Jeder von uns ist schon einmal über sie hinweggelaufen, sie begegnen uns buchstäblich auf Schritt und Tritt. Manche Passanten bleiben stehen und schauen auf diese kleinen Messingschildchen am Boden mit eingehämmerten Namen und Daten. Die Rede ist von den "Stolpersteinen", die vor manchen Häusern in die Straße eingelassen sind. Sie liegen am letzten frei gewählten Wohnort von verfolgten und deportierten jüdischen Familien - so auch in Karlstadt, Wiesenfeld und Laudenbach.
Eine der großen Transporte aus Unterfranken in die Vernichtungslager jährte sich heuer zum 80. Mal. Der Förderkreis ehemalige Synagoge Laudenbach hatte den Tag zum Anlass genommen, Stolpersteine zu reinigen und Blumen niederzulegen.
Das Ziel der Reise war ungewiss
Vom 25. bis zum 28. April 1942 wurden Jüdinnen und Juden auch hier bei uns gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und sich mit nur einem Koffer in der Hand in Würzburg an der Aumühle zu versammeln. Das Ziel der Reise war ungewiss. Die staatlich durchgeführte und bis ins Kleinste geplante Vernichtung von Frauen, Männern und Kindern jeden Alters nahm an Fahrt auf. Worte vermögen nicht, das Geschehene zu fassen. Das Unmenschliche und Monströse dessen, was da vor 80 Jahren passierte, sperrt sich jeglicher Beschreibung.
In den Listen der geheimen Staatspolizei Nürnberg-Fürth vom 3. April 1942 für die zu evakuierenden Juden aus dem damaligen Gau Mainfranken sind auch die jüdischen Familien aus Karlstadt, Wiesenfeld und Laudenbach aufgelistet, die nach dem Willen der Machthaber in den Tod geschickt werden sollten.
Bereits mit dem ersten Menschentransport im November 1941 wurden jüdische Familien aus Laudenbach in das Ghetto Riga verschleppt. Fünf Monate später folgte der nächste Zug von Würzburg über Bamberg nach Krasniczyn und Izbica in Polen, wiederum fünf Monate später im September 1942 folgten zwei Züge nach Theresienstadt.
47 Stolpersteine erinnern bislang an das Unrecht
Heute erinnern in Karlstadt und den Stadtteilen 47 Stolpersteine an die verfolgten und ermordeten jüdischen Frauen, Männer und Kinder. Der jüngste unter ihnen war Karl Frank. Er wurde gerade fünf Jahre alt, als er in den Tod geschickt wurde, sein Bruder Wolf war sechs. Der älteste Laudenbacher war Leopold Rothschild, er wurde 81 Jahre alt. Leopold Rothschild erreichte den für ihn vom Staat vorgesehenen Todesort nicht. Er starb unter unmenschlichen Bedingungen aufgrund der Strapazen in einem Viehwagon bereits auf dem Transport nach Theresienstadt.
Zwei weitere Steine sollen im Herbst in Laudenbach verlegt werden. Das Ehepaar Moses und Ida Birk betrieb einen gut gehenden Metzgerladen in der Mühlbacher Straße, gegenüber der Synagoge. Auch Christen kauften gerne bei ihm ein. Noch im Jahr 1932 reichte Moses Birk beim Landratsamt Karlstadt Baupläne für einen Neubau seines Metzgerladens ein. Moses und Ida flohen nach den Pogromen im Jahr 1938 nach Würzburg in ein Altersheim, eine Laudenbacherin kaufte das Haus. Ida Birk starb noch vor den Deportationen am 24. Januar 1941, sie ist in Würzburg begraben. Ihr Mann Moses wurde nach Theresienstadt verschleppt. Sein Todesdatum wird mit dem 25. Dezember 1942 angegeben. Er war 73 Jahre alt.
Nur ein einziger kehrte zurück
Von den aus Karlstadt, Wiesenfeld und Laudenbach Deportierten überlebte nur ein einziger. Siegfried Adler zog mit seinen Eltern Else und Manfred im Jahr 1938 nach Würzburg, im November 1941 wurde die Familie von dort aus nach Riga verschleppt. Siegfried Adler war zum Zeitpunkt seiner Deportation 18 Jahre alt. Von der SS jahrelang als Arbeitssklave geschunden und schwer an Typhus erkrankt, überlebte er das Ghetto in Riga und später auch das Konzentrationslager Stutthof. Seine Eltern Manfred und Else wurden ermordet.
Nach der Befreiung durch die Rote Armee 1945 kehrte er mit buchstäblich nichts als seinen Kleidern am Leib in seine alte Heimat zurück. Er kam bei einer christlichen Familie unter, die schon vor dem Krieg mit der Familie Adler befreundet gewesen war. Mit Hilfe von Reparationen der amerikanischen Militärregierung versuchte er, das Tuchgeschäft seiner Eltern wieder aufzubauen. Siegfried Adler blieb fünf Jahre lang in Laudenbach. Im Jahr 1950 zog er schließlich nach Mönchengladbach und lebte dort mit seiner Familie bis zu seinem Tod. Zeit seines Lebens konnte er nicht über seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern und später in Laudenbach reden. Er starb 81-jährig im Jahr 2004.
Zu: "... Vom 25. bis zum 28. April 1942 wurden Jüdinnen und Juden auch hier bei uns gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen ....", das begann schon in Unterfranken am 22. April und sie erfuhren es erst zwei Tage vorher.
Die Deportation als solches von der Aumühle in Würzburg erfolgte am 25. April und dauerte bis zum 28. April 1942, auch hier in Personenzügen. Das ist auf den im Internet eingestellten Fotos sehr gut zu erkennen.