"Dyskalkulie ist ein schwieriges Wort, und in Bayern unbeliebt", begann Susanne Kraut bei ihrer Demonstration auf dem Karlstadter Marktplatz ihren Appell, dass die Rechenstörung im bayerischen Schulrecht verankert werden müsse. Ihr Ziel sind echte Hilfen, Therapien für die betroffenen Kinder schon in der Grundschule. Sie ist selbst Therapeutin. In Baden-Württemberg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern ist das schon Gesetz. Mit zeitnaher Therapie in der Grundschule kämen betroffene Kinder im Unterricht gut mit und hätten nach der vierten Klasse wirklich eine Wahl.
Kraut fordert weiter einen Nachteilsausgleich für die gesamte Schulzeit. Dann bekämen Kinder mit diagnostizierter Dyskalkulie bei Proben für die gleichen Aufgaben mehr Zeit. Auf anderen Gebieten seien solche Kinder oft sehr begabt, es gehe nicht um mindere Intelligenz.
Kraut hat das Thema schon bei Söder und Stolz platziert
Um auf das Thema aufmerksam zu machen, wanderte Susanne Kraut vor einem Jahr von Alzenau nach München. Sie sprach auch schon mit Kultus-Staatssekretärin Anna Stolz über das Thema, sowie mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, als dieser mit seinem hessischen Amtskollegen Boris Rhein in Alzenau war. Der Ministerpräsident habe sich kümmern wollen und Anna Stolz habe das Thema auf dem Schirm. Bei der Demonstration unweit von Stolz' Abgeordnetenbüro schaute die Politikerin aber nicht vorbei.
Glaubt man offiziellen Meldungen des Kultusministeriums, bietet das bayerische Staatsministerium schon länger ein umfangreiches und differenziertes Beratungs- und Unterstützungsangebot. Seit Februar 2022 läuft zudem ein Modellversuch an den fünften Klassen von 20 Realschulen, Gymnasien und Mittelschulen. "Zu spät", sagte Susanne Kraut dazu, dann hätten sich die Kinder schon vier Jahre durch die Schule gequält. Betroffen seien schätzungsweise 100.000 Schüler in Bayern.
Ein wenig Hilfe gibt es in den Schulen schon
Die Demonstration in Karlstadt war eher klein – 15 Mitstreiter konnte die Unterfränkin auf dem Marktplatz versammeln, darunter auch Sandra Frisch vom Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie aus Nürnberg. Diese berichtete von ihrer Nichte, die drei Sprachen fließend spricht, aber wegen der Rechenschwäche von der neunten Klasse Gymnasium auf die Realschule wechselte, die Probleme blieben.
Unter den rund 15 Zuschauern waren Eltern von betroffenen Kindern. Ihre Aussagen ähnelten sich. Eine Mutter, aus Würzburg angereist, sprach von einem langen Prozess seit dem Kindergarten bis es Hilfe gab. In der Grundschulzeit habe es Unterstützung gegeben, so eine Mutter aus Eußenheim, aber "seit zwei Jahren hängen wir in der Luft". Das Jugendamt Main-Spessart habe ihr geraten, ihr glückliches Kind nicht mit seinen Schwächen zu konfrontieren.
Von etwas Hilfe an der Grundschule Wiesenfeld dank der engagierten Rektorin berichtet eine Mutter. Wie in Eußenheim gebe es eine Befreiung von der Mathematik-Note, allerdings sei der mögliche Schulwechsel damit eingeschränkt.
Therapie muss privat bezahlt werden
"So was hatten wir noch nie", habe sie von der Schulleitung ihrer Tochter zu hören bekommen, berichtete eine Mutter aus Aschaffenburg, die hätten das nicht wahrhaben wollen. Letztlich habe sie als Alleinerziehende die Therapie bei Susanne Kraut aus eigener Tasche bezahlt – vier Sitzungen für je 40 Euro im Monat über mehrere Jahre.
Zum Abschluss verlas Susanne Kraut einen Brief von Hessens Ministerpräsident Boris Rhein, der ihr herausragendes Engagement lobte und bedauerte, keinen Einfluss auf andere Bundesländer zu haben.