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Main-Spessart
Diät zum Start ins neue Jahr? Das rät eine Zellinger Ernährungsexpertin
Um Gewohnheiten zu ändern, muss man hartnäckig sein, sagt die Expertin Annette Büttner. Warum wir weniger Unverträglichkeiten haben, als wir denken, erklärt sie im Interview.
Welche Ernährung passt zu mir?
Foto: Lucia Lenzen | Welche Ernährung passt zu mir?
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:02 Uhr

Sparen, Abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, Vegetarier werden und eine gesunde Ernährung - das sind statistisch gesehen die häufigsten Neujahrsvorsätze. Die Ernährungsberaterin Annette Büttner aus Zellingen beschäftigt sich schon seit über 25 Jahren mit dem Thema Ernährung. Im Interview erläutert sie, mit welchen Essensfragen und -themen die Menschen in Main-Spessart zu ihr kommen und was sie ihnen raten kann. 

Frau Büttner, womit sind Sie heute in den Tag gestartet? 

Annette Büttner: Mit mehreren Tassen Kaffee, plus noch Tee. Ich muss gestehen, ich bin eine schlechte Trinkerin, da versuche ich meine Reserven morgens schon mal aufzufüllen.  

Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettelmann - wie viel ist dran an dem alten Spruch?  

Büttner: Es passt nicht jedes Konzept auf jeden Menschen. Es gibt die, die essen morgens üppig und die, die nichts runter kriegen. Dadurch ist die Ernährung nicht automatisch schlechter. Sondern es kommt mehr darauf an, was esse ich über den Tag, wie häufig esse ich und welche Qualität hat das Essen. 

Die Ernährungsberaterin Annette Büttner aus Zellingen/Retzstadt.
Foto: Lucia Lenzen | Die Ernährungsberaterin Annette Büttner aus Zellingen/Retzstadt.
Haben sich die Ernährungsgewohnheiten in den letzten Jahren stark verändert ? 

Büttner: Eigentlich nicht. Es gibt unheimliche viele verschiedene Essmuster, natürlich auch einige ungünstige, wie zum Beispiel Menschen, die Dauer-Snacken, also immer wieder Essen ohne Pause. 

Mit was kommen die Menschen zu Ihnen?

Büttner: Das sind Menschen mit Übergewicht und den entsprechenden Beschwerden wie  Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Fettlebererkrankung, Patienten mit Lebensmittelunverträglichkeiten, Histamin- oder Lactose/Fructose-Intoleranz. Aber auch bei Rheuma kann man versuchen, über die Ernährung die Entzündung zu beeinflussen. 

Gefühlt nehmen Unverträglichkeiten zu. Kommt das bei Ihnen auch an? 

Büttner: Eine Tendenz ist: Es wird mehr auf Unverträglichkeiten getestet. Daneben vermuten die Leute auch immer öfter, sie vertragen manche Lebensmittel nicht. In der Beratung zeigt sich dann aber: Das stimmt gar nicht. Oft sind andere Aspekte ausschlaggebend, die die Menschen nicht auf dem Schirm haben. Zum Beispiel, dass sie zu wenig Ballaststoffe essen und der Darm deshalb nicht gut arbeitet, dadurch entstehen Verdauungsbeschwerden. Die Patienten führen das aber dann auf irgendwelche Lebensmittel zurück, die sie angeblich nicht vertragen. 

Wie bekommen Sie das raus? 

Büttner: Ich lasse die Menschen ein Ernährungsprotokoll führen. Da kann man sehen, ist das plausibel, ob eine Unverträglichkeit besteht. 

Welchen Irrtümern sitzen die Leute auf? 

Büttner: Vielen Menschen ist nicht bewusst, wie oft sie was Süßes trinken oder an den Kühlschrank gehen und noch ein Stückchen Wurst essen. Deswegen ist es wichtig alles aufzuschreiben, was in den Mund geht. Wichtig ist auch die Motivation. Ob das aus Langeweile passiert oder unter Stress. 

"Glutenfreie oder lactosefreie Lebensmittel – da wird suggeriert, dass das ein Riesenproblem zu sein scheint, was aber defacto nicht so ist.
Ernährungsberaterin Annette Büttner
Im Supermarkt stapeln sich die unterschiedlichen Produkte in den Regalen. Wer seine Ernährung  umstellen will, gerät angesichts der Fülle ganz schön ins Schleudern. 

Büttner: Eigentlich kann ich 70 Prozent der Sachen, die dort stehen, vernachlässigen. Das meiste sind weiterverarbeitete Lebensmittel. Wenn man sich aber auf die Grundnahrungsmittel beschränkt, ist das Angebot überschaubar. Dazu kommt: Viele Dinge, die die Regale füllen, vermitteln, dass es mehr Probleme im Bereich Essen gibt, als es wirklich der Fall ist. Glutenfreie Lebensmittel, lactosefreie Lebensmittel – da wird suggeriert, dass das ein Riesenproblem zu sein scheint, was aber defacto nicht so ist. Da sollte man immer mit Augenmaß dran gehen. Generell gilt: je kürzer die Zutatenliste, desto besser. Und umso näher ein Lebensmittel an seinem Ursprungszustand dran ist, umso besser. 

