Gerhard Böwering ist Islamwissenschaftler. Deren gibt es viele. Islamwissenschaftler, die gleichzeitig katholische Priester sind, sind dagegen selten. Noch seltener sind wohl katholische Priester, die den beiden Weltreligionen Islam und Christentum gleichermaßen so aufgeschlossen gegenüberstehen wie Böwering. Seine Gedanken drehen sich um Realitäten, die hierzulande nur ungern diskutiert werden. Und er traut sich, diese auszusprechen.
Priesterweihe in Pakistan
Vielleicht aufgrund seiner durch Erfahrung gewonnenen Souveränität. Vielleicht auch aufgrund seines Abstands zu Deutschland. Böwering ist Professor für Islamische Studien an der weltbekannten US-Universität Yale. Sein Weg dorthin war ungewöhnlich: Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 in Mönchengladbach geboren – der Vater Nordrhein-Westfale, die Mutter aus der Nähe von Wiesentheid (Lkr. Kitzingen). In den 1940ern Umzug nach Würzburg, wo er aufwächst und 1959 Abitur macht. Danach Eintritt in den Jesuitenorden. Die katholische Ordensgemeinschaft schickt ihn in eine Missionsstation nach Pakistan, wo er 1970 zum Priester geweiht wird. Im Rahmen eines studentischen Austauschprogramms studiert er den Islam an der McGill University im kanadischen Montreal. Es folgen Doktorarbeit, die erste Anstellung an der University of Pennsylvania (USA) und 1984 der Ruf nach Yale. Seine Arbeit führten ihn in über 70 Länder auf allen Kontinenten der Erde.
Wir treffen Böwering in Lohr. Im Landkreis Main-Spessart hat er im Sommer eine Pfarrvertretung übernommen, bevor nun wieder in Yale unterrichtet. „Wenn ich heute in einem Dorf an einem Sonntag die Messe lese, habe ich graue Köpfe vor mir“, sagt er. „Wir haben wunderbare Kirchen, aber kaum noch Kirchgänger. Aufs Lange werden Kirchen Restaurants werden. Oder Museen.“ Es fehle an jungen Leuten. Dass sich das noch einmal ändert, glaubt er nicht. Im Islam sei das anders.
„Dschihad mit der Zunge“
„Die religiöse Überzeugung der Muslime ist sehr stark und sie treten für ihre Religion ein“, so Böwering. Im Islam gebe es keinen Unterschied zwischen Laien und Klerikern, erklärt der Wissenschaftler. „Jeder Muslim ist ein Missionar für seine Religion“, so der katholische Ex-Missionar weiter. Nur eine kleine Minderheit, ist er überzeugt, unterstütze dabei Terrorismus. Unter Dschihad verstünden die meisten Muslime den „Dschihad mit der Zunge“. Predigen. Außerdem hätten Muslime heute ein größeres Selbstbewusstsein als in früheren Zeiten, als europäische Kolonialmächte ganze Länder in der islamischen Welt kontrollierten. Unter Muslimen gebe es heute viele, die sagen: „Wir brauchen uns nicht vom Westen belehren zu lassen und deren Ordnung annehmen. Die beste Ordnung ist der Islam.“
Bis zu 4,7 Millionen Muslime leben derzeit in Deutschland – weniger als sechs Prozent der Bevölkerung. Viele wollten sich integrieren, glaubt Böwering. Sie wollten aber auch „ihre muslimische Identität behalten“. Wenn es christlichen Religionsunterricht gibt, müsse es auch Islamunterricht an Schulen geben. Rund 2700 Moscheen mit Minarett und Kuppel stehen im Bundesgebiet, demgegenüber stehen 24.500 katholische und über 21.000 evangelische Kirchen. Die Zahlen zum Islam in Deutschland werden sich in den kommenden Jahrzehnten stark ändern. „Moscheen werden zum Stadtbild gehören und nicht mehr nur im Hinterhof zu finden sein“, prophezeit Böwering. „Die Kirche muss mit dem Islam zusammenleben.“ Gesellschaft und Kirche sollten sich darauf einstellen, findet er. Die Forderung des Priesters: Die Kirche sollte sich besser mit dem Islam auseinandersetzen. Bislang sei das „nicht seriös genug“ geschehen.
Suche nach Gemeinsamkeiten
„Man wird keine Universalreligion finden, die Christen und Muslime vereint. Aber man wird Gemeinsamkeiten entdecken. Im Glauben und auch im alltäglichen Leben.“ Wie ist das Wesen des Islam mit dem Christlichen vereinbar?, lautet die Frage, die laut Böwering geklärt werden müsste. Der Islam sei schließlich „eine Gegenwart in unserer Welt, die dazu gehört. Kein Geschwür, das man entfernen muss“.
In Deutschland gibt es politische Akteure, die solche Worte als Beschreibung einer „Islamisierung des Abendlandes“ bezeichnen würden. Wenn man dem US-Staatsbürger Böwering davon erzählt, reagiert er mit Unverständnis. „Das ist radikal“, entgegnet er. Was er wolle ist, dass die gemeinsamen Werte gesehen werden. „Der Glaube, den Muslime an Gott haben, ist sehr stark. Das ist keine Islamisierung, das sollten wir auch haben.“ Und überhaupt: „Die Zahlen der Kirchenbesucher sinken ja nicht, weil es Muslime gibt.“ Daran sei „eine Gleichgültigkeit unter den Christen“ Schuld.
„Der Islam wird sich anpassen“
Auch die landläufige Behauptung „Nicht jeder Muslim ist Terrorist, aber jeder Terrorist ist Muslim“ verwundert Böwering. „Ich habe die Phrase noch nicht gehört“, sagt er mit leicht amerikanischem Akzent. Ja, räumt er ein, es gab viele große Anschläge für die Muslime verantwortlich waren. „In den USA gibt es aber immer wieder Anschläge an Schulen, hinter denen amerikanische Schüler stecken.“ Und was war das, was die Römer mit Jesus und den ersten Christen gemacht haben? „Mir scheint es, als versucht man immer, alles Übel auf den Islam zurückzuführen.“
Den Islam will er aber nicht von jeder Verantwortung befreien. „Eine Reformation, wie wir sie hatten, hat sich im Islam noch nicht durchgesetzt“, sagt Böwering. Im Gegensatz zum Christentum, wo sich liberale und konservative Tendenzen die Waage hielten, dominiere im Islam noch die konservative Tradition. Dennoch ist er sich sicher: „Der Islam wird sich in vieler Weise reformieren und anpassen.“ Auch wenn konservative Muslime „das oft nicht so zugeben wollen“.