kirchengemeinden Michelrieth, Glasofen, Kreuzwertheim, Hasloch und Schollbrunn zuständig ist. Im Gespräch mit der Redaktion erläutert er, was sich in der strukturellen Ausrichtung der evangelisch-lutherischen Kirche im Raum Main-Spessart, aber auch in Sachen Personalpolitik zukünftig ändern könnte.
1. Denken in Regionen: Grenzen der Dekanate verschieben
"Die Grenzen unserer Dekanate passen nicht mehr zu den Wegen der Menschen", so Rudi Rupp. Die Idee ist, sich an politischen Strukturen zu orientieren. "Dort, wo die Kinder und Jugendlichen zur Schule gehen, wo die Menschen zum Arzt gehen, dort sollte auch Kirche präsent sein, sei es durch den Klinikseelsorger oder die Religionspädagogen in der Schule", so der Dekan. Insofern könnten sich Dekanatsabschnitte verändern. Als Beispiel nennt er die Orte Michelrieth und Glasofen, die politisch Gemeindeteile der Marktheidenfeld sind, kirchlich aber zum Dekanat Aschaffenburg gehören. Die Kirchengemeinde Marktheidenfeld wiederum gehört zum Dekanat Lohr.

2. Gemeinsamer Personalpool gegen den Mangel
Auch in der Kirche herrscht Personalmangel in allen Berufssparten. "100 bis 120 Pfarrer gehen jährlich in Ruhestand, 20 bis 25 kommen nach", erläutert Rudi Rupp. Zwar nehme auch die Zahl der Kirchenbesucher ab, dennoch geht hier eine Lücke auf. Ein Lösungsansatz könne ein gemeinsamer Personalpool sein. "Eigentlich gibt es keinen Grund, sich nicht gegenseitig zu unterstützen", so Rupp. Als konkretes Beispiel nennt er die Pfarrstelle in Marktheidenfeld, die schon lange vakant ist. "Es geht um den Gesamtblick und darum, wie wir uns zukunftsfähig machen können."
3. Bildungswege öffnen für Seiteneinsteiger
Die Kirche als Arbeitsplatz für Seiteneinsteiger öffnen, das könne besonders für Menschen in der zweiten Lebenshälfte interessant sein, so Dekan Rupp. "Wir arbeiten länger, nicht selten orientieren sich die Menschen noch einmal um." In der evangelischen Landeskirche Bayern (ELKB) hat man bereits darauf reagiert: Im mittelfränkischen Neuendettelsau startet ab dem Wintersemester 2024/25 ein neuer berufsbegleitender Studiengang ins Pfarramt an der Augustana-Hochschule. Nach erfolgreichem Abschluss erfolgt die Übernahme ins Vikariat der ELKB. Nach dem Vikariat tragen Absolventinnen und Absolventen die Amtsbezeichnung Pfarrerin oder Pfarrer. "Auf die 12 Plätze gab es 36 Bewerbungen, die Nachfrage ist hoch", erzählt der Dekan.
4. Pfarreien-übergreifende Konfirmationsarbeit
Wer macht den Konfirmationsunterricht? Das muss nicht immer der Pfarrer oder die Pfarrerin sein. "Wenn er oder sie die entsprechende Qualifikation hat, kann das auch jemand aus der Jugendarbeit machen", so Rupp. Und: Konfirmationsarbeit kann von Pfarreien losgelöst laufen, um flexibler zu sein und mehr Angebote machen zu können. In Aschaffenburg beispielsweise bietet ein Team von sechs Personen verschiedene Konfirmationskurse an, darunter auch Samstagskurse oder Sommerferien-Kompaktkurse, erläutert der Dekan. "Jugendliche fühlen sich wohl in der Gruppe, zusammen mit Gleichgesinnten, dabei muss der Unterricht nicht unbedingt vor Ort stattfinden", so Rupp.
5. Niederschwellige Angebote machen
Neu denken sollte man auch: Müssen die Menschen immer zur Kirche kommen oder kann es nicht auch mal umgekehrt laufen? "Wir müssen mehr da hingehen, wo die Menschen sind und wo sie sich gerne aufhalten", sagt Dekan Rupp. Und das sei weniger die renovierungsbedürftige Kirche, als der Radweg oder der Wanderpfad, an dem man auch einen Freiluftgottesdienst abhalten könne. Rund 50 Menschen hätten dieses Jahr an Christi Himmelfahrt am Freiluftgottesdienst am Gasthof Hoher Knuck bei Rothenbuch teilgenommen. Ein anderes Beispiel ist die Aktion "Einfach heiraten", hier können sich Paar kurzentschlossen an einem bestimmten Tag im Jahr in einer evangelischen Kirche den Segen zusprechen lassen.
6. Ökumenische Perspektive schaffen
Hier sollte man keine Parallelwelten schaffen, findet Dekan Rupp, sondern zukünftig immer mehr zusammenarbeiten.