Was ist, wenn die Familie bei der Ernährungsumstellung nicht mit macht? 

Büttner: Oft trauen sich die Leute nicht, in den Konflikt rein zu gehen. Oder die Dinge einfach auszuprobieren. Da gibt es eine unheimlich große Hemmschwelle. 

Vor allem, wenn auch noch kleine Kinder da sind, die eh alles Gesunde verweigern....

Büttner: Ja, ich habe auch zwei Kinder. Da gab es auch die Phase: Es gibt drei Lieblingsgerichte und alles andere ist "bäh". Die Lösung ist aber nicht, dann immer das Lieblingsgericht extra zu kochen. Die Kinder lernen ja auch am Vorbild. Dann gibt es als Alternative eher mal ein Müsli.

Was halten Sie von Diäten, die nehmen sich die Menschen ja zu Anfang des Jahres gerne vor. 

Büttner: Eine Diät suggeriert: Ich mache das eine Zeitlang und dann höre ich es wieder auf. Die Einstellung ist im Prinzip schon problematisch. Wenn die Diät erfolgreich sein soll, muss das Bewusstsein da sein, dass ich meine Ernährung dauerhaft umstellen will. 

Wenn Diät, dann etwas Radikales?

Büttner: Nein, umso weniger radikal, desto besser. Weil das Radikale dazu führt, dass man es nicht durchhalten kann und wieder aufgibt. Weil es womöglich nicht in den Alltag oder die Familienkonstellation passt.  

Wie sieht es mit Intervallfasten aus? 

Büttner: Da gibt es verschiedene Formen. Man kann zum Beispiel sagen: Ich esse an fünf Tagen in der Woche normal und an zwei Tagen trinke ich nur und esse Suppen. Oder man verlängert die Ess-Pause über die Nacht in den Morgen hinein. Sodass man ein 12-Stunden-Intervall hat, in dem man nichts zu sich nimmt außer Flüssigkeit. Das kann bei Übergewicht schon hilfreich sein. Weil einfach mal alles verarbeitet wird, was da ist. Wenn ich es schaffe, mich in der restlichen Zeit hochwertig zu ernähren und nicht mit Süßigkeiten zu kompensieren, kann das ein gutes Konzept sein.  

Was verbirgt sich hinter der Essstörung Orthorexie, also dem Zwang, sich gesund zu ernähren?

Büttner: Diese Menschen fokussieren sich sehr auf gesunde oder vermeintlich gesunde Lebensmittel. Die Betroffenen haben ein eigenes Bild davon geschaffen, was sie für gesund halten und fokussieren sich da völlig drauf. Dadurch geht die Ausgewogenheit meist den Bach runter. 

Wie schlägt das bei Ihnen auf?

Büttner: Die Leute kommen meist mit ganz anderen Themen. Dann zeigt sich aber schnell, dass es in Richtung Essstörung läuft. In solch einem Fall ist zum Beispiel das Führen eines Ernährungsprotokolls eher kontraproduktiv. Wenn ich den Betroffenen dazu nötige, sich noch mehr auf die Ernährung zu fokussieren. In diesem Fall empfehle ich psychotherapeutische Hilfe. 

Wie sehr geht es in der Beratung um nachhaltiges Essen und die Herkunft von Lebensmitteln? 

Büttner: Ich lasse mich da schon auf die Diskussion ein. Allerdings will ich den Leuten nichts überstülpen. Die Entscheidung, wo und welche Lebensmittel ich kaufe, muss letztlich jeder selbst treffen. Das ist ja auch eine Kostenfrage. Ich sage den Leuten aber was zum Thema Lebensmittelqualität. Zum Beispiel, dass bei Fleisch und Milch der Omega-3-Fettsäureanteil in Bioprodukten deutlich höher ist als bei konventionellen Produkten.

Wie lange dauert es, bis man seine Ernährung umgestellt hat? 

Büttner: Ich begleite die Menschen zirka sechs Monate. Wobei ich den Leuten auch immer sage: Sie werden nach dem halben Jahr nicht am Ende sein. Um Gewohnheiten zu ändern, muss man hartnäckig sein. 

Zur Person

Die Zellingerin Annette Büttner studierte Oecotrophologie (Haushalts- und Ernährungswissenschaften) an der Universität Gießen. Danach leitete sie das Sachgebiet Ernährungsberatung am Gesundheitsamt Bad Kissingen. 
2005 erwarb sie die Zusatzqualifikation "Ernährungsmedizin" (Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer) und nahm an regelmäßigen Weiterbildungen zu verschiedenen Themenbereichen der Ernährungswissenschaft teil. 
Seit 2016 ist sie zertifiziert als "Ernährungsberaterin VDOE", seit 2015 freiberuflich tätig in der Ernährungsberatung. Ihre Beratungen bietet Annette Büttner in Karlstadt und in Retzstadt an. 
Die 45-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Quelle: luc
 
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